IS-Propaganda: Mit der Familie in den Dschihad

Die syrische Provinz Aleppo gilt als Hochburg deutscher Dschihadisten. Im Gebiet des Drei-Städte-Ecks al-Bab, Manbij und Jarabulus nahe der syrisch-türkischen Grenze halten sich viele Kämpfer mit ihren Frauen auf. Sie betätigen sich als Kuriere, Wachmänner oder beteiligen sich aktiv an Kämpfen. Doch nur von wenigen  Deutschen ist bekannt, wie ihr Lebensalltag genau abläuft. Wenn es nach der Propaganda des Islamischen Staates (IS) geht, ist jeder Tag ein Rausch der Glücksgefühle. Das zeigt auch ein in der letzten Woche veröffentlichtes Video des "Medienbüros Aleppo". Der Hauptdarsteller: Abu Youssef al-Almani. Nach gemeinsamen Recherchen mit dem Solinger Tageblatt handelt es sich um eine Familie aus Solingen.

Eid al-Adha

Das Islamische Opferfest Eid al-Adha gehört bei den Muslimen zu den wichtigsten Feierlichkeiten im Jahr. Es wird als Höhepunkt der Hajj gefeiert, die Wallfahrt nach Mekka, die jährlich Millionen von Pilgern aus aller Welt anzieht. Muslime, die nicht die Möglichkeit haben, nach Saudi-Arabien zu reisen, begehen das Fest zu Hause nach traditionellem Ritus.

Am "Tag der Schlachtung", dem 10. Dhul al-Hijja (12. Monat im islamischen Kalender), beginnt Eid al-Adha. Muslime gehen am Morgen zum Festgebet. Anschließend werden häufig Tiere geopfert. Familien, Freunde und Nachbarn  kommen zusammen, Spenden und Geschenke werden an Bedürftige verteilt. Es sind hektische und zugleich fröhliche Tage.

Auch die mittlerweile professionell arbeitende Verwaltungsstruktur des IS schaffte es in diesem Jahr, das religiöse Fest für ihre Bewohner mit allen Annehmlichkeiten zu organisieren. Zumindest suggiert dies die Propaganda der Terrorgruppe. So veröffentlichte die "Medienstelle Aleppo" in der vergangenen Woche ein Video über die Festlichkeiten von Eid al-Adha. Der Titel des Videos: "Eid Mujahid".

Im Mittelpunkt des knapp zehnminütigen Videos steht ein rotbärtiger Mann mit bleichem Gesicht und blauen Augen, die unteren Augenlieder mit schwarzem Kajal nachgezogen. Aus einigen Hadithen ist überliefert, dass auch der Prophet Mohammed sich mit dem Kohl, der aus Butterschmalz gewonnen wird, die Augenlieder einrieb. Viele Djihadisten imitieren die  Lebenspraxis des Propheten so detailgetreu wie möglich.

Doch was an dem westlich aussehenden Mann viel interessanter erscheint, ist seine Kunya - sein Beiname: Abu Youssef al-Almani, d.h. der Vater von Youssef, dem Deutschen. Er ist der Hauptdarsteller, der von einem Filmteam des IS vor und während Eid al-Adha begleitet wurde.

Wo genau der Film entstanden ist, konnte "Erasmus Monitor" mittlerweile in Erfahrung bringen. Nach Recherchen des Blogs, spielten sich die Szenen in der IS-Hochburg Manbij bei Aleppo ab. Parallel entstandene Bilder in der Stadt aus dem Zeitraum von Eid al-Adha belegen dies zweifelsfrei. Schon längere Zeit ist bekannt, dass in Manbij zahlreiche Kämpfer aus Deutschland und Großbritannien leben.

Tag der Tränkung

Der Film mit Abu Youssef beginnt ganz typisch für die IS-Propaganda. Der Deutsche steht mit einer Kalaschnikow im Anschlag an einem hohen Erdwall und zielt in die Ferne. Er trinkt erschöpft aus einer Wasserflasche. Es ist der 8. Dhul al-Hijja, dem "Tag der Tränkung" (21. Sept. 2015), lässt sich aus dem eingeblendeten Untertitel im Video entnehmen. Noch zwei Tage also bis zum Beginn von Eid al-Adha.

