Donnerstag, 30. Juli 2020

Urteil gegen Sabri B. A.: Ein Enfant terrible der Salafisten-Szene



Fünf Jahre Haft: So lautete das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen Sabri B. A. Es ist das vorläufige Karriereende eines Islamisten, der in den letzten zehn Jahren für viel Ärger in der Salafisten-Szene sorgte. Ein Überblick über ein Enfant terrible.

"Opportunistisches Schwein"

Am Ende ließ ihn der letzte Freund im Stich. Mirza T. B. war Anfang Februar im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgericht erschienen. Er wolle auspacken und "die Wahrheit [...] sprechen", um seinen langjährigen Gefährten Sabri B. A. von einem Anklagepunkt zu entlasten. Die Staatsanwaltschaft hatte B. A. vorgeworfen für die Terrororganisation "Ahrar al-Sham" Geld gesammelt zu haben, um davon militärisches Ausrüstungsgerät zu kaufen. Als Beweis dienten auch abgehörte Telefonate von T. B. mit anderen Personen, der darin seinen Kumpel als Mittelsmann für Geldtransfers genannt haben soll. Doch als Mirza T. B. vor dem Gericht stand, blieb er stumm. Er verweigere die Aussage, so der 63-Jährige zur Überraschung aller Prozessbeteiligten.

Das gab Sabri B. A. laut Medienberichten den Rest. Er sei in Tränen ausgebrochen und habe seinem ehemaligen Mitstreiter Bilder von seiner Familie gezeigt. "Das sind meine Kinder, die ich nur mit einem Krankschreiben sehen kann. Meine Mutter, die ich seit neun Monaten nicht gesehen habe", so der Kölner anklagend. Sein Anwalt Serkan Alkan ging noch weiter. Als "opportunistisches Schwein" und "notorischen Lügner" beschimpfte er Mirza T. B.

Ausgerechnet "Onkel Timur" ließ Sabri B. A. also fallen, um sich selbst zu retten. Dabei hatte Sabri B. A. doch in den vergangenen Jahren immer wieder zur Solidarität mit dem alten Veteranen der Szene aufgerufen, weil der seit 2016 selbst wegen Terrorunterstützung in den Knast gewandert war. Und da waren ja noch die gemeinsamen Reisen nach Syrien 2013 und 2014, um dort "notleidenden Witwen und Waisen" zu helfen. Damals wirkte Sabri B. A. noch siegestrunken. Der Justiz rief er an der Seite kleiner Kinder aus Syrien zu: "Der Staatsschutz, BKA und trallala: Hier kannst du gucken, was böse Muslime in Syrien so treiben. Wenn das demnächst unter Strafe gestellt wird, dann verstehe ich die Welt nicht mehr."
Bildkomposition von Sabri B. A.: Unterstützung für den Freund (Quelle: SBA Media/Facebook)


Die Welt verstand Sabri B. A. allerdings bereits in den 2000er Jahren nicht mehr so ganz. Als Sprössling einer tunesischen Einwandererfamilie spielte der Islam noch keine Rolle für ihn. Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann und soll gut bezahlte Jobs bekommen haben. Später ging er als Soldat zur Bundeswehr. Die Kurz-Biografie eines gut integrierten und sozialen Aufsteigers aus einer Migrantenfamilie: So könnte es eigentlich an dieser Stelle weitergehen, doch der Bruch kam irgendwann Ende der 2000er Jahre.

2010 war der heute 39-Jährige bereits ein gefeierter Propagandist und Provokateur der Szene. Der Mann mit der markanten hohen Stimme konfrontierte Journalisten, Ermittler und Gegner bei jeder Gelegenheit, wenn die Salafisten irgendwo in der Öffentlichkeit zusammen kamen. Mit einer Kamera in der Hand filmte er sich dabei, wie er sie zur Belustigung vieler Jugendlicher mit Häme und Spott überzog. Später lud er die Videos auf Youtube-Kanälen wie "Der Informierer" hoch.

Unumstritten war Sabri B. A. allerdings in der Szene damals auch nicht. Für seine offene und direkte Art heikle Themen auszusprechen, um die sich viele Militante windeten, bekam er auch viel Gegenwind aus dieser Richtung. Viele Hardliner warnten ihn es nicht zu weit zu treiben. Denn Sabri B. A. hatte die Gewohnheit im Eifer des verbalen Gefechts gegen Medien und Politiker auch eigene "Brüder" zu diffamieren, um das Image friedfertiger Salafisten zu untermauern. Nachdem Christian E. und Robert B., Anhänger der Solinger Gruppe "Millatu Ibrahim", 2011 wegen Terrorpropanda in Großbritannien festgenommen worden waren, bezeichnete B. A. diese als "Marionetten", die von "irgendwelchen Terroristen ausgenutzt" worden seien. Den französischen Attentäter Mohammed Merah, der im Nachbarland Anschläge auf Juden und Soldaten begangen hatte, bezeichnete er 2012 als "Agenten des französischen Geheimdienstes". 

