IS-Kämpfer Riza Y.: "Schöner kann man sich nicht fühlen"

Der Frankfurter Riza Y. kämpft seit mehr als einem Jahr in Syrien für den islamischen Staat (IS). Schulabbruch, Knast und religiöser Fanatismus führten wohl dazu, dass Riza aufhörte an ein Leben in Deutschland zu glauben. Die Geschichte einer Radikalisierung.

„Du hast keinen auf dieser Welt, außer Allah“

Ein Dezembermorgen im Jahr 2012.  Ein grauer Mercedes hält vor der JVA in Wiesbaden. Mehrere Männer steigen aus dem Auto. Einige tragen lange Bärte und reden aufgeregt miteinander. Immer wieder schauen sie zum blauen mit Stacheldraht gesicherten Stahltor des Gefängnisses herüber. Ein Kameramann filmt gleichzeitig in die entgegengesetzte Richtung. "Sonst kriegen wir Probleme, Akhi", sagt er.

Laut Zeitangabe in einem später veröffentlichten Video ist es neun Uhr am Morgen. Nun tritt ein junger Mann aus der Sicherheitsschleuse der JVA: Gesenkter Kopf, unsicherer Blick, Basketballjacke, die ihn lässig und locker aussehen lässt. Verloren steht er am Eingang des Gefängnisses, bis er die Gruppe auf der anderen Straßenseite sieht. Die wartenden Männer winken ihn zu sich herüber und umarmen ihn herzlich. „Akhi, hör mal, du bist doch aus dem Knast gekommen? Hast du dir schon vorgenommen, was du in Zukunft machen willst?“, fragt der Mann hinter der Kamera den schmallippigen 19-Jährigen aus der Türkei. Der Jugendliche antwortet: „Ja, auf jeden Fall, ich habe da drin angefangen zu beten.“ Die Männer loben ihn und drücken ihm Bücher über den Islam in die Hände. „Gib uns doch mal deine Nummer. Vielleicht können wir dich unterstützen, wenn du alleine bist. Nicht das du denkst, du kommst hier aus dem Knast raus und du bist alleine!“

Kurze Zeit kommt ein breitschultriger Mann mit langem Bart hinzu und umarmt den jungen Ex-Häftling. „Gerade raus gekommen? Hältst du dich an deine Religion?“, fragt er den Jungen. „Ja, ich werde es durchziehen“, beteuert er zurückhaltend. Der Mann ermahnt ihn: „Du hast keinen auf dieser Welt außer Allah. Wenn dich alle loslassen, hast du immer noch Allah. Bleib' stark, halt dich an deine Gebete und umgib' dich mit guten Brüdern." Der Freigelassene geht. "Besuch mal unsere Seite 'diewahrereligion.de'!", rufen ihm die Männer noch lachend hinterher.

"Sei ein Diener Gottes!"

Zwei Stunden später tritt ein weiterer junger Mann aus der JVA in die Freiheit. Auf ihn haben die Männer draußen offenbar gewartet. Er heißt Riza Y. und saß knapp ein Jahr lang in der JVA wegen unterschiedlicher Straftaten. Der Türkischstämmige sieht aus wie der höfliche Student von nebenan. Er kennt zwei der drei Leute auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch nicht persönlich. Er schnappt sich seine Habseligkeiten aus dem Gefängnis und geht zu ihnen herüber.

Erst umarmt ihn der bekannte Kölner Salafist Sabri B. A. Er ist der Mann mit der Kamera. Dann versinkt Riza Y.  in den Armen von Said el-Emrani, den man in der Szene vor allem als Abu Dujana kennt. Sie lachen miteinander. „Wir sind extra für dich hergekommen“, sagt el-Emrani zu Y. Der Prediger fragt ihn, ob er im Gefängnis zum rechten Weg zurückgefunden habe. Gewiss, versichert dieser. „Wäre ich mit dem Islam richtig aufgewachsen und hätte ich alles richtig gelernt, wäre ich auf jeden Fall nicht im Knast gelandet“, sagt er.
Abu Dujana und Riza Y.
Um die Fehler der Vergangenheit vergessen zu machen, ist Riza Y. am gleichen Morgen auch gleich bereit mit seinen neuen Freunden gemeinsam nach Frankfurt am Main zu fahren und Korane zu verteilen - „Dawa machen“. „Genau deswegen machen wir die Arbeit“, erklärt Said el-Emrani mit zufriedenem Blick auf Riza. „Wir opfern unsere Zeit, unser Geld und unseren Besitz, um Muslimen in den deutschen Gefängnissen zu helfen. Wir sind diejenigen, die die Leute von den schlechten Dingen abhalten: von Drogen, Alkohol und von allem Schlechten.“ Er freue sich, dass Riza sich von Allah habe recht leiten lassen und er nun beabsichtige den richtigen Weg zu gehen. „Bleib' bloß von den schlechten Freunden weg, sei ein Diener Gottes!" Und: "Wir lassen uns von den Feinden nicht stoppen, auch wenn sie uns in den Knast stecken.“, appelliert der Prediger an den jungen Mann. Gemeinsam sei man stark, auch wenn - so warnt er den jungen Mann - bald "schlechte Menschen" zu ihm kämen, deren Einflussversuche nur mit viel „Impfmaterial“ zu widerstehen sei. 