Der Mann sitzt mit zwei älteren Kameraden auf dem Boden und hantiert an seiner Waffe, bis ihn ein herbeigeeilter Kommandeur mit einem Lächeln von seinen Pflichten entbindet. Abu Youssef steigt in ein Auto mit Aleppiner Kennzeichen und fährt los. Aus den Autolautsprechern meldet sich der IS-Radiosender "al-Bayan" mit religiösen Botschaften. Übertönt wird die lethargische Stimme des Moderators durch einen im Video eingespielten Nasheed [Islamischer Gesang, Anm. d. A.]. "Wir sind gekommen. Die Schlacht ist im Gange. Wir werden widerstehen", heißt es.

Der Deutsche fährt nach Manbij. Von einem Balkon aus - so zeigt die nächste Szene - hält ein alter Mann mit ergrautem Bart in freudiger Erwartung nach dem Auto Ausschau. In seinen Armen hält er einen kleinen Jungen. Offenbar der Sohn von Abu Youssef. Der steigt vor dem Haus aus dem Auto und schaut zu den beiden auf. Er wirkt wie ein ganz normaler Familienvater, der nach beendeter Arbeit nach Hause kommt. Der Greis und der kleine Junge kommen ihm entgegen und begrüßen den Rückkehrer überschwänglich.

Arafat

Die nächste Szene zeigt den Morgen des 9. Dhul al-Hijja, dem Arafa-Tag (22.Sept. 2015). Während zur gleichen Zeit in Mekka die Gläubigen ihre Verweilzeremonie am Berg Arafat beginnen, geht Abu Youssef in der Innenstadt von Manbij einkaufen. Die Gassen sind vollgestopft von Menschen, hupenden Autos und knatternden Motorrädern. Die bunten Warenkörbe in den Läden sind prall gefüllt mit Delikatessen. So filmt es zumindest die IS-Propaganda.

Der Deutsche kauft Pistazzien und Süßigkeiten. Er besucht ein Uhrengeschäft und eine Parfümerie. Im Supermarkt legt er Pampers von "Prima", Kekse aus Deutschland und "Kitkat"-Schokoriegel in den Einkaufswagen. "Seht her, ihr müsst hier auf nichts verzichten", sollen die Bilder des IS potenziellen Rekruten im Westen suggerieren.

Zusammen mit dem kleinen Kind fährt der Mann anschließend zu einem Tierhändler. Er braucht ein Opfertier für den nächsten Tag. Ein Schaf wird ausgewählt und gefesselt. Weiter geht es für Vater und Sohn zu einem Bekleidungsgeschäft. Dem Kleinkind wird eine militärische Tarnuniform übergestülpt, wie sie die meisten Kinder von Dschihadisten tragen müssen.

Die surreal anmutende Ambivalenz der militanten Erziehung beim IS zeigt sich in einer nächsten Videosequenz: In einem Spielzeugladen kauft Abu Youssef seinem Sohn neben einem Hüpfball und einer Ente ein Maschinengewehr aus Plastik. Der Nachwuchs soll schon früh auf das Leben eines Kämpfers vorbereitet werden. Schon im Alter von sieben oder acht Jahren, werden die Kinder in Trainingslagern an der Waffe ausgebildet.

Das Fest beginnt

Der nächste Tag, es ist der 10. Dhul al-Hijja (23. Sept. 2015), der Tag der Schlachtung. Abu Youssef kleidet seinen Sohn ein und zieht ihm eine schwarze Mütze mit dem IS-Emblem über den Kopf. Der Vater, in weißer Thobe gekleidet und rotem Imamah um die langen Haare gewickelt, wirft sich das Gewehr über die Schulter. Der Sohn bekommt sein Geschenk aus dem Spielzeugladen in die Hände gedrückt.