Kritik zog er auch auf sich, als er im selben Jahr ein Drohvideo gegen zwei Journalisten veröffentlicht hatte ("Operation Schweinebacke"), für das er 2014 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Als "unüberlegt" hatte der damalige "Millatu Ibrahim"-Chef Mohamed Mahmoud die Aktionen von B. A. getadelt. Er selbst habe unter den Folgen direkt zu leiden gehabt und ihn trotz dessen gegenüber Vorwürfen von "Brüdern" verteidigt, so Mahmoud. Das Maß sei aber voll gewesen, als Sabri B. A. den Attentäter Murat K., der 2012 bei einer Salafisten-Demonstration in Bonn mit einem Messer mehrere Polizisten niedergemetzelt hatte, als "Agenten" bezeichnete, der vom "Staat bezahlt" worden sei, um "Randale zu machen". Mahmoud rief Sabri B. A. zu: "Das reicht, lieber Bruder. Jetzt ist genug [...]! Fürchte Allah und hüte deine Zunge!" Wenn B. A. ein Problem mit ihrem Kurs hätte, "dann hast du ein Problem mit uns [...]. Ich gebe dir einen Rat: Pass gut auf, was du über die Brüder sagst!"

Sabri B. A. als Bundeswehrsoldat (Quelle: Falk News/Telegram)


Sabri B. A.  war aber nicht nur der schrille PR-Mann und Querkopf der Szene. Er galt auch als umtriebiger Netzwerker, der bundes- und europaweit zu führenden Predigern und Vereinen Kontakte knüpfte und dabei auch viel Insider-Wissen sammelte. Als das Koranverteil-Projekt "Lies!" 2011 an den Start ging, war auch B. A. an der Seite von Ibrahim Abou Nagie, Pierre Vogel und Bilal G., um die "Da'wa" der Salafisten im Internet zu vermarkten. Nicht nur zahlreiche Videos auf Youtube gingen auf B. A. zurück. Er fungierte auch offenkundig mit seinen zweifelsfrei vorhandenen Sozialkompetenzen als Lebensberater und Ansprechpartner für junge Menschen, die bereit waren in die Szene einzutauchen. Und als soziales Schmiermittel fungierte vor allem der syrische Bürgerkrieg, der viele junge Muslime emotional aufwühlte. 

"Wir sind die Soldaten der Scharia"

Sabri B. A. begleitete viele Spendengalas der Salafisten, bei denen Geld für notleidende Syrer gesammelt wurde. Er verstand es mit Hilfe von audiovisuellen Gestaltungsmitteln die Anhänger aufzustacheln und zu mobilisieren. 2013 tat er sich schließlich mit Mirza T. B. aus Bergisch Gladbach zusammen. Der Mann mit dem langen weißen Rauschebart hatte mit einer Gruppe von Männern die Vereine "Organisation für Hilfe und Frieden" und "Muslimisches Hilfswerk" gegründet, um ausrangierte Einsatzfahrzeuge, Technik, Lebensmittel und auch Geld nach Syrien zu liefern. Mehrere Male reisten B. A., Mirza T. B. sowie Regaip O. in den Norden des Landes und präsentierten sich dabei als Wohltäter der Umma.

Sabri B. A. zeigte auch hier seine Qualitäten als Medienprofi, der in Videos mit dem Charme eines westlich sozialisierten Spaßvogels zu weiteren Spenden aufrief. Es war vor allem Mirza T. B., der sich deutlich weniger darum bemühte seine wahren Intentionen in Syrien zu verschleiern. "Hier herrscht die Scharia. Hier werden die Frauen nicht von Jesiden, Shias und Kuffar beleidigt wie in Deutschland. Wir sind die Soldaten der Scharia", erklärte der Deutsch-Pakistaner in einem Video. Die Kinder, denen man helfen wolle, seien die Zukunft in Syrien. Man werde sie zur Schule schicken und aus ihnen eine "Elitetruppe machen" bis diese "in den Kampf ziehen" würden.

