Denis Cuspert: "Voll Hass und Blut"




















Denis Cuspert war eine der schillerndsten Figuren der deutschen Salafisten-Szene. Nach einer erfolglosen Rap-Karriere konvertierte er zum sunnitischen Islam und wurde zum Magnet für die muslimische Jugend. In der Salafisten-Szene driftete er immer weiter ins militante Lager ab. Er reiste aus Deutschland aus und schloss sich dem bewaffneten Jihad im Ausland an. Am 17. Dezember 2017 starb Cuspert  bei einem Luftangriff in Syrien. Ein Überblick über das Leben eines Grenzgängers.

Tod am Euphrat

Denis Cuspert alias "Abu Talha al-Almani" ist tot. Soviel scheint sicher zu sein. Bilder, auf denen der entstellte Körper des 43-Jährigen zu sehen ist, kursierten im Januar vielfach in den sozialen Netzwerken. Die IS-Propaganda-Stelle "Al-Wafa" hatte sie veröffentlicht, zusammen mit mehreren Nachrufen auf den Deutschen. So sei Cuspert am 17. Dezember 2017 nach dem Mittagsgebet in einem Feuergefecht mit Truppen des Shaitat-Stammes in der Stadt Garanij nahe der syrisch-irakischen Grenze verwickelt gewesen. Kampfflugzeuge der internationalen Anti-IS-Koalition hätten Bomben abgeworfen und den Kämpfer schließlich getötet.

"Seit seinem Treueschwur an den Kalifen wanderte er von einer Brigade zur nächsten, und von einer Verwundung zur nächsten. Er war einer derjenigen Leute, die die Arbeit am Schreibtisch hassten und vermieden", führt "Al-Wafa" aus. Cuspert sei bei der Belagerung von Raqqa durch die Kurden so schwer verwundet worden, dass dieser für den Kampf ungeeignet gewesen sei. Dennoch habe er sich nach dem Abzug des IS aus Raqqa weiterhin an Kämpfen beteiligt.

Schon lange hatte man von Denis Cuspert nichts mehr gehört. Er war abgetaucht, genauso wie viele andere seiner deutschen Mitstreiter. Man konnte nur vermuten, wie gehetzt er angesichts des Vormarschs der kurdischen Streitkräfte am Ende gewesen sein musste. Mit dem Fall von Raqqa floh er den Euphrat entlang in Richtung syrisch-irakischer Grenze. Die letzte große Festung des IS in Syrien, Abu Kamal, fiel kurz darauf. Es gab kaum mehr Spielraum zur Flucht für Cuspert. Im Süden versperrten syrische Regimetruppen den Weg, im Norden und Westen die kurdisch dominierte SDF mit US-amerikanischer Luftunterstützung und im Osten lauerte die irakische Armee. Mit seinem Tod hatten viele gerechnet. Denn sich in Gefangenschaft zu begeben oder die Flucht zu ergreifen, das kam für den IS-Kämpfer nicht in Frage.

"Wir sind die, die das Recht haben, die Geschichten zu erzählen"

"Es ist fatal, wie das Leben manchmal seine Runden dreht, zum Bereuen ist's zu spät, wenn der Tod vor mir steht [...] Ich bin verzweifelt jeden Tag auf der Suche nach dem Paradies, ich wünsche mir den Tod, denn mein Leben war mies, ich habe Familie verloren, habe Liebe verloren, habe Brüder verloren, ich wünschte, ich wäre nicht geboren." So brüllte Cuspert einst als Rapper in einem seiner Lieder. Auch wenn der Deutsche als kommerzieller Künstler erfolglos war. Die Liedtexte spiegelten seine Gefühlswelt authentisch wider.

Cuspert, geboren 1975 als Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers, wuchs in Berlin auf. Seine Startbedingungen ins Leben können wie bei so vielen anderen späteren Dschihadisten als prekär beschrieben werden. Der Vater wurde aus Deutschland abgeschoben, als er noch ein Kind war. Seine Jugend verbrachte er auf dem Kreuzberger Kiez SO 36. Er schlitterte früh in die Kleinkriminalität ab. Im Alter von acht Jahren soll er erstmals in Spielzeugläden geklaut haben. Im Jugendalter machte er mit Gangs die Straßen unsicher. Er raubte Touristen aus, dealte mit Marihuana und Koks, prügelte sich mit Feinden wie Freunden. Eine geregelte Arbeit hatte er selten und auch sonst schien Cuspert nicht viel vom Leben erwarten zu können. Mehrmals wurde er verurteilt und saß Jahre dafür im Gefängnis. Einem Freund schoss er unter anderem bei einem Streit mit einer Gaspistole ins Gesicht.

Im Knast widmete Cuspert sich verstärkt der Rap-Musik, die ihn die ganze Jugendzeit lang auf den Straßen Berlins begleitet hatte. Er schrieb Gedichte und Lieder, denn seine Vergangenheit lieferte "genügend Stoff" dafür, wie er einmal einem Boulevardblatt erzählte. In der Underground-Szene machte sich Cuspert schließlich als "Deso Dogg" (Devil's Son Dogg) einen Namen. Denn er verkörperte keine kommerzielle Marke, mit der andere Musiker wie Bushido oder Sido auch im bürgerlichen Milieu wilderten. Er war "real", ein Kind aus den Ghettos Berlins, einem strukturell benachteiligten Milieu, in dem die perspektivlose und vernachlässigte Jugend eine subkulturelle Bewegung bildete und sich über gemeinsame Symbole und Rituale eine soziale Identität gab. Eine Mischung aus Gewaltvokabular, Romantik und Liebesbekundungen sowie verkürzten arabischen Islam-Floskeln als Bezugspunkt zum familiären Damoklesschwert und der eigenen migrantischen Herkunft.