Die "schlechten Menschen" kommen manchmal schneller als gedacht. Als sich die Gruppe in den Mercedes setzt und auf die Autobahn nach Frankfurt fährt, werden sie von einer Spezialeinheit der deutsch-französischen Copagnies Républicaines de Sécurité (CRS) gestoppt. „Verkehrskontrolle“ heißt es. Acht Polizisten umstellen den Wagen. Die Islamisten aber machen sich lustig über sie. „Wir wollen die Jungs resozialisieren“, ruft Sabri B. A. lachend einem Beamten zu. Doch mit der „Schikane“ gegen Muslime und den Terrorverdächtigungen gegen sie als unbescholtene Bürger funktioniere das dann ja nicht, so der Kölner. Bei all dem Klamauk sitzt Riza Y. stumm aber sichtlich angespannt auf der Rückbank des Wagens. Merkt er vielleicht in diesem Moment, in welchen Kreisen er sich künftig bewegen wird?

"Bessere Freunde habe ich momentan nicht"

In Frankfurt angekommen, geht die Gruppe zunächst zum Freitagsgebet in eine Moschee. Es ist das erste Mal nach fast 12 Monaten, wo Riza Y. wieder eine Moschee von innen sieht. Nur wenige Stunden später steht er mit Sabri B. A., Bilal Gümüs und drei weiteren Helfern auf der Frankfurter Zeil in der Innenstadt und verteilt Korane an die Passanten. „Schöner kann man sich nicht fühlen.“, sagt Riza in die Kamera von Sabri B. A., während er mit ihm eine Straße in Frankfurt entlang läuft. „Wie kommt's, dass du heute mit uns Korane verteilen möchtest?“, fragt ihn der Kölner. „Also hier sind meine Freunde. Bessere Freunde habe ich zur Zeit nicht.“, antwortet Riza. Vor seiner Haft hatte der Deutsch-Türke nicht viel mit den Islamisten zu tun gehabt. Als die Gerichtstermine anstanden und klar war, dass er für einige Zeit hinter Gittern wandern würde, nahm er häufiger den Koran aus dem Regal.

Vor allem war es sein Freund Bilal, der ihn ermunterte sich mehr mit dem Islam zu beschäftigen. So erzählen sie es selbst später in einem anderen Video. Beide stammen aus den Frankfurter "Problemvierteln" wie Sossenheim und Gallus. Sie wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft und lungerten als Jugendliche auf den Straßen herum, machten Hip-Hop. In der Schule waren sie schon früh gescheitert. Sie klauten in Läden, brachen in Häuser ein und prügelten sich mit verfeindeten Gangs. "Wir waren damals sehr sehr kranke Menschen. Wir hatten keine Ahnung vom Islam", erzählt Bilal Gümüs in einem Video für "Die Wahre Religion".

Als im Jahr 2008 ein Filmteam von SPIEGEL TV in Sossenheim unterwegs war, begegneten sie auch ihm und seiner Jugendgang. Warum sie denn so wütend seien, wurden sie gefragt. "Ich kann ihnen sagen warum wir so sind. Wir werden unterdrückt und wir wehren uns gegen die Unterdrückung.", machte Bilal Gümüs klar, der bereits damals als Wortführer auffiel. Auch er saß wie Riza Y. später eine zeitlang im Gefängnis wegen Straftaten wie versuchten Todschlags und Raubüberfällen auf Frankfurter Postbanken und Casinos. In der Haft hatte er genug Zeit sich intensiver mit dem Koran zu beschäftigen. Er beschloss daraufhin ein besserer Mensch zu werden.

Heute gilt er als große Nummer in der Frankfurter Salafisten-Szene. Als enger Vertrauter von Ibrahim Abou Nagie trifft er sich regelmäßig mit führenden Islamisten aus Deutschland und Europa. Auch als Rekrutierer für anfällige und unsichere Jugendliche scheint er seit seiner eigenen "Rechtleitung" äußerst erfolgreich gewesen zu sein. So auch bei Riza Y..

Denn Bilal Gümüs hatte dem Freund noch während dessen Haft im April 2012 zwei Postkarten in die JVA Wiesbaden geschickt. „Selam u alkum riza“ stand auf den Karten. Auf Abbildungen posieren Gümüs und andere Frankfurter Salafisten bei „Lies“-Aktionen mit süßem Gebäck und Koranen in ihren Händen. „Möge Gott dir die Freiheit schenken“ lautet eine Botschaft von Gümüs an den Inhaftierten."Wir sind für dich da, wenn du raus kommst", sollte Riza wissen.

Riza aber erhielt die Karten nie, behauptet Gümüs später in einem Video. Die Gefängnisleitung habe sie konfiszieren lassen, erklärt Riza Y. und zeigt dabei auf einen Brief der JVA, den er im Gefängnis erhalten habe. Die Grußkarten gefährdeten das "Erziehungsziel" in der Haft, schrieb ihm die Chefetage warnend. Zudem könnten die Briefe „die Eingliederung anderer Gefangener gefährden.“ Hatte die JVA also die Radikalisierung von Riza in der Haft erkannt?