Bereits zu dieser Zeit, Anfang 2014, beschimpfte T. B. einzelne Prediger in Deutschland als "Palastgelehrte", "Abu Bananas" und "Abu Pyjamas", die scheinbar den Dschihad in Syrien nicht als "fard al-ayn" (Pflicht) ansahen. Der lautstarke Mann war schon zuvor mit anderen deutschen Salafisten aneinandergeraten. Auf einer Fahrt nach Syrien mit der Hilfsorganisation "Ansaar International" im Jahr 2013 hatte es massive Konflikte gegeben. Wie "Ansaar"-Chef Joel Kayser in einem Gespräch mit dem Blog-Autor später angedeutet hatte und was Ermittlungsbehörden später nicht bestritten, war Mirza T. B. bei der Überfahrt vor allem mit Telefonaten beschäftigt gewesen, in denen er seine Gesprächspartner dazu aufgefordert hatte "her zu kommen" und sich dem bewaffneten Dschihad anzuschließen. Das war für den Verein, der ohnehin die Aufmerksamkeit von Ermittlern und Beobachtern auf sich gezogen hatte, ein sehr riskanter Regelverstoß und ein guter Grund sich von dem Mann noch vor der Überquerung der türkisch-syrischen Grenze zu trennen und ihn nach Hause zu schicken

Sabri B. A. und Mirza T. B. waren in Nordsyrien aber nicht allein unterwegs. Einige Deutsche sah man in ihrer Gegenwart, wenn sie wieder mit der Kamera unterwegs waren. Neben diesen war vor allem die Anwesenheit des Syrers "Abu Ali" auffällig. Ein hagerer Mann mit schwarzem Vollbart. Er fungierte offenkundig als Verbindungsmann für ausländische Salafisten. Auch die Hilfsorganisation "Medizin ohne Grenzen" (später: "Medizin mit Herz") der Brüder Brahim und Mohammed B., die von Ermittlungsbehörden in NRW verdächtigt wurden Terrororganisationen zu unterstützen, vertrauten dem Mann. Der Blog stellte bereits damals die Frage, ob "Abu Ali" in Wirklichkeit ein verdeckter PR-Mann einer Kampftruppe gewesen sein könnte. Laut Prozessbeobachtern im Fall Sabri B. A. soll die Staatsanwaltschaft am Oberlandesgericht Düsseldorf diesen Verdacht denn auch geteilt haben und den Syrer in einen Zusammenhang mit der Islamistengruppe "Ahrar al-Sham" gestellt haben, die vor ihrem Einverleib in die türkisch protegierten Söldnerarmeen in Aleppo noch sehr intensiv mit al-Qaida kooperiert hatte.

Sabri B. A. und "Abu Ali" in Syrien (Quelle: Youtube)
Was Mirza T. B. und Sabri B. A. nicht wussten oder schlichtweg billigend in Kauf genommen hatten war die Tatsache, dass Ermittlungsbehörden ihre Kommunikationsmittel längst angezapft hatten. Das wurde zuallererst "Onkel Timur" zum Verhängnis, der sich noch für einen anderen Verein ("Amatullah") engagiert hatte. Bei einer Polizei-Razzia im November 2014 wurden er sowie eine ganze Reihe  von Islamisten aus der Kölner Umgebung wegen Terrorunterstützung verhaftet. Die Truppe hatte gemeinsam Einbrüche in Kirchen und Schulen begangen, um anschließend das Diebesgut zu Geld zu machen, davon militärische Ausrüstung zu kaufen und nach Syrien zu schicken. Mirza T. B. wurde zudem vorgeworfen 2013 über diesen Weg mehrere deutsche Dschihadisten in das Bürgerkriegsland geschleust zu haben, darunter Jamil K. und den Bergheimer Marko K., die beide wenig später starben. 2017 wurde der Mann nach langer Untersuchungshaft schließlich zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.

"Haltet euch Plan B offen"

Dieser Verlust führte bei Sabri B. A. noch nicht sofort zu einer grundlegenden Einstellungsveränderung zum Rest der Szene. Seine Angriffe auf das Establishment der Salafisten hatten sich bis dahin noch zunächst auf einzelne Personen und Organisationen beschränkt. 2014 tauchte er immer wieder an der Seite von Ibrahim Abou Nagie, Pierre Vogel, Sven Lau, Said el-Emrani  und vor allem Bilal G. auf. Das war insofern nicht verwunderlich, weil Bilal G. damals bereits im Verdacht gestanden hatte mit dem IS sympathisiert zu haben. Aus dessen Frankfurter "Lies!"-Gruppe waren auffällig viele junge Männer und Frauen nach Syrien ins Kalifat gereist. Erst als sein Chef Abou Nagie von den Gerüchten erfuhr, dass G. 2013 und 2014 Reisegepäck bei sich zwischengelagert und als ehemaliger Azubi eines Reisebüros Flugtickets für Frankfurter IS-Ausreiser geordert haben soll, habe dieser dem Deutsch-Kurden eine unmissverständliche Ansage zur Aufgabe dieser geheimen Nebentätigkeiten gemacht.

