Sonntag, 8. Oktober 2023

Drohnen als Waffe: Neue Dimensionen der Gefahr

Drohnen verändern zunehmend das Gesicht des Krieges. Terroristische Gruppierungen greifen verstärkt auf sie als Waffe zurück. Hat das auch Folgen für die Terrorismusbekämpfung?

Drohnen als "Gamechanger"

Der terroristische Angriff der radikalislamischen Hamas Anfang Oktober 2023 hat für weltweites Entsetzen gesorgt. Zahlreiche Menschen wurden getötet oder entführt. Die Hamas setzte bei ihren Angriffen offenkundig auch Drohnen ein. Videos der Gruppe zeigen, wie Piloten Sprengsätze, die an den Drohnen befestigt waren, auf Panzer fallen ließen und diese zerstörten. Ein Schock für Israel, dessen Armee zu den modernsten und schlagkräftigsten der Welt gezählt wird. Es bedeutet auch eine deutliche Zuspitzung des asymmetrischen Krieges, den terroristische Gruppierungen bislang geführt haben. Und sie hat Konsequenzen für die bisherige Terrorismusbekämpfung.

Die USA waren lange Zeit Vorreiter bei der Entwicklung von Kampfdrohnen. Der US-amerikanische Waffenhersteller General Atomics entwickelte für das US-Militär beispielsweise die "General Atomics MQ-9", kurz "MQ-9 Reaper" genannt, die für Aufklärungs- und Kampfeinsätze verwendet wird. Auch in Ländern, in denen islamistische Terrorgruppen aktiv sind, wurde die MQ-9 Reaper verstärkt eingesetzt, um Feindbewegungen zu beobachten und Luftangriffe durchzuführen. Sie ersetzte damit teilweise den Kampfeinsatz eigener Soldaten und reduzierte das Risiko, eigene Verluste hinnehmen zu müssen. Doch der Drohnen-Einsatz wird bis heute kontrovers diskutiert. Zahlreiche Zivilisten kamen bei Angriffen bislang ums Leben. Als die Bundesregierung über die Anschaffung eigener Kampfdrohnen nachdachte, entbrannte eine Diskussion über "Kollateralschäden" und zur Ethik der Kriegsführung. Doch die USA sind heute trotz ihrer technologischen Vorreiterrolle bekanntlich längst nicht mehr das einzige Land, das über Drohnen verfügt. China, die Türkei ("Bayraktar TB2") und Russland haben aufgeholt und eigene Modelle entwickelt. 

Auch der Iran hat seit einigen Jahren ein eigenes Drohnen-Programm. Die "Shahed 136" beispielsweise, eine "Kamikazedrohne", die unter Regime-Anhängern aufgrund ihrer billigen Anschaffungskosten als fliegende Waschmaschine verniedlicht wird und die mit einem Sprengkörper bestückt in Ziele gesteuert wird, wurde von dessen Revolutionsgarden bereits im Irak und im eigenen Land gegen Aufständige eingesetzt. Sie wird aber längst auch exportiert. Im Jemen soll sie bereits auf saudische Truppen geflogen worden sein. In der Ukraine soll Russland neben dem eigenen Modell "Lancet" die "Shahed 136" unter dem Namen "Geran-2" einsetzen. Und auch die schiitische Hisbollah-Miliz soll sie bereits erhalten haben, wie das MEMRI-Institut im Juli dieses Jahres berichtete.

Drohnen als Schreckenswaffe

Drohnen sind also längst auch bei terroristischen Gruppierungen angekommen. Bereits im syrischen Bürgerkrieg kamen sie bei mehreren Konfliktparteien zum Einsatz. Erst als Mittel zur Feindaufklärung für Bomben- und Artillerieangriffe, dann schließlich auch als Kampfwaffe. Vor allem der IS kaufte seit 2016 über Mittelsmänner in der Türkei massenhaft kommerzielle Quadrocopter aus chinesischer Produktion ein und baute sie so um, dass sie tragfähiger für kleine Sprengsätze wurden. Durch die Manipulation der Hard- und Software gelang es seinen Technikern, dass Komponenten der Drohne als Halterung für Granaten eingesetzt werden konnten. Zahllose Videos wurden in den letzten Kriegsjahren vom IS veröffentlicht, die zeigen, dass die Bastel-Kampfdrohnen syrischen und irakischen Truppen schwere Verluste zufügen konnten. In Straßenkämpfen konnten die Drohnen, die meistens mit einer Kamera ausgestattet sind, feindliche Truppen hinter Ecken und in Gebäuden aufspüren und bekämpfen. Aber auch bei Selbstmord-Attentaten mit Fahrzeugen dienten die Drohnen als Navigier-Hilfe für die Attentäter. Gerade erst eskalierten die Kämpfe in Syrien, nachdem Rebellen in der Provinz Idlib eine Kamikaze-Drohne in eine Versammlung von regimetreuen Militärs in Homs gelenkt hatten. Fast 100 Menschen, darunter viele Kadetten, starben bei dem Angriff.

