Die Demütigung im Oval Office

Die jüngsten Angriffe von US-Präsident Donald Trump und J.D. Vance auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zeigen einmal mehr, dass Europas Sicherheit nicht mehr zu hundert Prozent garantiert ist. Während die Ukraine um ihr Überleben kämpft und russische Truppen weiterhin Tod und Zerstörung über das Land bringen, rücken die USA von ihr ab. Muss die EU jetzt reagieren? Ein Kommentar.

Was notwendig erscheint

US-Präsident Donald Trump und sein Außenminister J.D. Vance haben den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky bei seinem Besuch in Washington öffentlich gedemütigt (Transparenzhinweis: Videoaufnahmen des ganzen Treffens zeigen eine etwas andere Konfliktdynamik zwischen den Protagonisten, als sie in kursierenden Kurzausschnitten zu sehen war). Nach Jahren eines beachtlichen Verteidigungskampfes der Ukraine gegen die russische Invasion, scheint die EU aufgrund Trumps Agieren selbst in eine Verteidigungskrise zu schlittern.

Für Europa kann es darauf eigentlich aufgrund der Alternativlosigkeit nur eine Antwort geben: eine entschlossene, langfristige und bedingungslose Unterstützung der Ukraine, auch unabhängig von den USA, wenn diese ausfallen sollten. Solidarität darf nicht von Trumps Launen abhängig sein. Europa muss sich auf sich selbst besinnen, militärisch stärker und geopolitisch souveräner werden, selbst wenn Trump mit Putin über die Köpfe von Europa und der Ukraine hinweg einen Deal schließen sollte. Mindestens Polen, Großbritannien, Deutschland und Frankreich sollten endlich damit beginnen, über die Aufstellung einer europäischen Armee nachzudenken. Denn es scheint mit Trumps Regierung mehr denn je fraglich geworden zu sein, ob die NATO bei einem Angriff Russlands auf einen Mitgliedsstaat geeint reagieren würde. 

Das bedeutet im weiteren Sinne einer solchen europäischen Zentralisierungsstrategie: Erstens die EU hat mit der „European Peace Facility“ bereits Mittel für Waffenlieferungen bereitgestellt – diese Hilfen müssen weiter ausgebaut werden. Zweitens muss die europäische Verteidigungsindustrie viel schneller, effizienter und unabhängiger von den USA werden. Drittens braucht es zügig eine tiefere Integration der EU in Sicherheitsfragen: eine gemeinsame Rüstungsstrategie, eine Stärkung von PESCO (der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit) und die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion. Gleichzeitig darf eine Aufrüstung Europas nicht zu einer Austeritätspolitik in anderen zentralen Politikfeldern wie der Sozial- oder Bildungspolitik führen. Sonst drohen wiederum erhebliche innenpolitische Verwerfungen.

Donald Trump hat mit dem 28. Februar 2025 endgültig gezeigt, dass er weder an NATO-Bündnisverpflichtungen noch an "transatlantischer Loyalität" interessiert ist. Spätestens jetzt sollte Europa aufhören, sich Illusionen über eine „ewige“ amerikanische Schutzmacht zu machen und selbst aktiv werden. Die Zukunft der Ukraine entscheidet gewissermaßen auch über die Zukunft der europäischen Sicherheit, so pathetisch das klingen mag. 

Eine Geschichte, die sich wiederholt?

Gegenüber Putin braucht es weiterhin Gegenmaßnahmen: Ein Einfrieren des Krieges oder Verhandlungen zu seinen Bedingungen wären nach aktuellem Stand eigentlich ein geopolitisches Desaster für Europa. Sowohl ein Einfrieren, als auch eine komplette Eroberung der Ukraine hätten wohl wahrscheinlich zur Folge, dass Russland weitere Staaten angreifen könnte. Wer Russland jetzt nachgibt, öffnet die Tür für weitere Aggressionen – in Moldau, im Baltikum oder anderswo. Deshalb muss die EU klare Signale senden: ein konsequenteres Sanktionsregime,  ein Marshallplan für die Ukraine, der beim Wiederaufbau hilft und das Land perspektivisch in die EU führt und eine militärische Abschreckung, die jegliche weitere  russische Expansionsbestrebungen eindämmt. Diese Maßnahmen würden übrigens Friedensverhandlungen und die Verständigung über eine neue europäische Friedensordnung mit Russland nicht ausschließen. Dafür ist aber erstmal die Herstellung von Augenhöhe zwischen den Akteuren notwendig, die derzeit mit einer sich abwendenden USA und einer uneinigen NATO so nicht gegeben ist. 

Gleichzeitig, auch daran sollte gedacht werden, muss überlegt werden, welche politische Rolle andere Länder in diesem Konflikt spielen könnten. Muss die EU ihre Aufmerksamkeit wieder stärker dem sog. Globalen Süden wie Brasilien, die afrikanischen Staaten und China widmen, um mögliche Partner für eine Konfliktlösung zu finden? Dann müsste allerdings wieder mehr Kongruenz zwischen außenpolitischen Ansprüchen (Werte usw.) und Realität (Interessen) in Bezug auf andere Konflikte  hergestellt werden. Eine selektive EU-Außenpolitik wird wohl kaum von außen honoriert werden.

Tatsache bleibt seit dem 28. Februar: Es gibt wie in den 1930er Jahren Momente in der Geschichte, in denen politische Halbherzigkeit eine Katastrophe zur Folge hatte. Genau an diesem Tag könnte ein solcher Moment gewesen sein. Vielleicht kann er aber auch ein Startschuss sein, als Europa damit begonnen hat, sich als Staatenbund unabhängiger von den USA zu emanzipieren.