Über den Rap transportierte Cuspert seine Gefühle, sein Leben und seine Erfahrungen nach außen. Denn das Image des harten Jungen war bei ihm nur eine Fassade. Sensibel und depressiv soll er in Wirklichkeit gewesen sein. Hass und Gewalt waren für ihn lange Zeit die einzigen Ausdrucksmittel, um seine Emotionen zu kanalisieren. Als Rapper hatte Cuspert trotz seiner Kontakte zu namhaften Musikern keinen Erfolg. Vielleicht war er zu "real" bei der Jugend und zu primitiv für die bürgerliche Mittelschicht. "Wir sind von der Straße. Wir waren immer da. Wir sind die, die das Recht haben, die Geschichten zu erzählen", sagte er einmal in Richtung Kommerz-Rap. Mit Ablehnung hatte Cuspert aufgrund seiner Hautfarbe viel Erfahrungen gemacht. Aber er konnte genauso schlecht damit umgehen. Das Scheitern war ein herber Rückschlag für ihn, der nach seiner Zeit im Knast sein Leben endlich in den Griff bekommen wollte. Ein Autounfall 2008 beendete endgültig seinen Traum von einem bürgerlichen Leben. Cuspert verletzte sich am Kopf, hatte Probleme mit seinem Gedächtnis und bekam zusätzlich Depressionen. 

Die Salafisten waren diejenigen, die ihm die Gelegenheit gaben sich still aus dem Musikgeschäft zu verabschieden und seine Niederlage nach außen wie nach innen zu kaschieren. Cuspert, der in seiner Jugend bereits zum schiitischen Islam übergetreten war, ließ sich nach und nach von den sunnitischen Hardlinern in Deutschland vereinnahmen. Denn gerade wegen seines kriminellen Werdegangs im Berliner Hochhausmilieu, seinem Charisma und Ruf als geläuteter "Badboy", hofften die Salafisten ihn zum Zugpferd ihrer Missionierungskampagnen zu machen. Berühmt-berüchtigt ist ein Video aus dem Jahr 2010, das eine Begegnung des Predigers Pierre Vogel und Denis Cuspert in einer Moschee in Berlin zeigt. Darin wirbt Vogel ganz offen um den damals Mitte 30-jährigen. Sie tauschten Kontaktdaten aus. Cuspert stieg in der Folgezeit recht schnell zum brachialen Wortführer der Extremisten auf und bediente genau die Erwartungen der Salafisten: Er redete vor allem auf die Jugendlichen ein, ermahnte sie sich von allem "schlechten" zu lösen und den Islam zu praktizieren.

"Zu den Jugendlichen in ganz Deutschland, zu den Muslimen und auch den Nichtmuslimen, kann ich nur sagen, ich habe mich entschlossen diesen Schritt zu machen, auf den Weg zu Allah Subhana wa Taala zurückzukehren. Und ich habe das mit vielen Hürden dorthin geschafft. Und ich kann euch nur raten, wenn ihr Glückseligkeit sucht, wenn ihr Frieden sucht, wenn ihr, wallahi, einfach nur happy sein wollt, folgt diesem Weg, inshallah."

"Jeder für sich und alle zusammen"

Gemeinsam mit der führenden Predigerzunft um Pierre Vogel, Sven Lau, Ibrahim Abou Nagie, Brahim Belkaid, Abdellatif Rouali, Said el-Emrani und anderen forcierte Denis Cuspert die Rekrutierung der Jugend auf den Straßen der deutschen Großstädte. Das ab 2011 gemeinsam voran getriebene Koranverteilungsnetzwerk "Lies!" war ein voller Erfolg. Die Szene wuchs und der Berliner wurde zur Stimme der gescheiterten Existenzen aus den deutschen Großstadtmilieus, das innerhalb der selbsternannten islamischen Avantgarde zu neuem Selbstbewusstsein fand.

Mit Opfer-Riten, klaren Abgrenzungen zu Andersgläubigen, antiwestlicher und antifeministischer Rhetorik kam man bei den Ausgegrenzten, Entwurzelten und Glücklosen gut an. Und Cuspert, der erst die Kunya "Abou Maleeq", dann "Abu Talha al-Almani" angenommen hatte, konnte man dabei beobachten, wie er nach und nach in einen anderen Habitus wechselte. Ein Sprachmix aus Mafiapate ("Hä?", "Hö!"), arabischen Prediger-Floskeln ("yani", "subhanallah", "al-hamdulillah") und Pseudo-Sozialpädagogik ("Schämt ihr euch nicht?"). Aber auch die Musik, genauer, der Sprachgesang in Form von islamischen Gesängen (Anashid) gehörte zu Cusperts Repertoire, welches er bei der Missionierung und Rekrutierung neuer Anhänger in der Szene talentiert einzusetzen wusste.

