Der Deutsch-Ägypter Reda Seyam reiste über Umwege zum Islamischen Staat (IS). Nachdem er sich als Propagandist und Kameramann profilierte, fungiert er nun offenbar als Chef des Bildungsbüros der Terrororganisation. Und in dieser Funktion soll er mittlerweile eine Gleichschaltung des Bildungssystems forcieren.
Geld vom verhassten Staat
In Berlin führte Reda Seyam mit seiner zweiten Ehefrau und seinen sieben Kindern ein angenehmes Leben. Mit monatlich über 2300 Euro Hartz-IV ließ es sich auch gut im Land der "Kuffar" aushalten. Als Vorsitzender der As-Sahaba-Moschee im Berliner Wedding gewährte ihm der verhasste Staat sogar weiterhin die Freiheit Muslime wie die Konvertiten Florian L. oder Denis Cuspert aufzuhetzen. Und doch trieb es Reda Seyam Mitte 2012 nach Aufenthalten in Bosnien, Saudi-Arabien und Indonesien wieder ins Ausland. Das Ziel: Syrien.
Über die Zwischenstation Ägypten flog er zunächst in die Türkei. In der Grenzstadt Reyhanli im Süden der Provinz Hatay, richtete er laut Medienberichten eine Art Sammelstelle für deutsche Dschihadisten ein, um diese nach Syrien einzuschleusen. Möglicherweise war Seyam einige Zeit auch für die Koordinierung bei der Verteilung von Gütern salafistischer Hilfsorganisationen aus Deutschland mitverantwortlich. Im Frühjahr 2013 reiste Seyam dann als Kameramann des katarischen Fernsehsenders al-Jazeera durch die syrischen Provinzen Aleppo, Idlib und Latakia. Bereits Anfang der 2000er Jahre hatte er bei dem Sender mehrere Praktika für die Kameraarbeit absolviert.
Als im August 2013 eine Koalition bestehend aus syrischen und ausländischen Dschihadisten von ISIS, Ahrar al Sham, FSA, Nusra Front und Jaish al-Muhajireen wal-ansar unter Führung des Libyer Abu Suhaib ins alawitische Kernland am Mittelmeer einfiel, sah man auch Reda Seyam mit Kamera und Stativ im Anhang der brutalen Terrorgruppen.
Reda Seyam in Latakia |
Mit dem syrischen "Oppositionsaktivisten" und Mitglied der Syrian Revolution General Commission, Milad Fadel, der seine Propaganda über das "Doha Center for Media Freedom" direkt auf al-Jazeera verbreiten durfte, berichtete Seyam über den Vormarsch der Dschihadisten in Latakia. Dass diese dann nahe der Heimatstadt des ehemaligen Diktators Hafez al-Assad, Qardahah, hunderte alawitische Zivilisten ermordeten und weitere 200 Menschen als Geiseln nahmen, unterschlug der katarische Nachrichtensender in seiner Berichterstattung jedoch.
„Diese Operation war eine koordinierte und geplante Attacke gegen die Zivilbevölkerung dieser alawitischen Dörfer.", schrieb Human Rights Watch (HRW) später in einem über 100-seitigen Ermittlungsbericht über die Kriegsverbrechen der Opposition. Es gibt keine Beweise, dass Reda Seyam bei den Massenexekutionen mit seiner Kamera dabei gewesen ist, doch sein Lebenslauf mit Aufenthalten in Bosnien, bei denen er auch Kriegsverbrechen der Mujahedin filmte und propagandistisch inszenierte, zeugen nicht von eigenen moralischen Grenzziehungen.
„Diese Operation war eine koordinierte und geplante Attacke gegen die Zivilbevölkerung dieser alawitischen Dörfer.", schrieb Human Rights Watch (HRW) später in einem über 100-seitigen Ermittlungsbericht über die Kriegsverbrechen der Opposition. Es gibt keine Beweise, dass Reda Seyam bei den Massenexekutionen mit seiner Kamera dabei gewesen ist, doch sein Lebenslauf mit Aufenthalten in Bosnien, bei denen er auch Kriegsverbrechen der Mujahedin filmte und propagandistisch inszenierte, zeugen nicht von eigenen moralischen Grenzziehungen.
