Die Gruppe "Im Auftrag des Islam" ist seit vielen Jahren in Norddeutschland aktiv. Durch die Krisenerscheinungen in der salafistischen Szene versucht die selbstbewusste und jugendaffine Bewegung Verdrossene einzufangen. Nach jahrelanger friedlicher Koexistenz brechen seit Monaten zahlreiche Konflikte aus.
Die Außenseiter
Bernhard Falk hatte es nie leicht in der Islamisten-Szene. Als ehemaliger Linksterrorist und Marxist eckte er bei den meisten Salafisten an. Spätestens dann, wenn es mal nicht nur um das Prinzip der Solidarität, sondern auch um die "richtige" Auslegung von Koran und Sunna ging.
Seine Sympathie-Bekundungen für ehemalige DDR-Kader, RAF-Mitglieder oder kubanische Autokraten irritierten das Publikum. Auch das Vokabular des heute 53-Jährigen eckte an, wenn er über den "Zins-Imperialismus" der USA und den "antikapitalistischen Widerstand" auf dem Niveau einer politischen Szene dozierte, die seinen Lebenslauf zuvor entscheidend prägte. Umso weniger scheint es zu verwundern, dass Falk in den letzten Jahrzehnten sehr häufig zu einem Außenseiter wurde. Und in der Regel folgten große Konflikte.
Das jüngste Beispiel ist der Bruch mit "Im Auftrag des Islam" (IADI). Eine kleine, aber in den letzten Jahren gewachsene Gruppe von Kalifatsanhängern aus Sontra, die trotz ihrer guten Vernetzung wie auch Bernhard Falk in die salafistische Szene so gar nicht wirklich reinpasst. Im Mittelpunkt von IADI stehen heute drei Männer: Furkan K. alias "Furkan bin Abdullah", Azad Y. alias "Azad el-Kurdi" sowie der Göttinger Yasin B. alias "Yasin al-Hanafi".
Besonders Furkan K. nimmt seit vielen Jahren eine Führungsrolle in der Gruppe ein. Ihn lernte Falk 2011 kennen. Bereits Ende der 2000er Jahre baute K. in Sontra bei Kassel mit Freunden wie Azad Y. die Gruppe auf. 2012 standen er und Azad Y. erstmals im Fokus, als Murat K., ein guter Freund der beiden, bei einer Kundgebung der militanten Islamisten-Szene in Bonn zwei Polizisten niederstach und schwer verletzte. Damals gaben sich die beiden als völlig unbedarfte Freunde aus. In einem Interview gegenüber "Spiegel TV" gingen sie nicht auf die Radikalisierung als mögliche Ursache für die Tat ihres Kumpels ein. Vielmehr sprachen sie über den angeblichen Alkoholkonsum, der Murat K. bei Auseinandersetzungen schnell aggressiv gemacht hätte. Dass ein erhöhter Promillewert damals im Blut von K. festgestellt worden wäre, ist bis heute nicht bekannt.
Wie Furkan K., Azad Y. und Yasin B. bestand die IADI damals noch fast ausschließlich aus Männern mit Wurzeln in der Türkei. Nicht verwunderlich, weil sich die Gruppe propagandistisch auf das Land sehr stark fokussiert und sich damit auch milieuspezifisch einer anderen Form des Islamismus zuordnen lässt, als dem Salafismus.
Der Kalifatsstaat
Ein Sprung in die Vergangenheit: Nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei entstand in den darauffolgenden Jahren eine türkisch-islamistische Diaspora in Deutschland. In der Türkei hatten zuvor bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht, bei denen sich Rechts- und Linksextremisten sowie Islamisten gegenseitig bekämpften. Im Zuge des Militärputsches flohen auch zahlreiche Islamisten aus der Türkei nach Deutschland. Darunter war auch der erste spätere Kalif des Kalifatstaats, Cemaleddin Kaplan, ein Gefolgsmann von Necmettin Erbakan, dem Gründer der Mili-Görüs-Bewegung.
Nur einige Jahre später kam es unter Führung von Kaplan zu einer Spaltung der Mili-Görüs-Bewegung in Deutschland. Kaplan lehnte den politischen Islam innerhalb eines weltlichen Staatswesen kategorisch ab und ließ sich selbst 1994 von seinen Anhängern zum Kalifen ausrufen, der für einen gewaltsamen Umsturz in der Türkei aufrief. In den Folgejahren und vor allem unter dem Nachfolger, Kaplans mutmaßlichem Sohn Metin, radikalisierten sich die Anhänger des Kalifatsstaats (Hilafet Devleti) immer weiter.