Den folgenschwersten Schritt in das eigene Verderben machte Cuspert ohne Zweifel mit der Gründung der Solinger Hooligantruppe "Millatu Ibrahim". Mit seinem neuen Freund Mohamed Mahmoud alias "Abu Usama al-Gharib", der in Österreich wegen Terrorplänen eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hatte, scharte Cuspert den militanten Flügel der deutschen Salafistenszene um sich. In der Solinger "Millatu Ibrahim"-Moschee kreuzte ab 2011 die Sorte von Islamisten auf, die nicht nur auf die Missionierung der "Kuffar" aus war, sondern die sich auch auf den internationalen Dschihad vorbereitete. Die Liste der Kameraden aus diesem Umfeld, die später neben Cuspert nach Syrien reisten ist lang. Darunter sind Christian E., Robert B., Ahmad und Yusuf A.-G., Sami J., Silvio K., und Michael N.

Mit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs, mit den bundesweiten Diskussionen um die Mohammed-Karikaturen und den Auseinandersetzungen mit rechtsextremen Bewegungen wie "Pro NRW" kam es zu einer explosiven Stimmung in der militanten Szene. In Bonn und Solingen standen sich 2012 Polizisten und Anhänger der "Millatu Ibrahim" gegenüber und lieferten sich gewalttätige Auseinandersetzungen. Cuspert war einer ihrer Wortführer. In Militärjacke und mit Kufiya auf dem Kopf sah er in Bonn seinem Kampfgenossen Murat K. direkt dabei zu, wie dieser zwei Polizisten mit einem Messer attackierte und schwer verletzte. "Bitte bleibt ruhig", hatte Cuspert noch zuvor seinen Anhängern halbherzig zugerufen. "Aber wenn die Karikaturen hochgehen wissen wir alle, was wir machen. Jeder für sich und alle zusammen. Denn wir lassen nie wieder unseren geliebten Propheten Mohammed als Karikatur darstellen!"

Der unberechenbare Spaßvogel

In dieser Zeit hatten längst viele der Extremisten aus der "Millatu Ibrahim"-Gruppe ihre Ausreise aus Deutschland vorbereitet. Vom Verbot des Solinger Vereins im Frühsommer 2012 durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maiziére waren sie nicht sonderlich überrascht worden.  Mohamed Mahmoud war einer der ersten von ihnen, der im April aus Deutschland türmte und nach Ägypten reiste. Dorthin, wo nach dem Sturz des dortigen Diktators Husni Mubarak die islamistische Bewegung enormen Auftrieb bekommen hatte. Denis Cuspert folgte Mahmoud nur kurze Zeit später. Er ließ seine hochschwangere Freundin in Berlin sitzen und reiste über Tunesien nach Ägypten. Nach und nach zogen zahlreiche Anhänger aus Solingen den beiden hinterher, besuchten in Kairo Koran-Schulen, veröffentlichten Propaganda im Internet ("Globale Islamische Medienfront") und bereiteten sich auch physisch auf den Dschihad vor.

In Marsa Matruh, einer Hafenstadt weit im Westen Ägyptens, hatten Islamisten aus dem In- und Ausland ein Rekrutierungs-, Ausbildungs- und Schleusernetzwerk aufgebaut. Dort hielt sich zeitweise auch die deutsche Gruppe auf. Denn im Nachbarland Libyen tobte im Spätsommer 2012 ein blutiger Bürgerkrieg. Dschihadistengruppen und Regierungstruppen des damaligen Diktators Muammar al-Ghaddafi lieferten sich einen Machtkampf um das Land. Eine der wichtigsten militanten Gruppen dort war die "Ansar al-Sharia", eine salafistische Kampfbrigade, die auch zahlreiche Ausländer in ihren Reihen hatte und ganz in der Nähe der ägyptisch-libyischen Grenze Ausbildungslager unterhielt. 

Denis Cuspert wohl in Libyen
Über den Umweg von Marsa Matruh, die Grenzstadt Sallum und die Oase Siwa ließen sich Cuspert und seine Gefährten schließlich nach Libyen schmuggeln. In der Wüste und nahe der Hafenstadt Derna ließen sie sich von Kämpfern der "Ansar al-Sharia" an der Waffe ausbilden. Doch besonders wohl soll den Ausbildern dabei nicht gewesen sein. Aus dem ehemaligen Umfeld von "Millatu Ibrahim" wird kolportiert, die Libyer hätten Cuspert und Co. zunächst gar keine Waffen geben wollen. Zu ungestüm und unberechenbar seien die Deutschen gewesen.

Cuspert fiel nicht zuletzt durch "unislamische" Verhaltensweisen auf, dergestalt, dass er sich dort zur Belustigung seiner Gefährten als Leiche fotografieren ließ. Ein peinlicher Fehltritt in einer Szene, die den Tod als letzte Stufe auf dem Weg ins Paradies als spirituell wichtigstes Ereignis eines Dschihadisten glorifiziert. Bei "Abu Talha" müsse man sich über nichts wundern, so ein damaliger Augenzeuge gegenüber dem Blog. "Der macht ne' Menge Blödsinn und hat null Ahnung [...]." Immerhin war Libyen für die deutschen Islamisten ein geeignetes Umfeld neue Kontakte zum internationalen Terror-Netzwerk zu knüpfen, die sie auch in Syrien weiter aufrechterhalten konnten.

Ursprünglich hatten Cuspert und Mohamed Mahmoud geplant sich nach ihrer Ausbildung in den  Norden Malis abzusetzen, wo zur gleichen Zeit wie in Libyen ein heftiger Bürgerkrieg tobte. Doch nachdem eine Allianz der al-Qaida in Maghreb fast das ganze Land unter ihre Kontrolle gebracht hatte, griff die französische Armee zugunsten der dortigen Regierungsarmee ein und zerschlug die Reisepläne der Deutschen. Somit verlagerte sich ihr Fokus auf den syrischen Bürgerkrieg.