Der Islamische Staat entsteht
Bereits im März 2013 hatten vor allem Speerspitzen von al-Baghdadis Terrorgruppen aus der irakischen Provinz Anbaar die ostsyrische Provinzhauptstadt Raqqa mit einem Überraschungsangriff aus der Wüste unter ihre Kontrolle gebracht. Nach internen Kämpfen zwischen ISIS und überrumpelten syrischen Rebellen in der Stadt, etablierten die späteren IS-Truppen einen Gottesstaat im Osten Syriens.
Reda Seyam bei einer Hinrichtungszeremonie in der syrischen Provinz Idlib |
Was Seyam in dieser Zeit tat, ist unbekannt. Bilder legen aber nahe, dass er durch syrische Provinzen reiste, Exekutionen filmte und zu diesem Zeitpunkt wohl bereits Kontakte zu Führungskadern des ISIS und anderen später zur Terrorgruppe desertierten Personen geknüpft hatte. Spätestens als im Juni 2014 sunnitische Milizen mit reichlich Kampferfahrung aus Ostsyrien in die irakische Großstadt Mossul einfielen und Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen über Syrien und Irak ausriefen, reiste Seyam in das Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates (IS).
"Dhul Qarnain"
Schon im Juli und August tauchten Berichte über eine umfassende "Bildungsreform" für das Herrschaftsgebiet des IS auf. Der syrische Geheimdienst meldete daraufhin, dass ein neuer Mann namens "Dhul Qarnain" in der Hierarchie des IS aufgestiegen sei, dessen Name an eine bedeutsame Figur aus dem Koran erinnerte.
Es war offenbar niemand anderes als der Berliner Reda Seyam. In einem Rundschreiben an alle Bildungseinrichtungen in Raqqa stellte dieser als neuer Chef der "Bildungsdirektion des islamischen Staates" einen neuen verbindlichen Lehrplan auf. Vor allem Unterrichtsbereiche wie Musik, Sozialpädagogik, Geschichte, Kunst, Sport und allgemeiner Religionsunterricht seien nicht mehr Teil der Ausbildung. Das Bildungsminsterium der Arabischen Republik Syriens sei vollständig aufzulösen, so heißt es in dem Schreiben. Alle Bilder, die nicht mit dem islamischen Recht zu vereinbaren seien sollten zerstört, die syrische Nationalhymne aus dem Gedächtnis getilgt werden. Der Glaube an den "wahren" Islam und den IS sollten den panarabischen Patriotismus und Nationalismus ersetzen. "Löschen sie alle Formeln der Mathematik und Ideen der Demokratie oder Wahlen sowie die Wissenschaftstheorien Darwins. Ribā (Zinsen) und Wucherzinsen sind verboten.", so der Befehl.
Ausschnitt einer Anordnung zu Bildungsangelegenheiten |
Die Anordnungen durch Reda Seyam waren nur der Anfang einer ungeheuerlichen Zerstörungswut. Mit den Reformen manifestierte Seyam zudem die Ambitionen der irakischen Führungsleute einen wahabitischen Staat zwischen Irak und Syrien zu etablieren. Wohl schnell holte al-Baghdadi den 55-jährigen zu sich nach Mossul und ernannte ihn zum federführenden Leiter der "Bildungseinrichtungen" im IS.
Mit dem Shuttlebus durch Mossul
Als Reda Seyam sein Amt in Mossul antrat, kannte ihn kaum jemand in der Stadt. In irakischen Zeitungen wurde von einem großen und untersetzten Mann mit einem langen Vollbart berichtet. Sein ägyptisch-arabischer Akzent sei zudem Beobachtern aufgefallen. Mossuler Bürgern gegenüber soll "Dhul Qarnain" gesagt haben: "Ich mag keine Büroarbeit und bin eigentlich für den Dschihad hierher gekommen." Wie viele von ihnen müsse auch er sich an die neue Realität eines Islamischen Staates gewöhnen. Um die Menschen selbst mit dieser "Realität" vertraut zu machen, soll Seyam regelmäßig mit einem Shuttlebus durch Mossul gefahren sein und interessierten Passagieren über seine Reformpläne aufgeklärt haben.