Prinzipiell entschieden vor der Ausrufung des Kalifats Mitte 2014 die Sympathien für die eine oder andere Rebellengruppe aber noch nicht per se über das Ende von Loyalitäten und Freundschaften. Das geschah erst dann, als es zum offenen Bruch und Kampf zwischen IS und al-Qaida in Syrien kam und die Prediger in Deutschland sich zu eindeutigeren Stellungnahmen gezwungen sahen. Zu diesem Kreis gehörten vor allem die Berliner Ahmad Armih alias "Abul Baraa" und Abdul Adhim Kamouss.

Und so ging Sabri B. A. in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 zunächst in Deckung. Er schien davon geschockt gewesen zu sein, wie nahe die Einschläge in Form von polizeilichen Ermittlungen und Verhaftungen ihm inzwischen gekommen waren. Gemeinsam mit Bilal G. reiste er noch nach London, um den dortigen "Lies!"-Ableger "Read!" zu bewerben. Er habe sich von bestimmten "Dingen" zurückgezogen, erzählte er dann Ende Dezember 2014 bei einem Aufenthalt in der Wohnung von Bilal G. Das bedeute aber nicht, dass er nicht mehr aktiv sei, sondern "weil wir den Medien, den Kuffar und auch der Politik das Leben ein bisschen schwerer machen wollen." Die Arbeit würde nun eher aus dem "Untergrund" erfolgen. Gleichermaßen suggerierte B. A. offen, dass er sich mit dem Gedanken einer dauerhaften "Auswanderung" nach Syrien ernsthaft auseinandersetzte. "Für mich selber kommen auf jedenfall Sham und die Türkei in Betracht", so der Kölner. Erdogan gebe sein bestes das Land zu einem "Muslim-freundlichen" Land zu machen, indem er die Scharia in den Lehrplan der Schulen integrieren wolle. "Haltet euch Plan B offen", so der Appell von B. A. an seine Anhänger.

Ein paar Monate später schickte B. A. auch einen Brief an den damaligen nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD). Der Inhalt: Ein Angebot zur Aufgabe seiner deutschen Staatsangehörigkeit und zur freiwilligen Emigration aus seinem Heimatland. Der Preis dafür: 250.000 Euro aus der Staatskasse, da die Überwachungsmaßnahmen und Präventionsinitiativen diese Kosten um ein vielfaches übersteigen würden, so das Argument von B. A. Als "Abfindung" betrachtete er das Geld, denn er habe schließlich seit dem 14. Lebensjahr in die deutsche Rentenkasse eingezahlt. "Ich koste diesem verfluchten LAND nur GELD! Also, ihr Affen und Schweine, zahlt mir meine 100.000 € und bürgert mich für IMMER aus!", schrieb er später an anderer Stelle. Das Ansinnen wurde logischerweise abgelehnt. B. A. blieb im Land.

Der beginnende Bruch mit seinen Freunden erfolgte wohl bereits im ersten Halbjahr 2015. Nachdem Abou Nagie und Pierre Vogel seinen Kumpel Bilal G. davon überzeugen konnten sich vom IS zu distanzieren, tauchte B. A. erstmal komplett ab. Viele Anhänger fragten sich damals, was mit dem lustigen Mann passiert sei, warum sich überhaupt die scheinbar harmonische Führungsmannschaft in Frankfurt so still aufgelöst zu haben schien. Der Kölner hatte sich offenbar auch von den letzten Freunden aus dem Umfeld des Dawa-Imperiums distanziert. Und dies markierte den Beginn einer jahrelangen Fehde, die in der Salafisten-Szene für erhebliche Unruhe sorgen würde.

"Und jetzt seid ihr soweit, das ihr gegen die hetzt, die das in die Tat umsetzen, was ihr gepredigt habt."

Nur über "Fake"-Accounts in sozialen Medien machte Sabri B. A. in der Folgezeit auf sich aufmerksam. Damals konnten Beobachter den Kölner nur über auskunftsbereite und Szene-kundige Aussteiger ausfindig machen. Zum Beispiel erkannten die Leute ihn anhand seines gern genutzten Kürzels "SBA", als er anfing gegen einzelne Prediger zu wettern. Die dadurch entstandenen Konflikte konzentrierten sich damals aber erst einmal vor allem auf lange zuvor kursierende Betrugs- und Korruptionsvorwürfe gegen prominente Prediger wie Marcel Krass, Pierre Vogel, Abou Nagie und Sven Lau. So warf B. A. den ersteren beiden vor für mehrere Moschee-Bauprojekte in Mönchengladbach und Wuppertal sechsstellige Spendengelder eingesammelt zu haben, deren Umsetzung aber nicht gelang. Der indirekte Vorwurf von B. A.: Die Prediger hätten das Geld in die eigenen Taschen gewirtschaftet. Die Beschuldigten verteidigten sich daraufhin vehement und merkten erst allmählich mit wem sie es eigentlich zu tun hatten.