"Als er her kam, dachte er, dass alle nach seiner Pfeife tanzen"

Ende 2012, Anfang 2013, begann die Ausreisewelle von deutschen Dschihadisten nach Syrien. Viele schlossen sich in Syrien zunächst der tschetschenisch dominierten Kampfbrigade "Junud ash-Sham" an, die von dem Georgier Murad Margoshvili, auch genannt "Muslim Shishani", angeführt wurde und vor allem in der nordsyrischen Provinz Latakia operierte. In der Folge trudelten die Kämpfer aus Libyen und Deutschland im Umfeld der Gruppe ein: Denis Cuspert, Fared Saal, Reda Seyam, Mehmet C., Rashid A., die Cousins Ibrahim und Badr B., Onur B., Fatih K. und einige dutzend andere. Mohammed Mahmoud, ihr ideologischer Anführer, war dagegen an der Grenze zu Syrien gestoppt worden. In der türkischen Provinz Hatay hatten ihn Polizisten im März 2013 beim Versuch nach Syrien zu gelangen aufgegriffen und inhaftiert.

Cuspert war somit zunächst der alleinige Star unter den Deutschen und wie auch in der Heimat sollte er für die Islamisten als Aushängeschild ihrer Propaganda dienen. Auf dem Kanal "Sham Center", wo die "Junud ash-Sham" und ihre deutschen Anhänger den Dschihad in Syrien dokumentierten, wurden im Laufe des Jahres 2013 mehrere Videos veröffentlicht, in denen Cuspert für die "hijra" nach Syrien agitierte.

Unter seinen deutschen Kollegen war Cuspert allerdings nicht unumstritten. "Als er her kam, dachte er, dass alle nach seiner Pfeife tanzen oder ihn als etwas besonderes sehen würden", so ein ehemaliger Weggefährte von ihm. Als "Dummschwätzer" und "Blender" hätten ihn einige wahrgenommen, der sich bei Alltagsaufgaben wie Wachdiensten ganz schnell verdrückt habe. Bei einer Sommeroffensive einer Rebellenallianz von Islamisten in Latakia im August 2013 beteiligten sich auch Cuspert und die anderen deutschen Dschihadisten erstmals an Kämpfen gegen die syrische Regierung. Doch auch bei dieser ersten großen Schlacht der Deutschen soll Cuspert nicht unmittelbar ins Kampfgeschehen eingegriffen haben.

"Sham Center"
Was die euphorische Propaganda im Internet nicht zeigte: Unter den Deutschen machte sich bereits früh nach ihrer Ankunft in Syrien Unzufriedenheit breit. Viele Kämpfer registrierten den rasanten Aufstieg von anderen deutlich größeren und mächtigeren Islamistengruppen in Syrien wie der irakische al-Qaida-Ableger "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS)  und sein syrischer Pendant "Jabhat al-Nusra". Im Norden Latakias, wo die "Junud ash-Sham" mit den Deutschen stationiert war, soll auch der ISIS in unmittelbarer Nachbarschaft ein Kommandozentrum betrieben haben. An der Spitze stand dort der Iraker Ali Aswad al-Jiburi, alias "Abu Ayman al-Iraqi", ein enger Vertrauter des späteren Kalifen "Abu Bakr al-Baghdadi". "Abu Ayman" galt bereits in dieser Zeit als einer der brutalsten Kommandeure in Syrien, der mit Verbündeten wie Feinden kurzen Prozess machte, wenn sie ihm und den Zielen des ISIS in die Quere kamen. Zahlreiche Exekutionen ob von alawitischen Zivilisten, Rebellenkommandeuren oder Kriegsgefangenen gingen auf "Abu Aymans" Konto.

Zwischen den Deutschen und dem ISIS soll es damals bereits einen regen Kontaktaustausch gegeben haben. "Wo sich Abu Ayman aufhielt, war unter uns kein großes Geheimnis", so eine Quelle gegenüber dem Blog. Man hätte ihn damals noch ohne Probleme aufsuchen können. Und das taten offenbar auch einige Deutsche in der Zeit.  "Durch seine harte Art war er gerade unter den jungen und labilen Kämpfern beliebt." Er sei ein Idol für die "Draufgänger" gewesen, eine Art "Tupac" und "50 Cent"  in einer Person. In dieser Zeit sei das noch kein großes Problem gewesen. Schließlich kooperierte man da noch gemeinsam im Kampf gegen den syrischen Diktator al-Assad. Zur unversöhnlichen Feindschaft kam es erst später, als der ISIS alle anderen Rebellen unter seine Herrschaft zwingen wollte.

Labil waren vor allem die Unerfahrenen, ja vor allem (religiös) Ungebildeten unter den Deutschen, die in Syrien weniger aufgrund ihrer spirituellen oder traditionellen Orientierungen kämpfen wollten, sondern auch ihren Gewaltfantasien im Sinne knallharter Freund-Feind-Schemata freien Lauf lassen wollten. Neben Cuspert gehörte auch Fared Saal zu dieser Gruppe, der noch wenige Monate vor seiner Ankunft in Syrien wegen seiner Beteiligung an der gewalttätigen Demonstration von "Millatu Ibrahim" in Bonn zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war und dem eine Richterin damals noch eine "positive Sozialprognose" attestiert hatte. Er, aber auch Cuspert, gehörten zu solchen deutschen Dschihadisten, die sich von Männern wie Abu Ayman mit ihrer Straßen- und Ellbogenmentalität angezogen fühlten. In ihrer Jugend hatten sie ohnehin kaum etwas anderes gelernt, um ihre (materiellen) Interessen zu verwirklichen.

