Spenden-Netzwerk in Syrien: Wer ist Abu Ali?





















Lange Zeit blieb unklar, wohin und an wen die Hilfsgüter von "Medizin mit Herz" in Syrien geliefert wurden. Nun scheint sich zu offenbaren, dass eine Gruppe von Männern im Norden der syrischen Provinz Idlib eine Schlüsselrolle bei der Verteilung der Spendenmittel von „Medizin mit Herz“ und anderer salafistischer Organisationen einnimmt. Das Problem: Die in Syrien operierenden Verantwortlichen pflegten in der Vergangenheit nicht nur enge Verbindungen zu deutschen Dschihadisten, sondern könnten selbst al-Qaida nahen Rebellengruppen angehören.

"Staatsschutz, BKA und Trallala"

Im Spätsommer 2014 reiste der gebürtige Pakistaner Mirza T. B. von Bergisch-Gladbach nach Syrien. Sein Ziel war die nördliche Provinz Idlib, direkt hinter der türkisch-syrischen Grenze. In seinem Gepäck: Mehrere Tausend Euro. Von der türkischen Stadt Reyhanli aus passierte er ohne große Probleme den Grenzübergang Bab al-Hawa. „Erdogan, möge Allah ihm ein langes Leben schenken, unterstützt uns“, dankte B. in einem Video dem türkischen Premier. Irgendwo in der syrischen Grenzregion des "Dreistädteecks" - Harem, Salqin und Kafr Takharim - weit im Norden der Provinz Idlibs, traf er auf zwei Männer: Einen sympathischen jungen Deutsch-Tunesier namens Sabri B. A. und einen Syrer, der von den beiden in Videos als Mus'ab Ali vorgestellt wurde.
Mirza T. B.





















Sabri B. A., ein bekannter Salafist aus Köln, war auf Wunsch von „Timur“, wie Islamisten ihn in Deutschland nennen, nach Syrien gekommen. Mit seinen HD-Kameras und seiner redaktionellen Expertise für salafistische Medienplattformen, sollte Sabri B. A. den salafistischen Greis bei den Spenden-Verteilungen in der nördlichen Grenzregion für Propagandazwecke wirkungsvoll in Szene setzen. B. A. kannte sich in Idlib bereits gut aus. 2013 war er mit anderen Islamisten der Düsseldorfer Hilfsorganisation „Helfen in Not“ nach Syrien gereist. In Harem soll er dann bei der Verschleppung dreier deutscher Mitarbeiter von „Grünhelme e.V.“ durch syrische Extremisten beteiligt gewesen sein. Deutsche Behörden verhöhnt B. A. in Videos aus Syrien mit dem Satz: "Der Staatsschutz, BKA und Trallala, hier kannst du gucken, was böse Muslime so in Syrien treiben."

Der Zweite im Bunde, der Syrer Ali, der von Mirza T. B. auch mit der Kunya "Abu Ali" angesprochen wurde, trat bisher in den sozialen Netzwerken für eine Hilfsorganisation mit dem Namen „Nasaem Al Mahabba – die Gemeinde von Kafr Takharim“ auf.  Wie Mirza T. B. berichtete, stamme der Mann mit dem langen schwarzen Rauschebart aus den Bergen nördlich von Idlib. Im syrischen Bürgerkrieg habe er zwei Schwiegersöhne verloren, die im Kampf "shahid" gefallen seien.
Der Kölner Sabri B. A.
Vermutlich half Abu Ali den beiden deutschen Salafisten nicht nur dabei Geld und Hilfsgüter in Nordsyrien unter das Volk zu bringen, sondern er bürgte wohl auch mit seiner Anwesenheit für die Sicherheit von "Timur" und B. A., die sich mit ihren deutschen Pässen in den Kerngebieten radikal-islamistischer Rebellengruppen bewegten und trotz ihrer islamistischen Gesinnung potentielle Ziele für Entführungen und Anschläge waren. Ali begleitete "Timur" und "Bruder Sabri" stets bei ihren Touren und führte sie zu Familien meist gefallener Gotteskrieger, wobei unklar ist, welcher Gruppe diese angehörten.