Drohnen haben demnach sowohl für staatliche wie nichtstaatliche Akteure im Kampf sehr große Vorteile: sie können für geringe Kosten angeschafft werden; sie sparen den unmittelbaren Einsatz von Menschenleben und ermöglichen es den Piloten, unentdeckt zu bleiben; sie egalisieren oder relativieren das Prinzip der Luftherrschaft; sie garantieren Mobilität (sie können einfach ein- und ausgepackt oder per mobiler Startrampe gestartet werden);  - und sie haben einen Überraschungseffekt, der auch Schrecken verbreitet. Aus psychologischer Perspektive kann die große Entfernung zwischen Pilot und seinem Ziel dementsprechend auch bei ersterem zu einer Abstumpfung und Gleichgültigkeit führen. In Syrien, im Irak und auch in der Ukraine sind und waren die Drohnen offenkundig berüchtigt. Denn häufig bemerken Soldaten und Zivilisten erst unmittelbar vor dem Einschlag ihr Herannahen. In der Regel gibt es keine Chance zur Flucht oder Zeit, rechtzeitig in Deckung zu gehen. Schon kleine kommerzielle Renndrohnen können eine Geschwindigkeit von bis zu 140 km/h aufnehmen und eine Reichweite von über acht Kilometern erzielen.

Diese Entwicklungen im asymmetrischen Krieg, die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und im Nahostkonflikt haben auch Implikationen für die Terrorismusbekämpfung. Denn längst gehören Drohnen zum möglichen Repertoir von Tatwaffen. Bereits 2021 wurden in Bangladesch drei Anhänger der Neo-Jama'at Mujahideen Bangladesh verhaftet, weil sie verdächtigt worden waren, mit Drohnen einen Angriff auf Regierungsgebäude geplant zu haben. Erst im September dieses Jahres verurteilte ein britisches Gericht einen 27-jährigen IS-Anhänger zu einer Haftstrafe, weil er mit einem 3D-Drucker eine Kamikaze-Drohne gebaut hatte. Der Ingenieur und Doktorand habe vorgehabt, einen Sprengsatz oder eine chemische Waffe an der Drohne anzubringen und bei einem Angriff einzusetzen. Wie mit solchen Risiken umgehen?

Drohnen zwischen Kommerz und Krieg

Die Drohne als Angriffs- und Kampfwaffe stellt eine erhebliche Herausforderung im Zusammenhang mit terroristischen Angriffen dar. Doch sie hat auch als Spielzeug, Kamera-Plattform und Arbeitsmaschine längst millionenfache Verwendung gefunden. Dass sie auch für Anschläge genutzt werden könnte, erkannten deutsche Sicherheitsbehörden schon früh. Für kleine Drohnen, die auch Unfälle u.ä. verursachen können, hat der deutsche Gesetzgeber zum Schutz der kritischen Infrastruktur und Menschen dementsprechend reagiert. Die Nutzung von "unbemannten Luftfahrzeugen" (unmanned aircraft systems - UAS) wird im Luftverkehrsgesetz (LuftVG) und mit der Drohnenverordnung speziell seit 2017 in der Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO) geregelt. 