Die radikale Bewegung zog damals bereits das Interesse antikapitalistischer und antiimperialistischer Konvertiten auf sich, darunter Andreas "Abu Bakr" Krieger und Bernhard Falk. Besonders Krieger, heute Herausgeber der "Islamischen Zeitung", fiel 1994 bei einer Versammlung des Kalifatsstaats in Köln durch antisemitische Hetztiraden und Anspielungen auf den Holocaust auf. Falk wiederum soll bereits vor seiner Verurteilung wegen mehreren Attentatsversuchen im Namen der "Antiimperialistischen Zellen" Kontakte zu Personen aus dem Umfeld des Kalifatsstaat unterhalten haben, die ihn auch bei seinem Prozess unterstützten. Er soll in seiner Untersuchungshaft sogar den Treueeid auf Kaplan geleistet haben.
Ehemaliger Kalif von Köln: Metin Kaplan (Screenshot/Facebook) |
Als sich schließlich 1996 mit dem Berliner Arzt Ibrahim Sofu ein Gefolgsmann dem autoritären Kaplan widersetzte, kam es zur Eskalation. Metin Kaplan, der sich als "Kalif von Köln" wie selbstverständlich nicht nur theologische, sondern wie ein Thronfolger auch absolutistische Herrschaftsansprüche innerhalb eines demokratischen Staates anmaßte, veröffentlichte eine Todesfatwa gegen Sofu. Ein Jahr später kam es zur Ermordung des Berliners, sodass die Sicherheitsbehörden schließlich eingreifen mussten. Metin Kaplan wurde 1999 verhaftet und ein Jahr darauf wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat zu mehreren Jahren Haft verurteilt. 2001 verbot das Bundesinnenministerium den Kalifatsstaat und das dazugehörende Vereinsnetzwerk. Kaplan wurde schließlich wenige Jahre später in die Türkei abgeschoben, wo er wegen seinen Aufrufen zum Umsturz zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde.
In der Folge kam es innerhalb seiner verbliebenen Anhängerschaft zu vielen Zerwürfnissen und Abspaltungen einzelner Gruppen. Der Rückhalt des 2016 aus türkischer Haft entlassenen Kalifen bröckelte zunehmend. In sozialen Medien verfolgen nur noch wenige seine Beiträge. Der Verfassungsschutz zählt heute aber immer noch rund 1000 AnhängerInnen, die in
Ballungsgebieten wie Hamburg, Göttingen und im Ruhrgebiet leben. In NRW sollen etwa 220 Mitglieder noch aktiv sein. Zweigstellen befinden sich zudem in den Niederlanden. Statt öffentliche Treffen, die wegen des Vereinsverbots ohnehin nicht möglich sind, versammelt man sich in einzelnen Moscheen oder setzt auf konspirative Zusammenkünfte.
Friedliche Koexistenz
Dass Metin Kaplan jemals eine Rolle in der Salafisten-Szene gespielt hätte, fiel in den letzten zehn Jahren nicht auf. Das gilt aber nicht für die Gruppe IADI, die sich zumindest noch vor einigen Jahren klar zu Metin Kaplan bekannt hatte. Furkan K., Azad Y. und Yasin B. sind laut eigenen Aussagen seit ihrer Kindheit in den 1990er Jahren durch den Kalifatsstaat in Köln sozialisiert und indoktriniert worden.
Das hielt Furkan K. und Azad Y. aber nicht davon ab in den 2010er Jahren Kontakte zu Predigern und Anhängern der Salafisten-Szene aufzubauen. Denn durch die erzkonservative Auslegung des Koran und der Scharia, das Streben nach dem Aufbau eines globalen Kalifats und der Selbstzuschreibung als Gruppe der "Ahlu Sunna wal-Jamaa", ergaben sich durchaus Berührungspunkte zu den Salafisten.