Auch der in der Türkei im Knast sitzende Mohammed Mahmoud registrierte diese Entwicklung und nutzte seinen Einfluss auf Cuspert und die anderen Kämpfer. "Mahmoud meinte noch zu uns Deutschen, geht zur Nusra. Dann hatte er einen Sinneswandel und meinte dann, geht zu ISIS." Die Spaltung der deutschen Gruppe war daraufhin nicht mehr aufzuhalten. Neben den Bonnern Fared Saal und dem erst 16-jährigen Badr B., verließ auch Denis Cuspert im Spätsommer 2013 die "Junud ash-Sham". Während Saal und B. sich gleich in den Dienst des ISIS stellten, zog Cuspert noch als formal "unabhängiger" Rebell durch Nordsyrien.

Zu den in den Bergen Latakias zurückgelassenen Kampfgefährten hielten sie weiterhin intensiven Kontakt. Mittlerweile überzeugt von den Zielen und Methoden des ISIS, versuchten sie ihre Landsmänner zur irakischen Terrororganisation zu lotsen. Sie schickten Schriften und Werbematerial und führten hitzige Debatten mit ihnen. Die Traditionalisten, wie sie sich nannten, die nicht bereit waren "Junud ash-Sham" zu verlassen, wollten das unterbinden. Sie hätten versucht, die Anwerbeversuche des ISIS zu verhindern, indem sie "brisante" Informationen zurückhielten, so ein Gesprächspartner gegenüber dem Blog.

Doch das sei schief gelaufen, denn einige hätten geplaudert. Und in kurzer Zeit verließ ein Deutscher nach dem anderen die Rebellengruppe, bis nur noch wenige von ihnen in den Reihen der Rebellengruppe übrig geblieben waren.

"Mein Kopf war offen"

Denis Cuspert reiste einige Wochen durch die syrischen Provinzen Idlib und Aleppo. Doch dann kam ein Tag im späten August 2013, als ein syrisches Kampfflugzeug am Himmel über der Kleinstadt Salqin auftauchte und Bomben über mehreren Häusern abwarf. Cuspert wurde durch eine der Explosionen getroffen und am Kopf schwer verletzt. Mit einem Krankenwagen brachte man ihn in die Türkei, wo er in einem Krankenhaus notoperiert wurde und über Wochen behandelt werden musste. Deutsche Freunde wie der Berliner Fatih K. wachten an seinem Krankenbett.

Im Dezember meldete sich Cuspert dann mit einer Videobotschaft auf der Internetplattform "Globale Islamische Medienfront" zurück. "Mein Kopf war offen gewesen, und mein Gehirn kam ein bisschen raus", so der körperlich schwer gezeichnete Mann damals. Doch er habe sich wieder erholt und werde weiterhin ein "Ansaar" (Helfer) und Unterstützer der Muslime bleiben. Im gleichen Moment forderte er einmal mehr seine Gesinnungsgenossen in Deutschland auf: "Wandert aus! Sucht euch einen besseren Ort, die Erde ist groß genug."
 
Wahrscheinlich hielt er sich zu diesem Zeitpunkt in der Kleinstadt Darkoush in der Provinz Idlib auf. Bei einem Gelehrten, vermutlich der Syrer "Sheikh Abu Omar al-Ghuraba", der als Netzwerker zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA), Jabhat al-Nusra und ISIS fungierte und der ebenfalls später ein schillernder IS-Funktionär wurde. Der in Japan umstrittene Journalist Kosuke Tsuneoka, der zu Dschihadisten in Syrien enge Kontakte unterhielt, traf Cuspert und den Syrer im Oktober 2013 in Darkoush. Der Deutsche habe zurückhaltend gewirkt, so Tsuneoka gegenüber dem Blog. Er habe vor allem über die islamische Gesellschaft geredet und über seine Vorstellungen, wie ein islamischer Staat in Syrien aufgebaut werden könne. Über Deutschland habe er dagegen kein Wort verloren. Viel habe er ohnehin nicht gesprochen.
Denis Cuspert/ Abu Omar al-Ghuraba

Das änderte sich jedoch, als Cuspert über "Abu Omar al-Ghuraba" Kontakt zu dem bereits erwähnten ISIS-Kommandeur "Abu Ayman al-Iraqi" suchte. Mit ihm soll sich Cuspert seit seiner Genesung mehrere Male getroffen haben und sich auf die Linie des ISIS einschwören lassen. Neben "Abu Ayman" erhielt Cuspert auch den Zugang zum bharainischen Prediger Turki al-Binali alias "Abu Sufyan as-Sulami", der später eine zentrale ideologische Führungsfigur beim IS wurde und unter anderem eine Fatwa erließ, die das Halten von Sexklavinnen billigte. Zu Cusperts Freund Mohamed Mahmoud hatte al-Binali schon länger regen Kontakt gehabt. Mahmoud war sein Schüler und im November 2013, als Mahmoud noch im türkischen Gefängnis saß, stellte er diesem eine Ijazah aus, also eine Lehrbefugnis für seine Schriften.

