Das Netzwerk: Salafistische Vereine und die Spenden für Syrien

Salafistische Hilfsorganisationen sammeln Millionen-Beträge für die syrische Zivilbevölkerung. Es bleibt aber offen, ob sie das Vereinsrecht einhalten und in Wirklichkeit auch militante Gruppen in Syrien unterstützen.

Helfen für Allah

Der syrische Bürgerkrieg löste in der muslimischen Welt starke Polarisierung aus. Assad wolle die sunnitische Mehrheit in Syrien auslöschen, warnten viele Prediger in den Moscheen und riefen die "Ummah" auf ihren Geschwistern in Syrien zu helfen. In kürzester Zeit entstanden Organisationen und Vereine, die sich für die notleidenden Menschen in Syrien einsetzen wollten. Doch nicht immer ging es den Gründern dabei um Mildtätigkeit und grenzenlose Nächstenliebe. Salafistische Tarnorganisationen und angebliche Hilfskonvois transportierten neben Hilfsmitteln für Zivilisten auch Geld und Waffen zu den dort kämpfenden sunnitischen Rebellen. Meist gelangten die Transporte ohne jegliche Kontrollen der zuständigen Polizeibehörden über die türkische Grenze. Die türkische Regierung unternahm alles, um die Rebellen im Nachbarland zu unterstützen und ließ die Islamisten deshalb gewähren.

In Deutschland sammeln etablierte Organisationen wie das Internationale Rote Kreuz bzw. der Rote Halbmond, Ärzte ohne Grenzen und viele andere Vereine Spenden für internationale Hilfstransporte, die mit den Vereinten Nationen häufig koordiniert werden. Die Verwendung der Mittel erfolgt auf transparenter Basis durch Rechenschaftsberichte und regelmäßige Bilanzprüfungen. Die Lieferung von Hilfsgütern wird zudem in der Regel mit der Regierung des betroffenen Landes abgestimmt. Doch deutsche Islamisten versuchen die allgegenwärtige humantitäre Katastrophe in Syrien und im Irak zu nutzen, um für ihre religiösen Ziele mit unklaren Verwendungszwecken Geld von hilfsbereiten Spendern einzuwerben.

Den Salafisten nahe stehende Vereine wie „Helfen in Not“, „Medizin ohne Grenzen“, „Ansaar International“, „Muslime helfen“, „al-Rahma“ oder „Afrikabrunnen“ operieren im gesamten Bundesgebiet und verfügen mittlerweile über zahlreiche Unterstützer-Netzwerke in den Ländern. Die Vereine untereinander sind ebenfalls eng vernetzt und werden zum Teil durch die selben Aktivisten vertreten.
Werbematerial des Vereins "Ansaar International"
Vor allem im Internet versuchen die Vereine mit professionell gestalteten Internetseiten unwissende Bürger zum Spenden zu animieren. Viele lassen sich durch mitleiderregende Bilder von weinenden oder verletzten Kindern, von flehenden Frauen und alten Menschen erweichen und überweisen per „PayPal“ Geld an die Vereine. „Spendengalas“, „Benefizveranstaltungen für Syrien“, „Kuchenverkäufe“ und ähnliche Aktionen sind weitere wichtige Einnahmequellen der Vereine. Das meist junge muslimische Publikum wird unter tatkräftiger Mithilfe bekannter Salafisten-Prediger wie Pierre Vogel, Abou Nagie, Abu Dujana, Ibn Hajjar, Abu Adam oder Abu Abdullah dazu animiert, Geld oder wertvolle Sachgegenstände zu spenden und Versteigerungen zur Verfügung zu stellen.

Herumgehende Eimer werden mit Geldscheinen vollgestopft. Handies, Goldketten, Edelsteine oder gar Brillen brachten bei Versteigerungen zuweilen Einzelerlöse von mehreren Tausend Euros. Bei solchen Benefizveranstaltungen liefen laut Geheimdienstberichten regelmäßig Spendensummen zwischen 40.000 und 50.000 Euro zusammen. Allein der Verein „Ansaar International“ (vorher „Düsseldorf“) soll so innerhalb eines Jahres fast eine halbe Million Euro eingenommen haben. 

