Computerspiele als relevantes Medium der Propaganda

Der Dschihad besetzt mit aller Macht immer mehr Bereiche in der virtuellen Welt. Mittlerweile geraten auch Computerspiele in den Fokus von Terrororganisationen und jungen Islamisten. Was von Spieleentwicklern für den Freizeitspaß gedacht war, bietet der Propaganda neue Spielräume der Sozialisation.

Digital Natives  

Die Propaganda dschihadistischer Gruppierungen hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer organisierten Industrie multimedialer Erzeugnisse entwickelt. Videos werden nach Regie-Anweisungen Schritt für Schritt und durch versierte Kamerateams gedreht. Fotos werden mit Software-Programmen zu Hochglanz-Bildern aufpoliert. Und Meldungen und Schriften werden in dutzenden von Sprachen übersetzt. Von einem grundlegenden Paradigmenwechsel der dschihadistischen Medienarbeit kann daher gesprochen werden.

Die facettenreiche Propaganda richtet sich vor allem an die globale islamische Jugend. Denn die meisten von dieser Zielgruppe gehören zu den Digital Natives, die mit Computern, Internet und Kino-Blockbustern groß geworden sind. Sie stellen aufgrund ihrer westlich-konsumorientierten Sozialisation Ansprüche an das, was sie sehen wollen. Nur wenige fühlen sich noch von qualitativ mangelhaften Inhalten angesprochen, bei denen der Adrenalin-Kick ausbleibt. 

Das wissen auch die Organisationen "Islamischer Staat" (IS) und Co. Viele ihrer Medienschaffenden, die nahezu im Minutentakt neue Inhalte produzieren, gehören folgerichtig selbst zu dieser begehrten und leicht zu manipulierenden Zielgruppe. Sie wissen genau, was ihre Generation antreibt, sie begeistern kann oder zum Nachdenken bringt.

Der Ego-Shooter als Vorbild 

Es ist kaum zu bestreiten, dass der IS mit seinen an Grausamkeit nicht zu überbietenden Snuff-Videos sogar beim nicht-muslimischen Publikum einen gewissen Voyeurismus und dadurch auch eine emotionale Abstumpfung erreicht hat. An deutschen Schulen werden längst unter Schülern IS-Propagandavideos von einem Smartphone zum anderen verschickt. Nicht selten folgt auf den ersten Schock die Neugier. In Gruppen mag noch Unsicherheit und Belustigung zugleich herrschen. Gelacht wird dann über echte Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannt, ertränkt oder in die Luft gesprengt werden. 

Viele Videos des IS erinnern an "Splatterfilme", millionenteure Hollywoodproduktionen, bei denen der Unterhaltungswert vor allem darin liegt, dass die Opfer auf absurde und grausame Weise ums Leben kommen. Bei der Terrororganisation dagegen werden echte Waffen und Menschen gegen die harmlosen Filmrequisiten eingetauscht.

Ein weiterer Einfluss ist in der Propaganda des IS deutlich erkennbar, der seinem Publikum sicher kaum entgangen sein wird. Vieles, was bei den Tötungsorgien zu beobachten ist, kennt so ziemlich jeder der Generation Y aus Computerspielen. In diesem Spektrum sind vor allem "Ego-Shooter" sehr beliebt. Spieler schlüpfen in die Rollen von Heldenfiguren und müssen sich in Missionskampagnen oder offenen Spielen den Weg frei kämpfen. Die Bewaffnung kann dabei sehr ausgefallen sein: Messer, Maschinengewehre, Panzerfäuste bis hin zu Panzern und Artillerie. Mit dieser Ausrüstung gilt es die Gegner auszuschalten. 

In den letzten Jahren orientierten sich Spieleentwickler immer stärker an realistischen Darstellungen des Krieges. Viele Ego-Shooter enthalten Spezialeffekte wie Blut, amputierte Gliedmaßen und visuell inszenierte Traumata. Auch die künstlich erschaffenen Welten, in denen sich die Spieler bewegen können, werden authentischer und teilweise bestimmten geografischen Regionen detailgetreu nachempfunden. Es gibt Millionen von Konsumenten, die das anspricht. Terrororganisationen adaptieren diese Trends für ihre Propaganda.

In zahlreichen Propagandavideos sowohl vom IS als auch syrischer al-Qaida-Gruppen kommen Gestaltungselemente aus solchen Spielen zum Einsatz. Kämpfer binden sich Go-Pro-Kameras um die Stirn oder den Helm und filmen während den Kämpfen aus der Ego-Perspektive. Die Zuschauer schlüpfen durch die Atmosphäre aus vorbeifliegenden Kugeln und lauten Detonationen quasi in die Rolle des Filmenden. In anderen Videos werden Scharfschützen dabei gefilmt, wie sie ihre Gegner aus großer Entfernung ausschalten. Das Rohmaterial wird grafisch dann so nachbearbeitet, dass Fadenkreuze von Zielfernrohren künstlich eingeblendet und auf die Opfer gelenkt werden. Der Dschihad wird zu einem Abenteuer, ja zum spielerischen Erlebnis verklärt. 