In der Folgezeit füllte Cuspert die Rolle aus, die ihm der ISIS zugedacht hatte, auch wenn sich seine Tätigkeiten in den darauffolgenden Jahren vor allem auf die deutschsprachige Dschihad-Community beschränkte. Seine Sprachkenntnisse, sowohl Englisch als auch Arabisch, waren zu diesem Zeitpunkt nach wie vor mangelhaft. Er reiste daher mit anderen deutschen Kämpfern durch Idlib und Aleppo und inszenierte den Dschihad in Syrien als eine Art Freizeitspaß. Für die Reihe "al-Rahma" der "Globalen Islamischen Medienfront" ließ er sich im Winter bei Schneeballschlachten filmen, im Sommer bei der Ernte von Feigenbäumen, dazwischen immer wieder Spendenverteilungen an syrische Zivilisten. Seine eigene Rolle definierte er als "Da'wa machen", um die Akzeptanz der ausländischen Dschihadisten (Muhajirun) in der syrischen Bevölkerung zu fördern.

IS-Kämpfer, Kriegsverbrecher, Frauenheld

Mit dem vollständigen Zerwürfnis zwischen gemäßigten Rebellengruppen und dem ISIS Anfang 2014, zog sich letzteres durch mehrere militärische Niederlagen aus dem Westen Syriens in die ostsyrische Stadt Raqqa zurück. Auch Cuspert und seine deutschen Begleiter verschlug es dorthin, wo die Terrororganisation im Januar 2014 vollständig die Kontrolle übernommen und ein brutales Regime errichtet hatte. Im April 2014 folgte dann das endgültige Bekenntnis des einstigen Rappers zum Kalifat.

In einem Video des von ihm selbst gegründeten Propagandakanals "al-Tibyan", gab Cuspert seine Bay'a (Treueeid) an den ISIS-Anführer "Abu Bakr al-Baghdadi". Stellvertretend für den ISIS-Boss saß ihm dabei ausgerechnet "Abu Ayman al-Iraqi" gegenüber. "Der Grund meiner Bay'a, die ich gegeben habe, meines Vertrags an den Islamischen Staat im Irak und Sham ist, weil wir Muhajireen, die wir ausgewandert sind, um Allahs Scharia zu implementieren. Die ausgewandert sind, um das Kalifat zu unterstützen, das inshallah kommen wird nach über 100 Jahren", stotterte Cuspert damals als Begründung. Er werde seine ganze Kraft und Energie investieren, bis ihn "eine Kugel oder eine Rakete" treffen würde.

Kurz nach seinem offiziellen Eintritt in den ISIS veröffentlichte Cuspert bereits neues Propagandamaterial. Vor allem Anashid, mehr schlecht als recht gesungen, kündeten von einer neuen Qualität der Verrohung und einer martialischeren Sprache. Während er beim Aufbau der vielen Medienstellen des ISIS beteiligt war, schloss er sich auch neuen Feldzügen der Terrorgruppe an.

Im Frühsommer 2014, nachdem im Juni der ISIS offiziell das Kalifat ausgerufen hatte und sich nur noch als "Islamischer Staat" (IS) bezeichnete, beteiligte sich Cuspert gemeinsam mit seinem Gefährten Fared Saal an einem Überfall des IS in der zentralsyrischen Provinz Homs. Die Kämpfer nahmen ein wichtiges Gasfeld der syrischen Regierung ein und töteten dabei mehrere hundert Milizionäre. Kurze Zeit später ging ein Video um die Welt. Darin zu sehen: Cuspert und Saal beim Schänden von Leichen gefallener und offenbar hingerichteter Soldaten.  Während der Berliner mit einer Sandale auf den Kopf eines Toten einschlug, stieß Saal beim Filmen des Leichenfelds zynische Flüche aus. Aussagen wie "Dreck", "Schweine", "Oh, da wurde jemand anscheinend überfahren" und "Wir brauchen mehr von denen" verdeutlichen, warum die beiden innerhalb der Szene selbst den Hartgesottenen ein Dorn im Auge war. Nicht nur nach internationalem Recht waren die Taten Cusperts und Saals ein Kriegsverbrechen, sondern sie stellte auch nach allgemeiner Auffassung der islamischen Gelehrten einen groben Verstoß gegen islamische Sitten dar.

Und es war nicht das einzige Verbrechen, an dem Denis Cuspert im Jahr 2014 unmittelbar beteiligt gewesen sein soll. Im August des selben Jahres, als in der Provinz Deir Ezzor der sunnitische Stamm der Shaitat gegen den IS rebellierte, kam es zu einem der schlimmsten Massaker durch die Terrororganisation im gesamten syrischen Bürgerkrieg. Cusperts Bekannter "Abu Ayman al-Iraki", zwischenzeitlich durch "Abu Bakr al-Baghdadi" zum Wali (Provinzgouverneur) von al-Khayr (Deir Ezzor) ernannt worden, ließ laut der IS-Propaganda an den Shaitat ein Exempel statuieren. Hunderte Mitglieder des Stammes wurden bei Massenexekutionen erschossen, geköpft oder auf andere Weise umgebracht. Auch hier folgte daraufhin ein Video mit Cuspert, der bei der Enthauptung mehrerer Männer anwesend war und sie dabei mit leerem Blick anstarrte.