Furkan K. neben Pierre Vogel (Screenshot/Instagram) |
Vor allem Furkan K. beteiligte sich an einigen Treffen in der Szene. Neben häufigen Zusammenkünften mit Bernhard Falk seit 2012, traf er sich zwischen 2011 und 2014 auch mit Sven Lau und Pierre Vogel. Falk nahm hier wohl eine Vermittlerposition ein, sodass IADI in der Szene erstmal skeptisch Eingang gewährt wurde, auch wenn schon seit längerem bekannt war, dass die Gruppe sich kritisch gegenüber der "Wahhabiyya" (Wahhabismus) und Inspiratoren des heutigen Salafismus wie Ibn Taimiya positioniert hatte. IADI vertritt im Spektrum der hanafitischen Rechtsschule die Aqida der Maturidiya, die teilweise mit den Vorstellungen der Salafisten kollidieren, aber nicht zwingend zur Feindschaft führen.
Die Zusammenkünfte zwischen Salafisten und den Kalifatsstaat-Anhängern entstanden daher vielmehr im Zeichen der demonstrativen Solidaritätsbekundungen (Umma). Mit Bernhard Falk demonstrierte man bereits 2012 gemeinsam vor der EZB in Frankfurt am Main, "der Herkunftsstadt der Rothschilds", wie Furkan K. einmal schrieb. 2015 trat IADI gemeinsam mit Salafisten in Wuppertal an, um gegen die dortige Kundgebung von Pegida-Anhängern zu protestieren. Falk und ein wirres Sammelsurium von Islamisten wiederum forderte vor Jahren in Berlin gemeinsam mit den "Kasslern" vor der US-amerikanischen Botschaft die Freilassung von "muslimischen Gefangenen" wie Metin Kaplan.
Scharnierfunktion in Zeiten der Krise?
IADI bestand vor vielen Jahren noch aus einer kleinen, fast ausschließlich türkischstämmigen Gruppe. Das hat sich in den vergangenen zwei Jahren zunehmend geändert. Durch den syrischen Bürgerkrieg und der darauffolgenden Zersplitterung der Salafisten-Szene, die den führenden Predigern auch einen Image-Schaden bescherte, verschafften sich Furkan K. und seine Freunde - für Beobachter überraschend - auch bei enttäuschten Salafisten Gehör. Vor allem die strikte Ablehnung einer friedlichen Koexistenz von weltlichen Regierungen ("Taghut") neben einem islamischen Gesellschaftssystems brachten IADI Sympathien ein. Mit besonderem Fokus auf die Türkei ("Erdogan ist ein Kafir") und Saudi Arabien konnte die Gruppe im Kontrast zu Predigern wie Pierre Vogel, Hassan Dabbagh oder Abul Baraa an Profil gewinnen, kassierte aber dafür auch vermehrt Kritik aus der Szene.
So hat es die Gruppe dennoch offenbar geschafft in den letzten Jahren einige Konvertiten anzulocken. Auch auf Balkaner - Bosnier und Albaner - sowie Pan-Islamisten und Turanisten schielt die Bewegung, weil sie ein Kalifat anstrebt, das auch die turksprachigen - mehrheitlich hanafitisch orientierten Völker - mit einschließen soll. Ehemaligen IS-Anhängern dürfte die Gruppe zumindest in Einzelfällen mit ihrer schrillen und militanten Einstellung sympathisch geworden sein. So tauchte im Umfeld der Sontraer Gruppe auch ein ehemaliger Sympathisant der Terrorgruppe auf.
Muhammed E. (Screenshot/Facebook) |
Der Gelsenkirchener Muhammed E. fiel dem Blog 2015 auf, als dieser in sozialen Netzwerken Gewaltvideos und verbale Drohungen veröffentlicht hatte. Offenkundig stand der damals noch minderjährige Deutsch-Türke hinter dem selbsternannten Kalifat von Abu Bakr al-Baghdadi und bastelte fleißig Propaganda für die Terrorgruppe. Er wurde schließlich von Internetaktivisten enttarnt. Ein paar Jahre später und nach einem Gefängnisaufenthalt (Bernhard Falk kümmerte sich offensichtlich auch um ihn) tauchte er bei IADI auf.
Seitdem inszeniert sich E. als Hoca-Student und "Angestellter" (Selbstbezeichnung) von IADI. Zahlreiche Seiten auf Facebook und Instagram kreierte er mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen, auf denen er mit dem Habitus eines Gelehrten für die Gruppe agitiert. Schwarze Jalabiyya und Turban auf dem Kopf, selbstverständlich. Er spiegelt damit auch das Selbstbild von IADI wider: als Außenseiter selbstbewusst zu sein und akademisch ausgebildeten Theologen mit selektiv ausgewählten Koranversen und Hadithen die Stirn zu bieten. Denn schließlich, so das Argument, legitimierten die akademisch ausgebildeten Theologen aus Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei die weltlichen Regierungen in den islamischen Ländern.