"Sehr netter, naiver Junge"

In einem Interview der SPIEGEL-Journalistin Lisa Schnell mit der Gefängnisleiterin Hadmut Jung-Silberreis Mitte 2014, zeigte diese sich von Rizas Entwicklung überrascht. "Der Junge war völlig unauffällig. Er hat im Gefängnis eine Ausbildung gemacht und hatte sogar eine Stelle.", erklärte sie. Erst als sie ein Video von Sabri B. A. auf Youtube entdeckte und sah, dass Riza nach seiner Entlassung aus der JVA im Dezember 2012 mit den einschlägig bekannten Salafisten zusammen davonfuhr, sei sie auf die mögliche Radikalisierung Rizas aufmerksam geworden.

Riza selbst widerspricht indirekt diesen Aussagen. Leiterin Jung-Silberreis sei ihm bereits wegen seines langen Bartes misstrauisch begegnet. "Sie schrieben mir, ich würde die Leute zum Attentat aufrufen, was lächerlich ist!" Zudem sei ihm der Vorwurf gemacht worden, Mithäftlinge radikalisiert und so ihre Resozialisierung verhindert zu haben. Im SPIEGEL-Interview räumte Jung-Silberreis zumindest ein, sie habe gewusst, dass in der JVA Hetzschriften des international berüchtigten Salafisten-Predigers Bilal Philips herumgegangen seien. Die Wachmänner seien aber nicht in der Lage gewesen, das Propagandamaterial richtig einzuordnen. 

Riza Y. bei einer Aktion von "Lies!" auf der Frankfurter Zeil

Der deutsche Imam Husamuddin Meyer, der Riza während dessen Haftzeit in Wiesbaden betreut hat, bestätigt im Gespräch mit "Erasmus Monitor" die Aussagen der JVA-Leitung. Riza habe sich in der Haft gänzlich unauffällig verhalten, so Meyer. Nie habe er mit radikalen Ideen kokettiert. Zwar ließ sich der Frankfurter im Laufe der Zeit einen längeren Bart wachsen, jedoch sah Meyer darin kein ernstes Anzeichen einer Radikalisierung. Offen und ehrlich seien ihre Gespräche gewesen. "Riza ist ein sehr netter, naiver Junge, aber sehr leicht manipulierbar", merkt er an. Es sei aber auch für ihn überraschend gewesen, als er gesehen habe, wer Riza da bei seiner Haftentlassung vor der JVA abholte.

Er bezweifelt, dass Riza bewusst den Weg in die Radikalisierung gewählt habe. Die Salafisten hätten den Unentschlossenen wohl gezielt zur Rekrutierung ausgewählt und dann vor dem Gefängnis überrascht. Er vermutet gar, dass auch Geld für die Vermittlung geflossen sein könnte.  "Als er noch drinnen war, wollte er sich nach der Haft weiter an mich wenden, aber das haben die anderen wohl verhindert und ihn in eine andere Richtung geführt.", so Imam Meyer, der offenkundig enttäuscht ist über den eingeschlagenen Weg seines ehemaligen Schützlings.

"Manipulierer und Manipulierte"

Riza Y.'s Weg führte wie bei so vielen jungen Männern nach nur kurzer Radikalisierung direkt in den Dschihad. Verteilte er noch mehrere Monate nach seiner Entlassung Korane in der Frankfurter Innenstadt, legen Bilder im Internet nahe, dass der Deutsch-Türke mit zwei weiteren Frankfurter Freunden - Ahmet T. und Mustafa aus dem Frankfurter Stadtteil Gallus - Anfang 2014 nach Syrien ausgereist ist und sich momentan in der Provinz Aleppo aufhält. Dort kämpfen sie für den Islamischen Staat (IS).

Riza Y., Mustafa und Ahmet T. in Syrien

Alle drei Gefährten kommen aus dem Umfeld des "Lies!"-Projekts und wurden im gleichen Zeitraum zwischen 2012 und 2013 von der Gruppe rekrutiert. Genauso haben alle drei Dschihadisten eine kriminelle Vergangenheit, zwei von ihnen saßen im Gefängnis.

Vom "kriminellen Hochhausmilieu" spricht Imam Husamuddin Meyer, wenn er sich die Biografien deutscher Dschihadisten ansieht. Sie seien am besten geeignet zur Gruppe der "Manipulierten" zu gehören. Dagegen seien die "Manipulierer" oft sehr intelligent, innerlich gefestigt und gingen clever beim Umwerben der Zielgruppe vor. Die Vorurteile der oftmals gesellschaftlich und sozial gescheiterten Männer würden häufig bedient mit der Kritik am westlichen Lebensstil und Materialismus. Dagegen werde ein Leben in Bescheidenheit abseits von dieser Welt hervorgehoben. Der Dienst für Allah - auch wenn Raub und Mord Bestandteil davon sind - wird zum alles dominierenden Dogma.