Gemeinsam gehen sie zum Festgebet in eine Moschee in der Stadt. Vor dem Gebäude umarmt Abu Youssef zahlreiche IS-Kämpfer und reicht Süßigkeiten auf einem Tablett herum. "Lasst die Geschichte sprechen, die Geschichte, auf die wir stolz sind. Führe meine Religion zum Sieg. Weiter und weiter nach oben", heißt es in einem begleitenden Nasheed während dieser Prozedur.

Nach der Schlachtung seines am Vortag ausgewälten Opfertiers, verteilt Abu Youssef Plastiktüten mit Lebensmitteln an bedürftige Haushalte. In einem Krankenhaus besucht er verletzte Kämpfer, redet ihnen Mut zu. Am Abend geht er mit seinem Sohn noch in einen Freizeitpark.
Eine groteske Filmszene entsteht dort auf einer Fahrt im Riesenrad: Das kleine Kind in Tarnanzug sitzt auf dem Schoß des Vaters und staunt über den Ausblick über der Stadt. Der Vater streichelt den Sohn sanft unter dem Kinn.

Eine Familie aus Solingen

Laut Hinweisen aus der Salafistenszene, handelt es sich bei Abu Youssef wahrscheinlich um ein Mitglied der aus Palästina stammenden Familie A.-G., die zum engeren Zirkel der Solinger Extremistengruppe "Millatu Ibrahim" gehörte. Nach Informationen von "Erasmus Monitor" soll es sich bei dem IS-Kämpfer um Ahmad A.-G. handeln, der in der Szene auch als "Abu Ahmad" bekannt war. Der 28-Jährige soll schon seit längerer Zeit in Syrien kämpfen. Nach neueren Erkenntnissen war Ahmad bereits im Oktober 2014 in einem Drohvideo mit dem aus Gladbeck stammenden Konvertiten Michael N. im Hintergrund zu sehen.

"Zu 90 % ist er es", bestätigte eine Quelle gegenüber "Erasmus Monitor" entsprechende Vermutungen. Ahmads Vater, der 60-jährige Youssef A.-G., war stellvertretender Vorsitzender der Hinterhof-Moschee Masjid ar-Rahma, wo sich die Gruppe um Mohamed Mahmoud regelmäßig traf. Er ist demzufolge auch der ältere Mann im Video. Nach gemeinsamen Recherchen mit "Report München" (13.10.2015), soll der Mann jahrelang für den NRW-Verfassungsschutz als V-Mann tätig gewesen sein.

Ahmad A.-G.



Als im Jahr 2012 ein Filmteam von SPIEGEL TV den Österreicher Mohamed Mahmoud vor der Solinger Moschee interviewen wollte, wurden sie durch Ahmad A.-G. und dem mittlerweile bekannten IS-Propagandisten Christian E. im Vorhof der Moschee massiv bedrängt. Laut Kennern der Szene soll Ahmad A.-G. jedoch zu den eher ruhigeren Leuten der Sekten-Gemeinschaft gehört haben.

Mit Christian E., Denis Cuspert, Mohamed Mahmoud, Hasan K., Robert B. (in Syrien 2014 gestorben) und auch mit dem Prediger Abou Nagie, beteiligte sich Ahmad A.-G. schon früh an den Koranverteilungen der "Lies!-Kampagne" unter anderem in Wuppertal, Hagen und Solingen. Berichten zufolge soll er sich auch an den gewaltsamen Protesten in Solingen im Mai 2012 beteiligt haben. Er war Teilnehmern aufgefallen, weil er sich trotz der Tumulte bei der Demonstration mit einem Kleinkind in seinem Arm unter die Leute gemischt hatte.

Nach Informationen von "RP online" soll die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach der erstmaligen Veröffentlichung des Artikels auf "Erasmus Monitor" ein Ermittlungsverfahren gegen Ahmad A.-G. eingeleitet haben. Bildaufnahmen weisen zudem darauf hin, dass der Mann für das IS-Medienbüro Halab gearbeitet hatte.