"Wir werden sie zur Schule schicken und dann aus ihnen eine Elitetruppe machen"
 
In den Videos, die Sabri B. A. später auf der einschlägig bekannten „Habibiflo“-Plattform auf „Youtube“ („Die Wahre Religion“) dann hochlud, offenbarten "Timur" und seine Mitstreiter ihre eigentliche Mission in Syrien. „Hier herrscht die Sharia. Hier werden die Frauen nicht von den Yeziden, Shias und Kuffars beleidigt wie in Deutschland. Und wir sind die Soldaten der Sharia“, erklärt der Deutsch-Pakistaner in einem Filmausschnitt. Eine vollkommen verschleierte Frau steht hinter ihm. Mit dicken Bündeln von Geldscheinen - Euro und syrische Pfund - wedelt er vor der Kamera herum und drückt sie nach einer langen Vorrede in die kleinen Hände syrischer Kinder.

Ob das Geld aus Deutschland stammte, dass seine Brüder in Köln, Siegen und Bergisch-Gladbach aus den Einbrüchen und Diebstählen in Kirchen und Schulen locker gemacht hatten? Das ist derzeit unklar. Doch Mirza T. B. steht derzeit wegen solchen Vorwürfen vor Gericht. In Syrien warb er jedenfalls in seiner Funktion eines Geldeintreibers bei seinen „lieben Geschwistern und Nichtmuslimen“ darum, den „Waisenkindern“ in Idlib zu spenden. Es sei ihre Pflicht, die „Ummah“ zu retten. „Auch wenn du von Hartz 4 lebst kannst du diese Familien monatlich mit 50 Euro unterstützen“. Diejenigen, die nicht spendeten, seien verdammt und würden die Folgen ihres Handelns auf die eine oder andere Weise zu spüren bekommen.

Die Kinder, so Mirza T. B., seien die einzige Hoffnung für die Muslime in Syrien. „Das ist die Zukunft für die Ummah und den Islam“, sagt er beispielsweise in einem Video und deutet dabei auf einen fünf- oder sechsjährigen Jungen. „Das Geld wird - inshallah bismillah - mit den Plänen, die wir haben, den Kindern eine Zukunft geben. Wir werden sie zur Schule schicken und dann aus ihnen eine Elitetruppe machen". Diese würden dann den Kampf für die Ummah weiterführen. "Ich finanziere nun eine Familie seit zwei Jahren und ich werde dies weiterhin tun, bis, inshallah, diese Kinder in den Kampf ziehen werden."

Für das Eintreiben der deutschen Spendengelder habe man eine Hilfsorganisation gegründet. Ihr Name: „Organisation für Frieden und Hilfe (OPH)“. Die Einträge auf der Facebook-Seite der „Organisation“ deuten darauf hin, dass die Arbeit Mitte November 2014 eingestellt wurde. Denn die meisten „Mitarbeiter“ waren wohl zu diesem Zeitpunkt bereits von Ermittlungsbehörden festgenommen worden. Darunter auch Mirza T. B. Die Vorwürfe: Dutzende Einbrüche und Diebstähle in Deutschland, Betrug, Unterstützung von terroristischen Vereinigungen wie "Ahrar al-Sham" und "ISIS", sowie das Einschleusen von mindestens zwei deutschen Dschihad-Kämpfern nach Syrien. „Timur wurde wegen seiner humanitären Arbeit für Syrien festgenommen.“, behaupten dagegen seine Unterstützer von „Ansarul Aseer".

Facebook-Präsenz von Nasaem Al Mahabba
Schwierige Suche nach den Adressaten der Gelder

Scheint der Geldfluss von "Timur" an die Dschihadisten in Harem und Kafr Takharim im November 2014 also versiegt  zu sein, zeigte die von Mohamed B.'s geleitete Organisation „Medizin mit Herz“ bisher eine große Bereitschaft, dem Syrer "Abu Ali" und dessen Vereinsableger Hilfsgüter in erheblichen Umfang zukommen zu lassen. Fast wöchentlich veröffentlicht B. auf der Facebook-Seite des Vereins die stets auf die selbe Art und Weise gestellten Bilder mit Mus'ab Ali, der mit kleinen Kindern und Tüten voller Lebensmittel posiert. Ob Sabri B. A. auch für Mohamed B.'s Organisation Videos und Bilder produziert ist unklar. Zumindest machte der Inhaftierte "Timur" in einem Video klar, dass "Ali" und "Sabri" auch unabhängig von ihm in Idlib zusammenarbeiten würden. Doch ist die Verbindung von B. und den beiden anderen über den Syrer "Abu Ali" ein Zufall ?