Virtuelle Trainingslager?

 Seit Jahren wird über "Killerspiele" hitzig diskutiert. Kritiker schimpfen, Ego-Shooter förderten bei den Konsumenten Aggressionen und Machtfantasien als Kompensation persönlicher Kränkungen und Niederlagen. Einzelfälle, bei denen Amokläufer vor ihrer Tat am PC das Töten übten, werden dabei häufig angeführt. Die Gaming-Community hält dagegen: Das Töten gehöre ausschließlich zum virtuellen Freizeitspaß, welches darüber hinaus Auffassungsgaben und Reaktionsvermögen trainierten. Mehrere Studien namhafter Universitäten haben diese Argumente in der Vergangenheit untermauern können. Andere Forscher wiederum wollen Hinweise gefunden haben, dass der exzessive Konsum von Gewaltspielen zu Veränderungen der Hirnaktivität führen können. Die Spieler stumpften dadurch auch in der Realität gegenüber Gewalt emotional ab. 

Tatsächlich aber nutzen auch Streit- und Sicherheitskräfte auf der ganzen Welt Ballerspiele, um ihre Soldaten auf bestimmte Einsatz-Szenarien vorzubereiten. Team-Koordination, das Auskundschaften schwierigen Terrains sowie Kampf-Taktiken sollen damit trainiert werden. Zwar ersetzen Computerspiele wohl kaum den richtigen Umgang mit Waffen. Grafisch detailgetreu nachgebaute Orte, mögliche Hindernisse und Gefahren sowie verfügbare Kommunikations- und Ausrüstungskapazitäten lassen sich dennoch durchaus realitätsnah simulieren.

In den letzten Jahren ist eine Tendenz zu beobachten, dass sich vermehrt auch islamistisch motivierte Spieler in einschlägigen Foren versammeln und eigene "Clans" gründen. Teams von Zockern also, die in Computerspielen wie "Armed Assault" über Interaktion und taktische Absprachen gemeinsam gegen gegnerische Gruppen operieren. Wie das konkret aussieht, demonstrieren zahlreiche Videos, die auf Plattformen wie Youtube hochgeladen wurden. Häufig darin zu sehen: Spieler, die sich wie die echte Dschihadisten in Afghanistan, Syrien und im Irak das entsprechende Outfit zugelegt haben. Sie tragen Turbane, Militärkleidung und IS-Embleme. Sie trainieren zusammen Guerilla-Angriffe in unwegsamen Gelände, verüben Selbstmordattentate und legen Hinterhalte auf gegnerische Clans.

Machtausübung und Gehorsam

Wie in den Spielen fehlt in realen Konfliktgebieten meist ein funktionierendes Sanktionsregime, dass Straftaten wie Kriegsverbrechen konsequent verfolgt. Im Dschihad allein gilt ohnehin nur das Gesetz Allahs - und das des Kommandanten, der durch seine Befehlsgewalt Recht spricht, nämlich dadurch, dass er Macht über die anderen ausübt. Gleichzeitig üben die Gehorsamen Macht über die Hilflosen aus, denn sie können sich stets auf das gesetzte Recht und die Autorität über ihnen berufen. Im Spiel gibt es ebenfalls meist einen Team-Leader, der den anderen zeigt, wo es lang geht. Die Tötung von verletzten Gegnern und Zivilisten erfolgt, wenn und weil der Spieler das darf, er die Macht hat Gewalt auszuüben und sich vor dem fiktiven oder realen Gesetz dafür nicht verantworten muss. 

Vor allem Computerspiele, die durch eifrige Amateur-Programmierer nach eigenen Vorstellungen umgeschrieben und grafisch modifiziert werden, bieten den Möchtegern-Gotteskriegern eine ideale Plattform zur Auslebung ihrer in der Realität verbotenen Fantasien. Sie stellen Hinrichtungsszenen nach, nehmen Geiseln oder produzieren eigene Propagandavideos im Namen diverser Terrororganisationen und unterlegen sie mit Anashid.

Ob Ego-Shooter tatsächlich ein Faktor bei der Radikalisierung angehender Dschihadisten sein könnten, sollte an dieser Stelle aufgrund mangelnder Erfahrungen zunächst unbeantwortet bleiben. Doch die offenkundige Rezeption und propagandistische Instrumentalisierung von virtuellen Handlungs- und Gestaltungsmustern aus Computerspielen, ergänzt das ohnehin vielseitige Spektrum islamistischer Radikalisierungswelten.