"SBA Media" (Quelle: Telegram)
Im August 2015 machte Sabri B. A. dann schließlich ernst. Auf Facebook baute er die Seite "SBA Media" auf, auf der er ganz in seinem typischen Stil die ersten Rundumschläge gegen Präventionsakteure, Islamwissenschafter und Szene-Akteure verteilte. Die Prediger schämten sich für ihre Angst die Wahrheit zu verkünden, lautete ein Vorwurf von B. A. "Und deshalb hetzt ihr gegen diejenigen, die keine Angst haben ihr Leben für die Wahrheit zu opfern! Allah erniedrigt euch dafür, das ihr nicht das tut, was ihr JAHRELANG gepredigt habt. Und jetzt seid ihr soweit, das ihr gegen die hetzt, die das in die Tat umsetzen, was ihr gepredigt habt." Seien ein "Kurdenstaat", ein "Yezidistan" oder ein "Alewitistan" für  die Prediger Alternativen?, lautete eine der vielen Suggestivfragen von ihm. Daneben machte Sabri B. A. auch erstmals offen Werbung für einschlägig bekannte Plattformen deutschsprachiger IS-Propagandisten wie "Niwelt", "al-Mourabitoun Media", "al-Ghazwah" und "Baqiyya". Ob er selbst an diesen Seiten mitgearbeitet hatte, ließ sich nie belegen.

Jedenfalls gab es ab dahin für B. A. offenbar kein Halten mehr. Weitere Propagandaseiten kamen hinzu. "Dawa Pics" und "Good Propaganda" sollten für einige Jahre die Hauptplattformen seiner medialen Erzeugnisse und Aufrufe werden. Vor allem auf Pierre Vogel und Ibrahim Abou Nagie verstärkte er die Attacken. Als "Abu Model" und "Rosenkavalier" stigmatisierte er Abou Nagie, dem er vorwarf den IS als "eine von Zionisten gegründete Gruppe" bezeichnet zu haben. Pierre Vogel galt für ihn nunmehr als "Murtad", "Kreuzritter" und "Verräter", der sich ab Anfang 2016 deutlich vehementer gegen die Terroranschläge in Europa und das Morden des IS positioniert hatte und auch zunehmend zu dem Hildesheimer IS-Sheikh Abu Walaa auf Konfrontationskurs gegangen war. Videos tauchten auf, in denen Vogel massiv angegriffen wurde. In einem davon kritisierte B. A. den Prediger dafür, dass dieser infolge der Pariser IS-Anschläge prognostiziert hatte, dass das Kalifat damals bereits vor dem Niedergang gestanden hätte. B. A. manipulierte das Video so, dass Vogel in den  Mittelpunkt eines Zielfernrohrs gerückt wurde. Eine unmissverständliche Anspielung auf die aus Syrien veröffentlichten Morddrohungen gegen den Prediger.

"Dawa Pics": Unverhohlene Drohung (Quelle: Telegram)
Anfang Mai 2016 reagierte schließlich ein ehemaliger Freund, der Betreiber von "Muslim Mainstream" Cüneyt A., erstmals öffentlich auf die Attacken von B. A. Nach "zig Ermahnungen" sprach er eine "Warnung" an den Kölner aus. "Es haben mehrere versucht mit ihm vernünftig zu reden, wir wollten ihn auch bei einem muslimischen Arzt einweisen lassen, doch zwecklos. Alleine was wir damals mit ihm erlebt haben, war der Horror". B. A. ziehe die Prediger in den Dreck, die gegen "ISIS" seien. Er solle sich zurückziehen und aufhören "Fitna zu stiften". Doch daran dachte B. A. überhaupt nicht. 

Im Gegenteil: Offenbar hatte er Anfang 2016 längst Kontakte zum "Deutschsprachigen Islamkreis" von Abu Walaa in Hildesheim geknüpft. Denn dessen Social Media-Auftritte hatten sich in nur wenigen Monaten in Hochglanz-Formate verwandelt, deren Aufmachung stark an die Gestaltungskünste des Kölners erinnerten. Neben den damals bislang unauffälligen "Abu Walaa"-Internetpräsenzen, auf denen lediglich Hadithen veröffentlicht worden waren, tauchten Kanäle wie "al-Manhaj Media" und "Black Cinema" auf. Typische Namenskreationen, die eigentlich nur Sabri B. A. hätten einfallen können. Tatsächlich hatten Ermittler in diesem Zeitraum Telefonate zwischen dem Kölner und dem Iraker abgehört. Darin hatte B. A. dem Prediger geklagt, keine Hilfslieferungen mehr nach Syrien bringen zu können. "Ich werde quasi in diesem Land gefangen gehalten."