Eine intensivere Recherche über den Verein, die Abu Ali angeblich in Kafr Takharim repräsentiert, liefert Indizien dafür, dass der Mann Verbindungen zu militanten Gruppen hat. Denn auf Facebook existieren Internetpräsenzen der Organisation sowohl in arabischer als auch englischer Sprache. Auf einer dieser Seiten deuten zunächst mehrere Text-Beiträge darauf hin, dass der Verein mit anderen islamistischen Vereinigungen vernetzt ist und durch die katarische Stiftung "Qatar Charity" ebenfalls mit Hilfsgütern unterstützt wird.

Auffällig sind zudem die geposteten Videos und Bilder mit "Abu Ali", die für die Organisation "Medizin mit Herz" produziert wurden. Brisant ist jedoch insbesondere ein Link-Verweis ("www.facebook.com/muhammad.seif.54") auf der linken Hälfte der beiden Facebook-Seiten. Er führt auf das Profil eines jungen Mannes namens "Muhamad Hamed", der sich ebenfalls in Kafr Takharim aufhalten soll und wohl der Gründer von "Nasaem Al Mahabba" ist.

Der Mann ist offenbar ein Kämpfer. Hochgeladene Bilder zeigen ihn mit Sturmhaube über dem Kopf und einem Scharfschützengewehr in seinen Händen. Weitere Bilder zeigen den Mann vor einem Graffiti mit dem Siegel des Propheten posieren. Obwohl "Muhamad Hamed" syrischer Herkunft sein soll, scheint er die deutsche Sprache zu verstehen, denn unter seinen Favoriten ist auch der deutsche Radiosender "Radio Uhaid" zu finden, "der für die deutschsprachige Ummah" islamistische Propaganda verbreitet. Ob der Mann womöglich mit Mohamed B. verwandt ist, ist unklar.
Aufgrund instabiler Dynamiken vor Ort: grobe Zuordnungen der Herrschaftsbereiche im Norden Idlibs
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Organisation von Mohamed B. über "Abu Ali" und "Muhamad Hamed" die Hilfsgüter an die Terrororganisation Jabhat al Nusra weiterleitet (oder an die Familien ihrer Kämpfer), ist durch die erhebliche Veränderung der Machtkonstellationen in der Provinz Idlib als wesentlich höher einzustufen, als noch zu "Timurs" Syrien-Reisen im Sommer letzten Jahres. Denn im darauffolgenden Herbst 2014 gelang es der Nusra Front konkurrierende Dschihadistengruppen (u.a. auch die von den USA unterstützte Rebellengruppe "Harakat Hazzm") aus der Provinz zu vertreiben und stattdessen die Kontrolle über weite Gebiete zu übernehmen. So fielen auch die Städte Harem, Salqin und Sarmada in die Hände der mit al-Qaida vernetzten Terrortruppe, die nur wenige Kilometer von Kafr Takharim entfernt liegen, dem Zielort der Hilfsgüter von "Medizin mit Herz".

Der syrische Journalist Edward Dark (Pseudonym), der für die renommierte libanesische Zeitung „Al-Monitor“ aus der umkämpften Großstadt Aleppo berichtet, bestätigte dem Blog, dass die Nusra Front im Grunde die gesamte Provinz Idlib kontrolliere. Alle anderen Rebellen seien entweder geflohen oder würden sich dem Diktat der Gruppe unterwerfen. Die Präsenz der Nusra-Brigaden in Städten und Dörfern rund um Kafr Takharim kann also nicht geleugnet werden. Zugleich beherrscht die nicht minder brutale Islamistengruppe "Ahrar al-Sham" den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa.
Screenshot "Facebook": Muhamad Hamed
In jedem Fall also müssen die Lastwagen von "Medizin mit Herz" auf dem Weg nach Kafr Takharim über Bab al-Hawa Gebiete passieren, die von radikalen und brutalen sunnitischen Dschihadisten kontrolliert werden, die je nach Tageslage gegeneinander oder miteinander kämpfen. Die Islamisten würden niemals die deutschen Transporte durchlassen, wenn ihnen nicht klar sein dürfte, von wem diese Hilfsgüter kommen und wer von diesen profitiert.

Die Indizien verdichten sich, dass „Medizin mit Herz“ ihre deutschen Spender entgegen ihrer selbst propagierten Grundsätze, Menschen in Not „ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft und ihrer politischen oder religiösen Überzeugung" zu helfen, getäuscht haben könnte.

Statt die Hilfsgüter an die über eine Million Flüchtlinge in der Türkei zu verteilen, zog es Mohamed B. offenbar vor, in den von dschihadistischen Kräften dominierten Gebieten zu operieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich durch Ermittlungen der Sicherheitsbehörden konkretere Beweise aufbringen lassen werden.