Doch der Deutsche war in dieser Zeit nicht nur mit Kämpfen und Propagandaarbeit beschäftigt. Auch in Sachen Frauenbekanntschaften bekam der Vater dreier Kinder längst die Resonanz, die sich die meisten Dschihadisten wünschten, wenn sie sich vor den Kameras in Szene setzten. Cuspert war nicht nur in Berlin ein Frauenschwarm, sondern auch viele weibliche Islamistinnen im Ausland hatten ein Auge auf ihn geworfen. Mehrere Affären wurden ihm in Syrien nachgesagt. Sogar im Internet prahlten Frauen mit dem Deutschen. Umso heikler war die Angelegenheit, hatte Cuspert doch in Berlin seine deutsch-türkische Ehefrau zurückgelassen, die zwischenzeitlich seine Tochter geboren hatte. Umso intensiver entsponnen sich wahre Beziehungsdramen im Hintergrund. Da schwor der IS-Kämpfer der einen Gespielin die ewige Treue, schickte der anderen wutentbrannte Nachrichten, warum sie sich mit ihm öffentlich rühmte. Die Nebenbuhlerinnen beschimpften sich gegenseitig als "dreckig", "Lügnerin" und "Fake Umm Talha".

Die FBI-Ermittlerin Daniela Greene, eine Tschechin, die in Deutschland aufwuchs, bandelte tatsächlich über das Internet mit Cuspert an. Eigentlich hatte sie Anfang 2014 den Auftrag bekommen die Kommunikation von Cuspert auszuspähen und zu übersetzen. Sie verliebte sich in ihn und reiste im Sommer 2014 zu ihm nach Syrien. Sie heiratete den Deutschen nach islamischen Ritus. Doch nur kurze Zeit später erkannte sie, dass das Leben neben einem berühmten "Posterboy" des IS in Syrien nicht über die Lebensbedingungen in einem Bürgerkriegs hinweg täuschen konnten. Sie türmte nach nur einem Monat aus dem Bürgerkriegsland. In den USA wurde sie umgehend verhaftet.

Zwischenzeitlich, etwa im August 2014, kam auch Cusperts Freund Mohamed Mahmoud nach Syrien. Er war im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zwischen dem IS und der türkischen Regierung freigelassen worden. Mahmoud reiste nach Raqqa und nutzte dort seine guten Kontakte, um sich in der Bürokratie des IS einzugliedern. Neben administrativen Aufgaben und Predigten u.a. in der al-Nour Moschee, fungierte auch er wie Cuspert als wichtiger Protagonist der IS-Propaganda, insbesondere für seinen Lehrmeister Turki al-Binali ("al-Ghuraba Media").

Ende 2014 lockte Mahmoud zudem den Frankfurter Nadir H. nach Syrien, der in der Salafisten-Szene eine durchaus prominente Rolle inne hatte. Unter Labels wie "Die Stimme der Wahrheit" und "Islamische Audios" machte er sich als islamistischer Dichter und Geschichtenerzähler in der deutschen Salafisten-Szene einen Namen. Cuspert, Mahmoud und der von einer Knie-Operation geschwächte Nadir H. verbrachten daraufhin den Winter zusammen. Ob bei spontanen Videodrehs und "Da'wa"-Aktionen, Predigten und Moscheebesuchen sowie die Verbreitung von Propaganda im Internet: Die drei verbrachten für einige Monate viel Zeit miteinander.

Offenbar hatten zumindest Cuspert und Nadir H. spätestens Anfang 2015 auch am Kobane-Feldzug gegen die syrischen Kurden teilgenommen. Jedenfalls berichtete der österreichische Syrien-Rückkehrer Oliver N. in seinem später veröffentlichten Buch, dass Cuspert in der Zeit die deutschsprachigen Dschihadisten nachdrücklich aufgefordert hatte, an der blutigen Schlacht teilzunehmen, da dort das Tor "zum Paradies weit offen" stehen würde. Und auch mehrere Videos, die Nadir H. in sozialen Medien unter dem Pseudonym "Stimme der Wahrheit" hochgeladen hatte, lassen sich als Indizien lesen. Darin ist Cuspert in Raqqa zu sehen, wie dieser den Abtransport von "Ghanima" (Kriegsbeute) aus Kobane mitorganisierte. Ein Kühlschrank, mehrere Bettmatrazen und Teppiche. Beute, die "von den Brüdern mit Blut bezahlt" worden sei, erklärte Cuspert. Nadir H., der die Szenen gefilmt hatte, starb im März 2015 bei Kobane durch einen Luftangriff.



Vermutlich reiste Cuspert im Frühjahr 2015 weiter in den Irak. Darauf weisen Bildaufnahmen hin, die in diesem Zeitraum in einem christlichen Vorort von Mossul entstanden sein müssen. In al-Hamdaniyah, besser bekannt als Karakosch, ließ sich der Deutsche mehrere Male vor und in einem Haus eines christlichen Anwalts fotografieren, wie der "Welt"-Journalist Alfred Hackensberger von einem Zeugen erfahren hatte. Im April veröffentlichte zudem das Zentralorgan der IS-Propaganda, das "al-Hayat Media Center", einen neuen Nashid von Cuspert ("An euch Feinde Allahs"), in dem er die westlichen Staaten aufforderte mit Bodentruppen in den Krieg einzugreifen. "Wir werden euch verbrennen, erschlagen und ersticken", drohte er.