Wer ist hier Ahlu Sunna wal Jamaa?
Dass die inhaltlichen Differenzen zwischen Salafisten und den Kalifatsstaatsanhängern deutlich größer waren wurde deutlich, als Yasin B. nach geraumer Zeit der medialen Abstinenz ein Comeback bei IADI startete. Das nutzte er gleich für einen Frontalangriff auf bekanntere Prediger der Salafistenszene. Und das trotz der Tatsache, wie Yasin B. später behauptete, dass Falk ihn jahrelang zum Stillschweigen verdonnert hätte. Bereits Pierre Vogel war zu der Gruppe aus Sontra nach zögerlichem Austausch vor Jahren auf Distanz gegangen, weil die Internet-Hocas Regierungschefs in den islamischen Ländern kompromisslos des kufr (Unglauben) bezichtigt hatten. "Palastgelehrte" wie Vogel, die auf solche Politiker nicht den Takfir anwendeten, würden sich dem "Götzendienst"(shirk) schuldig machen. Und auch die Menschen, die sich an Wahlen in solchen Ländern beteiligten, seien laut den IADI-Predigern kollektiv als "Kuffar" (Ungläubige) zu bezeichnen. Das hatte Vertrauensmann Bernhard Falk, selbsterklärter Gegner der "Vogel-Gang", mit Stillschweigen und gewiss mit einiger Schadenfreude noch hingenommen.
Dass es aber schon vorher zwischen Salafisten und IADI zu
erheblichen Konflikten gekommen war, zeigt ein Vorfall im Februar
2018. Zuvor hatte einer der Frontmänner von IADI, "der Kurde" Azad Y., die Deutsch-Türkin Duygu K. aus Göttingen kennengelernt.
Die beiden planten zu heiraten. Familientreffen wurden angesetzt, bei
denen es zu heftigen Streitereien gekommen sein soll. Vor allem der Vater der Frau, Resul K., lehnte aufgrund der Differenzen eine Hochzeit seiner Tochter mit Azad Y. ab. Offenbar bezogen sich dessen Vorbehalte nicht nur auf Terminplanungen, sondern auch auf den ethnischen und religiösen Kontext von Y.
Am 11. Februar 2018 fuhr Resul K. nach gescheiterten Vermittlungsversuchen durch Furkan K. zur IADI-Moschee nach Sontra und schoss mit zwei Pistolen auf Azad Y. Der damals 24-Jährige wurde durch zahlreiche Kugeln schwer verletzt und überlebte nur mit Glück. Bei dem ein Jahr später stattfindenden Gerichtsverfahren gegen Resul K. vor dem Landgericht Kassel trat Y. auch als Nebenkläger auf.
Genau das aber machten ihm später IS-Sympathisanten zum Vorwurf, die "Abu Hurayra", der Sohn von K., während des Prozesses unterstützt haben wollen. Ob es sich bei letzterem um den Göttinger Ferhat K. alias "Abu Hurayra" handelt, der für IADI bis 2017 als Kameramann, Interviewer und Gelegenheitsprediger tätig gewesen ist, bleibt an dieser Stelle unklar. Jedenfalls waren die Salafisten der Überzeugung, dass Azad Y. und seine Freunde trotz staatsanwaltlicher Ermittlungen und der Empfehlung ihres "Sheikhs" die Sache zivilrechtlich "nach dem Islam zu lösen", durch das separate Ersuchen um ein Urteil beim "Taghut-Gericht" "kufr al-akbar" (großer Kufr) begangen hätten, also eine Handlung, die sie aus dem Islam auszuschließen drohte. Zwar wurde Resul K. später wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu 10 Jahren Haft verurteilt. Der Fall wurde aber im Dezember letzten Jahres vom Bundesgerichtshof wegen Fehlern bei der Beweiswürdigung zur Revision ans Landgericht Kassel zurückverwiesen.