Und so kam es dann auch, dass Sabri B. A. mit Abu Walaa bis zu dessen Verhaftung im Herbst 2016 eine propagandistische Koalition einging im Kampf gegen alle, die sich dem IS offen entgegen gestellt hatten. Als im Juli 2016 Spezialeinheiten der Polizei die Hildesheimer Moschee von Abu Walaa durchsucht hatten, bezichtigte B. A. die Frankfurter als Verräter, die mit ihren Attacken auf Abu Walaa im Internet erst die Aufmerksamkeit der Behörden auf die IS-Gemeinde gelenkt hätten. Als Reaktion veröffentlichte er noch mehr - explizitere - Pamphlete gegen die Kontrahenten, die ihrerseits begannen sich in der Szene zu organisieren. 

Der Streit wurde folgerichtig zunehmend auf die Straße verlagert. Im September 2016 tauchten am Wohnort von B. A. in Köln Unbekannte auf und demolierten dessen Auto. Später kursierten Fotos von der Aktion. "Was macht dein Auto brudi?", fragte hinterher Bilal G. seinen ehemaligen Freund provokant in einem Chat und schickte ihm dazu noch ein Foto von dessen Briefkasten. "Komm dich bald wieder besuchen inshallah. Freunde von mir haben ja schon dein Auto besucht". Ein Geständnis seines ehemaligen Kumpels? Die Wut von Sabri B. A. über diesen Vorfall war in der Folge groß gewesen und sie steigerte sich in eine regelrechte Raserei, als sein offenkundiges Vorbild Abu Walaa im November des gleichen Jahres verhaftet wurde. Zahlreiche Bilder und Videos veröffentlichte er in dieser Zeit. Eine besondere Verbreitung fand ein Flugblatt von ihm mit der Überschrift "Free Abu Walaa". Modifizierte Videos aus IS-Propagandamaterial mit Tötungsszenen kamen hinzu (u.a. "Drei Arten"). Und auch ein neuer Telegram-Kanal tauchte auf - diesmal ganz offen unter dem Namen von B. A.

"Belpa News": Bewegte Luftaufnahmen der JVA Sehnde (Quelle: Telegram)





„Noch nicht mal diese ganzen Internet-Helden, die Blogs gegen mich betreiben, machen so was“

Mit "Believers Place" (Belpa News) startete der Kölner das vorerst letzte große Medien-Projekt vor seiner Festnahme. Auf Telegram und auch auf einer eigens programmierten Internetseite veröffentlichte er überwiegend Propaganda zur Unterstützung des IS. Darunter waren viele Aufnahmen von verletzten oder getöteten Frauen und Kinder in Syrien und im Irak, unterlegt mit emotionalisierender Anashid-Musik. Auch für Abu Walaa legte er sich ins Zeug und provozierte unter anderem mit einem Video, in denen Satellitenaufnahmen der JVA Sehnde zu sehen waren, in der der Hildesheimer damals in U-Haft saß. Hinzu schaltete B. A. auf seiner Internetseite mehr als eindeutige Anspielungen auf terroristische Aktionen, verklausuliert als "Kaufempfehlungen" von militärisch relevanten Artikeln wie "Einsatzschuhe" ("Funktionsschuhe für Dienst und Alltag") und Messer ("bestens als Rettungsmesser verwendbar").
 
Parallel schaukelten sich die unterschiedlichen Lager immer weiter hoch. Sabri B. A. bekam dabei von Frauenbeschützer Bernhard Falk Verstärkung, weil dieser die Kritik von Pierre Vogel an IS-Anhängern und Abu Walaa schon länger als unsolidarisch ablehnte. Anfang 2017 folgte dann die nächste Eskalationsstufe. Als Sabri B. A. in Pulheim bei Köln mit dem Auto unterwegs war, riss jemand unerwartet seine Fahrertür auf und prügelte auf ihn ein. Es soll der ehemalige Boxer Pierre Vogel gewesen sein, der seinem ehemaligen Schützling eine Abreibung verpasst hatte, behauptete zumindest B. A. später in einer seiner Audiobotschaften. 