Seit 2021 gilt zusätzlich bzw. ergänzend auch in Deutschland die EU-Drohnenverordnung, die je nach Art der Nutzung einen Drohnenführerschein und eine Versicherung vorschreibt. Drohnen werden seitdem in fünf Risikoklassen und drei genehmigungspflichtigen Anwendungsszenarien (darunter auch der Transport gefährlicher Güter und der Abwurf von Gegenständen) unterteilt. Zudem müssen sich Piloten mit Ausnahme derjenigen mit Drohnen von unter 250 Gramm Gewicht und ohne Kamera beim Luftfahrt Bundesamt registrieren und diese entsprechend kennzeichnen. Flugzonen und Flugverbotszonen werden gesonders in den EU-Ländern geregelt. So müssen Drohnen in Deutschland beispielsweise mehrere Kilometer Abstand zu Flugplätzen halten. Auch Autobahnen, Bundesfernstraßen, Wasserwegen, Bahnanlagen, Kraftwerken und anderen Orten der kritischen Infrastruktur müssen sie fernbleiben. Ebenfalls  dürfen Drohnen mit über 250 Gramm Gewicht nicht über Wohngrundstücken ohne ausdrücklicher Genehmigung fliegen.

Im Krieg können sich Angriffsziele gegen kleine Drohnen meistens nur effektiv wehren, wenn sie Luftabwehrwaffen oder Anti-Drohnen-Waffen zur Verfügung haben, die das Funksignal (vor allem die Bildübertragung) zwischen dem Piloten und der Drohne stören und letzteres dadurch außer Kontrolle geraten soll. In Mali nutzte beispielsweise die Bundeswehr den HP-47-Effektor-Störsender. Dort und in Afghanistan habe die Truppe nahezu tägliche Überflüge von kleinen Drohnen (small Unmanned Aerial Systems (sUAS)) über ihren Camps beobachtet, die von den Piloten wohl für Aufklärungszwecke genutzt worden seien. Auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine häuften sich in Deutschland Meldungen über die Anwesenheit von möglichen Spionagedrohnen in der Nähe von Ausbildungs- und Truppenübungsplätzen der Bundeswehr.

Machbarkeit oder Notwendigkeit?

Das Bundeskriminalamt sowie die Bundes- und Landespolizeien haben in den letzten Jahren dementsprechend aufgerüstet und verfügen über technische Systeme zur "Detektion" und Abwehr von Drohnen, darunter ebenfalls der HP-47. Mehrmals sollen die Störsender schon zum Einsatz gekommen sein, allerdings nicht immer mit Erfolg. In Sachsen beispielsweise wird im Zuge der Vorbereitungen auf die Fußballeuropameisterschaft 2024 über den Aufbau einer umfangreichen Drohnenabwehr diskutiert. Innenminister Armin Schuster will hierfür Störsender und Netzwerfer anschaffen. Bei letzterem, darunter das "SkyWall 100", welches das BKA bereits schon nutzt, handelt es sich um eine schultergestützte Abschussvorrichtung, die per Luftdruck ein Fangnetz-Projektil auf eine Drohne schießt, die dadurch funktionsuntüchtig gemacht wird und mit einem Fallschirm sicher zu Boden gleitet.

Unklar ist, welche Maßnahmen Behörden tatsächlich ergreifen können, wenn beispielsweise Kamikazedrohnen in nicht speziell gesicherten Bereichen unmittelbar auftauchen und mit hoher Geschwindigkeit auf ihr Ziel zusteuern. Hier liegt die Reaktionszeit bei nur wenigen Sekunden im Gegensatz zu Drohnen, die über ihrem Ziel erst manövrieren müssen, bevor sie ihre Last abwerfen. Genauso unklar ist, ob die private Herstellung von Drohnen (z.B. per 3D-Drucker) oder Software-Manipulationen tatsächlich effektiv verhindert werden können. Insofern stellen sich weitere Fragen, über die gewiss im Kontext des rasanten Entwicklungsschubs von Drohnen als Waffen zukünftig stärker diskutiert werden dürften. 

Darunter beispielsweise: Müsste der Kauf und Verkauf von Drohnen noch stärker reguliert werden? Müssten Hersteller noch stärker verpflichtet werden, ihre Drohnen vor Manipulationen zu schützen? Oder: sollte es überhaupt ein allgemeines Recht geben, Spielzeuge, die potenziell auch als Waffen eingesetzt werden können, zu kaufen? Fragen, die offenkundig auch Freiheits- und Sicherheitsinteressen in ein Ringen zwingen.