In der Großstadt fielen sämtliche Bildungseinrichtungen in Seyams Aufgabenbereich. Im Visier hatte er insbesondere die Mossuler Universität. So wies er zunächst die Schließung der Fakultäten für Rechts- und Politikwissenschaft sowie für Bildende Kunst an. Der Bildungsplan für Islamwissenschaften und andere Lehrgänge wurde grundlegend verändert. Genauso wurde die strikte Geschlechtertrennung an den Hochschulen und Instituten eingeführt. Die Einrichtungen wurden angewiesen Männer und Frauen im Wechselmodus zu unterrichten. Die Studenten litten vor allem daran, dass Seyam befahl, Lehrthemen der Nationalgeschichte zu streichen und alle „Verweise“ auf die Heimat zu zerstören.
In der Großstadt fielen sämtliche Bildungseinrichtungen in Seyams Aufgabenbereich. Im Visier hatte er insbesondere die Mossuler Universität. So wies er zunächst die Schließung der Fakultäten für Rechts- und Politikwissenschaft sowie für Bildende Kunst an. Der Bildungsplan für Islamwissenschaften und andere Lehrgänge wurde grundlegend verändert. Genauso wurde die strikte Geschlechtertrennung an den Hochschulen und Instituten eingeführt. Die Einrichtungen wurden angewiesen Männer und Frauen im Wechselmodus zu unterrichten. Die Studenten litten vor allem daran, dass Seyam befahl, Lehrthemen der Nationalgeschichte zu streichen und alle „Verweise“ auf die Heimat zu zerstören.
Neuere Berichte aus dem Jahr 2020 behaupten zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen Reda Seyam und Shifa al-Nima alias "Abu Abdul Bari", dem Mufti des IS in Mossul, der laut irakischen Ermittlungsbehörden eine zentrale Rolle bei der Anordnung zur Verfolgung von Jeziden und Christen in der irakischen Provinz Nineveh eingenommen haben soll. So sagte al-Nima angeblich vor der Polizei aus, dass er im Jahr 2015 ins Bildungsamt geschickt worden sei und "eine enge Beziehung zu dem Terroristen Zulkarnain" unterhalten habe, "einem in Ägypten geborenen Beamten, der Physik und Mathematik lehrte. Ich schlug ihm vor, dass er die Lehrpläne ändern sollte."
Reformen der Zerstörung
Reformen der Zerstörung
Anfang des Jahres 2015 fälschlicherweise für tot erklärt, mischt Seyam höchstwahrscheinlich weiterhin als Bildungsminister im Irak und in Syrien mit. Die IS-Schergen führen seine "Bildungspläne" weiterhin verlässlich aus: mit Bücherverbrennungen, Vorschlaghammern im Ninive Museum und Planierraupen in Nimrud setzten die Terroristen alles daran, die Erinnerung und damit die Geschichte des Iraks auszulöschen. Jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, wurde getötet.
Auch die Angst vor Reda Seyam alias „Zulqarnayn“ wächst laut Recherchen irakischer und syrischer Journalisten. Lehrer und Professoren wagten es aus Todesangst nicht, dessen Befehle zu ignorieren. Im Februar 2015 trat die neueste Reform des Ex-Berliners in Kraft. Ab einem Alter von zehn Jahren müssen alle Jungen eine Uniform tragen, Mädchen sollen sich bereits ab dem 6. Lebensjahr unter einem Hijab verstecken. Wie die „Syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte“ kürzlich berichtete, seien die Eltern dazu gezwungen worden, Verpflichtungen zu unterschreiben, ihre Kinder zur Schule zu schicken und dem panarabischen Nationalismus abzuschwören. Der IS plant zudem die Gründung von jeweils zwölf Privatschulen für Männer und Frauen.
Sie sollen Namen tragen wie „Hittin“, "Abdullah Ibn Masud“ und „Abu Mussab al-Zarqawi“.