Und in der Tat schien Vogel seine ausgeteilte Prügel auch gar nicht zu leugnen. "Hilfe Polizei auaaa, Hilfe Polizei, hahaha", machte sich dessen Günstling Bilal G. über das Opfer lustig. Später soll laut Sabri B. A. sogar Vogel selbst bei seiner Ehefrau angerufen haben und gebrüllt haben: "Ruf mal den Hurensohn von deinem Mann an. Wir haben den kaputt geschlagen." B. A. wiederum verarbeitete das Trauma in der Folge mit neuen Bildkreationen auf seinen Propagandaseiten: "Wusstest du, dass diese Friedenstaube ein brutaler Schläger ist?", so ein Kommentar von ihm zu dem Prediger. In der Folge erstattete er nach eigener Aussage Anzeige gegen Vogel wegen Körperverletzung. Ein vor allem in der IS-Szene eigentlich unverzeihlicher Schritt, denn weltliche Institutionen werden strikt abgelehnt.

Besonders schmerzhaft schien für ihn aber gewesen zu sein, dass Vogel später mit einer großen Gruppe seiner Anhänger zur darauffolgenden Gerichtsverhandlung erschienen war, ohne dass er von dem anberaumten Termin etwas mitbekommen haben soll. "Ich habe weder einen Brief, eine Einladung, noch einen Termin genannt bekommen!", empörte er sich via Telegram. Vogel soll sich letztendlich mit einem Strafbefehl rausgeboxt haben und trat anschließend gegen B. A. öffentlich noch nach ("IS-Lappen", "feiger Heuchler"). 

"Believers Place": Propagandistische Verarbeitung eines Traumas (Quelle: Telegram)
Etwa ein Jahr später folgte der letzte Schlag gegen Sabri B. A. In seinem Wohnort, der Stadtteil Köln-Ehrenfeld, tauchten am 7. April 2018 zahlreiche Flugblätter auf, die vor ihm als IS-Anhänger warnten. "Er sieht es eindeutig als gute Tat an ihre Kinder zu töten und sie mit seinem Auto plattzufahren und agiert direkt von Köln (Ehrenfeld) aus", hieß es darin unter anderem. B. A. würde aus "unerklärlichen Gründen" von deutschen Behörden und Medien geschützt werden. Mit einem Linkverweis - ausgerechnet zu einem Beitrag von "Erasmus Monitor" - wollten die Autoren des Flugblatts offenbar solchen und anderen Behauptungen eine entsprechende Glaubwürdigkeit verleihen.

Es soll ein Nachbar von B. A. gewesen sein, der ihm ein Exemplar am Morgen nach der Aktion in die Hand gedrückt hatte. Wutentbrannt reagierte der Kölner daraufhin. "Die Polizei hat mich gerade kontaktiert und sagte, dieser Flyer wäre an Autos montiert, an Briefkästen, an Türen - man hat weite Teile Kölns mit meinem lieblichen Gesicht bepflastert", erzählte er in einer Audiobotschaft. Er vermutete die "geistesgestörten Vogel-Jünger" hinter dem Flyer, dessen Inhalt "erstunken und erlogen" sei. Unter anderem nannte er als Indiz für diese Anschuldigung, dass Pierre Vogel im diskursiven Kampf gegen ihn und Abu Walaa bereits schon einmal einen Bericht von "Erasmus Monitor" auf seiner Facebook-Seite geteilt hatte.

Nur kurze Zeit später setzte er der "Vogel-Gang" ein 24-stündiges Ultimatum. Seine Stimme hatte da schon längst den typischen selbstsicheren Unterton verloren. Wenn sich die vermeintlichen Täter nicht öffentlich bei ihm entschuldigten und sich bei der Polizei selbst anzeigen würden, packe er gegen den Frankfurter Bilal G. aus. Dieser war bereits drei Wochen zuvor am Frankfurter Flughafen verhaftet worden und konnte eigentlich nicht zum unmittelbaren Täterkreis gehören. Er wisse genau, so B. A. aber weiterhin überzeugt, dass Bilal G. in seiner Funktion eines ehemaligen Azubis in einem Reisebüro "Geschwistern" zur Ausreise nach Syrien verholfen habe. Sogar die Dschihadisten in Syrien rief er dazu auf sich bei ihm zu melden, um ihm das dafür benötigte Beweismaterial zu liefern. Parallel ließ er nach eigener Aussage an G.'s Anwalt Ali Aydin einen Forderungskatalog übermitteln. Er verlangte von G. erneut eine öffentliche Entschuldigung an alle Muslime, die als "IS-Schlampen" denunziert worden seien, eine finanzielle Entschädigung für die entstandenen Schäden an seinem Auto, einen medialen Waffenstillstand sowie die Auslieferung der Hintermänner, die die Flyer in seinem Stadtteil verteilt hatten.