Zum öffentlichen Bruch mit der Szene kam es aber im letzten Jahr, als Yasin B., der laut Bernhard Falk erst 2017 von einer konkurrierenden Gruppe des Kalifatsstaats in Göttingen zu IADI nach Sontra gekommen sein soll, in einem Video behauptete, dass das Buch "Sharh as-Sunnah" des Gelehrten al-Hasan al-Barbahari in Wahrheit nicht aus dessen Federn stammen könne. Ein direkter Angriff auf Abdellatif Rouali, dem Prediger aus Frankfurt, der eine lange Vortragsreihe zu al-Barbahari 2017 und 2018 veröffentlicht hatte. Bernhard Falk suchte in den letzten Jahren auch die Nähe zu Rouali, weil dieser während den Streitereien in der Szene relativ unbeschädigt geblieben war, wenngleich vor allem IS-Anhänger in ihm noch einen Prediger auf dem "richtigen Weg" (manhaj) sehen. Passend dazu verwendet der Prediger bekannte Anashid des IS in seinen Videos. Und bei al-Barhabari, der von den Salafisten in eine Tradition von Ibn Taimiya und Ibn Wahhab verortet wird, hörte der Spaß offenkundig auf.
Yasin B. alias Yasin al-Hanafi (Screenshot/Youtube) |
Das war aber noch nicht alles. Yasin B. behauptete, dass die Wahhabiten aus den Mujassima und Hashwiyya hervorgegangen seien. Die Begriffe stehen für zwei Gruppen im Islam, die an ein menschliches Antlitz von Allah glaubten (Anthropomorphismus). Die Wahhabiten hätten sich danach schließlich in die Muriji'a und die Khawarij aufgespalten und seien mithin die Hauptursache für das heutige menschliche Elend und den Zusammenbruch des Kalifats, so B. Ironischerweise tauchten in den vergangenen Jahren ähnliche Vorwürfe von Ditib-Anhängern gegen die Prediger der Salafisten-Szene auf, von denen sich IADI wiederum vehement distanziert. Mit den Veröffentlichungen der letzteren war aber für die Szene offenbar eine Grenze überschritten. Zwar stimmen sie mit den Wahhabiten nicht gänzlich überein, doch kaum jemand würde Ibn Taimiya und Ibn Wahhab in eine Reihe mit den Ungläubigen stellen.
Diskutiert wurde in der Folge aber weniger auf theologischer Grundlage, sondern wie so oft in der Vergangenheit ging es auf der persönlichen Ebene zur Sache. Wüste Beleidigungen tauschten die beiden Lager miteinander aus. Nicht zu Unrecht fragte Furkan K. in Hinblick auf die jahrelang bekannte theologische Ausrichtung von IADI in Richtung Falk: "Hast du uns erst nach acht Jahren kennengelernt?" Der reagierte wiederum empört und bezeichnete die "Mini-Gruppe in Sontra" im Gegenzug als "Sekte" und "Sektierer", die es mit ihrem "fitna"-Kurs vor allem auf junge und psychisch labile Menschen abgesehen habe.
Folgerichtig zog anschließend IADI über Falks politische Vergangenheit her. Yasin B. veröffentlichte einen langen Text auf seiner Internetseite und bezeichnete darin den Wahl-Kölner als Kommunisten, der den Islam für seine Ziele missbrauche. Er stehe in der Szene auf verlorenem Posten. "Um das zu ändern ist ihm jedes Mittel recht wie z.B. seine Sympathie mit IS-Leuten, die ihn als einen Abtrünnigen und schmutzigen Ungläubigen ansehen." Genüsslich veröffentlichte der Göttinger dazu Screenshots von Falks Beiträgen in sozialen Netzwerken, in denen er linken Ikonen des Antiimperialismus wie Fidel Castro und Margot Honecker seinen Respekt zollte. In einer weiteren Veröffentlichung bezichtigte IADI Falk dann gar des Spendenbetrugs im Rahmen seiner Gefangenenhilfe, stellte ihn in die Nähe eines Heiratschwindlers und diagnostizierte bei ihm ein hohes Aggressionspotenzial, psychische Probleme und Größenwahn.