Im August tauchte der Deutsche dann in einem Video auf, das verdeutlicht, dass Cuspert mit der Zeit auch für andere Nationalitäten als Agitator und Propagandist aktiv wurde. Für den IS-Ableger "Furat Media", der sich nicht nur, aber primär an das russischsprachige Publikum wandte, trat Cuspert mit grimmiger Miene vor die Kamera. Neben fünf Dagestanis rief er in deutscher Sprache die "Jugend von Shishan und von Dagestan" in der "Wilayah al-Qawqaz" (Kaukasus-Region) auf, sich dem IS anzuschließen. "Kommt in den Dschihad, kommt in die Wilayah al-Qawqaz, seid ein Teil dieser Khilafa", forderte er sie auf. Zu diesem Zeitpunkt weilte er offensichtlich in Tabqa, einer syrischen Stadt am Euphrat, die für ihren großen Staudamm bekannt ist.

Im selben Monat veröffentlichte die IS-Medienstelle "Wilayah Homs" ein Video von Cusperts Freund Mohamed Mahmoud, der gemeinsam mit dem Bonner Yamin A.-Z. sowie den Bremern Harry S. und Adnan S. zu Anschlägen in Deutschland aufrief. Und nicht nur das. Zwischen den Denkmälern der antiken Stadt schossen Mahmoud und A.-Z. zwei syrischen Soldaten hinterrücks in die Köpfe. Später kursierte ein Foto im Internet. Es zeigte die Hinrichtungsszene in der Entstehungsphase des Propagandafilms: Mahmoud, Yamin A.-Z., ihre zwei Opfer sowie die beiden Kameramänner, die den Film abdrehten. Vermutlich kamen auch diese beiden aus Deutschland: ein Mann namens Abu Lut aus Solingen und der andere, der dem Ex-Berliner Denis Cuspert sehr ähnlich sieht.

Ein Tod auf Raten

Nur anderthalb Monate später war Cuspert ein toter Mann. Zumindest behaupteten das syrische Aktivisten und das amerikanische Außenministerium Ende Oktober 2015. Ein gezielter Luftangriff hätte den Deutschen neben anderen IS-Funktionären bei Tabqa getötet. Auch in der deutschen Dschihadisten- und Salafisten-Szene hatte es daraufhin große Aufregung gegeben. "Abwarten" hieß es damals, "keine Bestätigung". Ein öffentliches Lebenszeichen Cusperts blieb nach den Todes-Meldungen längere Zeit aus. Nur seine familiären Kontakte in Berlin erfuhren ein paar Tage später von ihm, dass er immer noch unter den Lebenden weilte. Im Dezember folgte dann auch die propagandistische Rückmeldung Cusperts. Erneut in einem Video des IS-Kanals "Furat Media", glorifizierte er einen deutschen "Ishtishadi" aus Solingen (beim IS ein Selbstmordattentäter), der sich in Kirkuk in die Luft gesprengt hatte.

2016 und 2017 ging es dann aber mit Cusperts Präsenz in den IS-Medien steil bergab. Offenbar hatte sich der Deutsche dazu entschlossen sich mehr auf den Kampf zu konzentrieren. Wahrscheinlich auch, um sich der größer werdenden Gefahr von gezielten Luftschlägen zu entziehen. Vieles weist darauf hin, dass er sich von den Deutschen trennen wollte, um sich IS-Brigaden aus dem Kaukasus anzuschließen. Kolportiert wurde, dass ihm die deutschsprachigen Kämpfer zu unstet und zu wenig fromm gewesen seien im Gegensatz zu den Hardlinern aus Tschetschenien, Dagestan oder Aserbaidschan. Bis auf einige Anashid verbreiteten vor allem russischsprachige IS-Kanäle Bilder oder kurze Videos von und mit ihm.


Einige Deutsche berichteten per Nachrichten in der Zeit dem Blog, er treibe sich immer wieder in Raqqa herum. Genauso, dass er sich als Kommandeur einer Brigade in Homs aufgehalten und sich an Kämpfen gegen die syrische Armee beteiligt hätte. Wahrscheinlich nahm er im Dezember 2016 am zweiten Eroberungsfeldzug des IS in Palmyra teil. Eine Szene aus einem IS-Propagandafilm von "al-Hayat", die Cuspert möglicherweise von hinten zeigt, legt diesen Verdacht nahe.

Als die syrischen Kurden Mitte 2017 die IS-Hochburg Raqqa mit US-amerikanischer  Luftunterstützung nach und nach umzingelten schien Cusperts Dschihad-Karriere sich dem Ende zu neigen. Die Propaganda-Stelle "al-Wafa" berichtete in ihrem Nachruf auf Cuspert, der Berliner sei bei der Schlacht um die Stadt "ernsthaft verwundet" worden, sodass er für Kampfeinsätze eigentlich nicht mehr in Frage gekommen sei. Er habe sich dennoch weiterhin an den Kämpfen beteiligt.

Am 15. Oktober 2017 gestatteten die Kurden mehreren tausend verbliebenen Kämpfern und Familien den Rückzug aus der Stadt in Richtung Osten Syriens. Offenbar gelang so auch Cuspert die vorläufige Rettung aus dem Kessel von Raqqa. Doch die ständigen Vorstöße der  IS-Gegner aus allen Richtungen schränkten die Bewegungsfreiheit Cusperts immer weiter ein. In seinen letzten Tagen kämpfte der Deutsche vor allem mit einem Gegner, der eine offene Rechnung zu begleichen hatte. Der Shaitat-Stamm, dessen Familienmitglieder 2014 auch mit Beteiligung von Denis Cuspert zu Hunderten vom IS exekutiert worden waren, versuchte seine Siedlungsgebiete wieder zurückzuerobern. In Garanij kam Cuspert am 17. Dezember schließlich in einem Häuserkampf mit den einst durch den IS Geächteten ums Leben.