Ausschnitt eines Flugblatts, das in Köln weite Verbreitung gefunden haben soll (Anm. Markierungen von B.A. vorgenommen) (Quelle: Belpa News/Telegram)
In den darauffolgenden Tagen machte B. A. aber erneut ernst. Er veröffentlichte auf Telegram zahlreiche "Beweise" gegen Bilal G. So beschuldigte er ihn Flugtickets für die Frankfurter IS-Kämpfer Riza Y., Ahmet T. und Enes Ü. besorgt zu haben. Hierzu verwendete er selbst wiederum Bildmaterial von "Erasmus Monitor" zur Stützung seiner Vorwürfe. Das aber wiederum brachte ihm die Kritik seines Verbündeten Bernhard Falk ein. Dieser warf ihm vor Bilal G. auf "unislamische Weise [...] schwer belastet" zu haben. Einen Tag später zeichneten Ermittler ein Telefongespräch zwischen den beiden auf, in dem sie sich noch einmal persönlich über die Flyer-Aktion unterhalten hatten.

„Noch nicht mal diese ganzen Internet-Helden, die Blogs gegen mich betreiben, machen so was“, war sich B. A. gegenüber Falk (Anm.: zu Recht) sicher. „Auch dem Staatsschutz traue ich das nicht zu. Die machen so was wie NSU, aber nicht so was.“ Man lebe in einem Land, in dem sie faktisch keine Machtmittel hätten, pflichtete Falk dem Kölner bei. "Wenn einer von den Vogel-Anhängern, den Bekloppten, mich über den Haufen schießen würde, könnte ich nichts machen.“ B. A. forderte erneut eine Entschuldigung von der "Vogelbande". "Dann halte ich meine Fresse. Wenn jemand viel Wissen hat, dann bin ich das. Das, was ich weiß, bringt ihn für lange Zeit in den Knast.“ Pierre Vogel könne ohne Bilal G. vieles nicht mehr organisieren. „Vogel kann boxen, er kann gut labern, aber das war es dann schon. Der kann ja nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen!“ Wenn es zu keiner Lösung käme, drohte B. A., würde "die Sache definitiv blutig" enden. "Da werdet ihr noch in zehn Jahren darüber sprechen.“

Besonders der letzte Satz von B. A. zeigt, wie gefährlich und emotional der Konflikt mittlerweile geworden war. Andererseits verheimlichte der Kölner sein Gespräch mit Falk auch nicht, sodass anzunehmen ist, dass auch an dieser Stelle der Mann bewusst übertrieben hatte. Die Lage beruhigte sich danach auch allmählich. Offenbar war beiden Seiten klar geworden, dass der Schaden für alle Beteiligten dramatisch ausgefallen wäre, wenn Sabri B. A. in einem Prozess gegen einen bekannten Netzwerker der Szene und ehemaligen Mitstreiter ausgesagt hätte.

Die Zeit für B. A. in Freiheit neigte sich denn auch dem Ende. 2018 veröffentlichte er zwar weiterhin Sticheleien in Richtung Pierre Vogel und andere Szene-Köpfe. Die Polarisierung hatte jedoch deutlich abgenommen, zumal sich durch die Zerschlagung des Hildesheimer IS-Netzwerks und den territorialen Niedergang des Kalifats in der Levante hitzige Debatten allmählich erübrigten.

Im Juni 2019 wurde Sabri B. A. schließlich festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf warf ihm vor, im Sommer 2014 in einem Trainingscamp von Dschihadisten in Nordsyrien an der Waffe ausgebildet worden zu sein. Zudem lastete sie ihm an gemeinsam mit Mirza T. B. als scheinbare humanitäre Helfer militärisches Gerät im Wert eines hohen fünfstelligen Betrags in das Bürgerkriegsland geschmuggelt zu haben. Seine Vergangenheit holte ihn nun also auch ein.

Die Strategie seiner Anwälte, B. A.'s Propagandaeifer und Sammelwut von IS-Material als journalistische Tätigkeit zu verkaufen, nahm ihm das Düsseldorfer Gericht nicht ab. Konsterniert soll er schließlich bei der Urteilsverkündung gewesen sein. "Nach den ersten beiden Stunden Dauer-Vorlesung kann er sich nur noch mit Mühe aufrecht auf der Anklagebank halten", beschrieb die FAZ die Szenerie. Das Urteil schließlich: Fünf Jahre Haft. Seine Anwälte legten anschließend Revision beim Bundesgerichtshof ein. Ob es das Ende einer bemerkenswerten Islamisten-Karriere bedeutet, bleibt daher abzuwarten.