Die Anhänger von Abdellatif Rouali und Falk-Unterstützer schlugen nicht minder hart zurück. Bilder tauchten auf zahlreichen Kanälen auf, die Yasin B. in einem Bett mit Überzügen von "Versace" zeigen. "An die Leute, die fragen: hier ist der ehrenwerte Sheikh Yasin al-Mushriki", hieß es dazu sarkastisch. Ein Trailer von Yasin B. für das Video "Al-Muqawama: Die Antwort auf Abdellatif", ausgerechnet unterlegt mit einem IS-Nashid, sorgte zudem für Heiterkeit. "Versace-Bettwäsche, Sonnenbrand und Dawla-Nasheeds: In was für einer Welt lebt dieser Mushrik?" (Grabanbeter), kommentierten IS-Sympathisanten süffisant. Auch dass B. eine Mohammed-Karrikatur zur Illustrierung in einem seiner Vorträge gezeigt hatte, sorgte für Empörung. Forderungen nach einer "Live-Debatte" zwischen B. und Abdellatif wurden laut. Anhänger sollten IADI "keine Ruhe" lassen und "Im Auftrag des Shaytan" mit Nachrichten bombardieren.
Gleichermaßen setzten sich Salafisten, die sich explizit neutral zum eigentlichen Konflikt zwischen den beiden Lagern positionierten, mit der theologischen Debatte auseinander und wiesen auch nach, dass Yasin B. in einem Video über Abdellatif Rouali offenkundig ihm zugeschriebene Aussagen manipuliert hatte. Auch hier war der Tenor, dass Yasin B. mit bewussten Lügen und unzureichendem Wissen seine überwiegend jungen und unerfahrenen Anhänger überfordern und indoktrinieren würde.
Eskalation mit Ansage
Dass es nun zu dieser großen Eskalation kommen musste, war für Szene-Beobachter irgendwie auch zu erwarten. Nicht nur die ideologischen Unterschiede und Bernhard Falks Status als linker Vogel der Szene sind hierfür alleinige Ursachen. Die Gruppe um IADI geriet in den letzten Jahren aufgrund ihrer aggressiven PR-Strategie in den sozialen Medien verstärkt unter Beobachtung. Diese erwies sich zweitweise auch als erfolgreich. Gesprächspartner mit Erfahrungen in der Salafisten-Szene schwärmten in den vergangenen Jahren für die "Kassler", weil sie sich irgendwie treu geblieben seien im Gegensatz zu anderen Predigern. Dass die Szene darauf nicht positiv reagieren würde, war demnach zu erwarten. Die Appelle von Bernhard Falk und anderer Wortführer an die Jugend sich von IADI fernzuhalten, kann hierbei auch als Beleg angeführt werden.
Doch noch ein weiterer Grund dürfte eine Rolle gespielt haben. Und hier kommt der Kalifatsstaat von Metin Kaplan erneut ins Spiel. Laut Aussagen von Yasin B., Furkan K. und Azad Y. in einem kürzlich veröffentlichten Video, soll Kaplan sie vor etwa zwei Jahren aus der Gemeinschaft verbannt haben. Der Grund: Furkan K. soll sich in Gesprächen dem Kalifen gegenüber vorlaut geäußert und ihm Ratschläge erteilt haben. Ungemein mutig angesichts des totalitären Wahrheitsanspruchs eines Kalifen. Angebote zur Versöhnung seitens von IADI sollen daraufhin von der Kaplan-Gemeinde vehement abgelehnt worden sein. Die Gruppe in Sontra hätte dadurch einen Teil ihrer Anhänger verloren. Darunter Ömer C., der in den Jahren zuvor auch in Videos der Gruppe aufgetreten war.
Forderungen an Furkan K. zu einer öffentlichen Entschuldigung gegenüber Kaplan soll ersterer wiederum abgelehnt haben. Auch hier kam es zur Eskalation: Im genannten Video klagen die drei ehemaligen Zöglinge Metin Kaplan als Richter öffentlich an. Anklage-Punkte unter anderem: Führungsschwäche, Streitsucht, Bandengründung, Amtsmissbrauch, Bruch des Treueeids, Spendenveruntreuung, Mordaufruf, Verlogenheit, die Zusammenarbeit mit dem Taghut (Ditib) sowie psychische Verwirrung. Das Urteil hatten Furkan K. und Co. auch gleich zu Papier gebracht: Kaplan sei unverzüglich von seinen Ämtern zu entheben.
Ob sich die Gruppe in Sontra in Anbetracht so vieler Konflikte behaupten kann, bleibt abzuwarten. Außenseiter zu sein muss kein Untergang inmitten einer geschwächten Islamisten-Szene bedeuten. Denn die Aufmerksamkeit ist IADI nun sowohl in Deutschland als auch in der Türkei gewiss.