Für welche Zwecke die Vereine letztendlich das Geld verwenden bleibt im Dunkeln. Rechenschaftsberichte und Angaben zu Verwendungszwecken fehlen oftmals. Meistens versuchen die Organisationen zudem ihre Verbindungen ins islamistische Milieu zu verbergen, um potentielle Spender nicht abzuschrecken. Als scheinbare Transparenz sollen daher auf Facebook und Twitter veröffentlichte Videos und Fotos dienen. Auf diesen posieren die Verantwortlichen vor Krankenwagen und Speditionslastwagen oder lassen sich mit syrischen Flüchtlingen bei der Arbeit ablichten.

Geld, Waffen und Munition?

Zwar helfen die salafistischen Organisationen ohne Zweifel auch notleidenden Menschen in Syrien, doch vermuten deutsche Geheimdienste dahinter auch heimliche Geld- und Waffentransporte an islamistische Kampfverbände in Syrien. Recherchen zahlreicher Journalisten ergaben, dass mehrere Vereine Spendengelder an Rebellengruppen in Syrien übergeben haben. So ist der Fall Ahmad Mutaz Faysal bekannt, der für „Ansaar Düsseldorf“ angeblich Hilfsgüter nach Syrien transportierte. In Syrien angekommen soll er islamistischen Brigadeführern der Rebellen fünfstellige Euro-Beträge übergeben und sogar an Treffen von Kämpfern teilgenommen haben. Sogar Rettungswagen aus Deutschland wurden von Verbänden der al-Qaida nahen al-Nusra Front an der türkisch-syrischen Grenze in Empfang genommen und mit Munitionskisten beladen. Zudem sollen die Krankenwagen in mehreren Fällen für Selbstmordattentate gegen syrische Militärstützpunkte verwendet worden sein.

Geheimdienstberichten zufolge war bisher die türkische Stadt Reyhanli „das Einfallstor“ salafistischer Organisationen wie auch deutscher Dschihadisten nach Syrien. Der Berliner Reda Seyam soll in der Stadt zwischen 2012 und 2013 monatelang eine Art Sammelstelle für hunderte deutsche Rekruten betrieben haben. Es ist nicht auszuschließen, dass auch er in die Hilfstransporte der salafistischen Organisationen aus Deutschland involviert gewesen war. Denn Seyam selbst war Experte für den Waffen- und Geldschmuggel. Im Bosnien-Krieg in den 90er Jahren kutschierte er mit einem Auto Waffen und Geldbeträge in Millionenhöhe zu den Mujahedin, wie seine Exfrau zu berichten wusste.

Grenzenlose Nächstenliebe ?

Es wurde bereits über die dubiose Spendenorganisation „Medizin ohne Grenzen“ berichtet, die nicht mit der international tätigen Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ verwechselt werden darf. Nicht zufällig wählten die Verantwortlichen des Vereins einen solchen Namen. Er suggeriert Seriosität, Neutralität gegenüber Religionen und Ethnien sowie Professionalität im Sinne medizinischer Expertise.

Brüder B: Mohamed (l.)/Brahim alias Abu Abdullah
Die Organisation unterscheidet sich erheblich von den bisher bekannten salafistischen Vereinen. Denn sie schafft es größtenteils ohne die gängigen Szene-Floskeln („Brüder und Schwestern“) und die Hervorhebung der „Ummah“ auszukommen. Die Internetseite ist offensichtlich von PR-Profis erstellt worden, etablierte Spendenorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“ dienten als Vorbild für Layout und semantische Werbe-Strategien.
  
Gleich auf der Startseite des Vereins erscheint ein großes Bild eines kleinen weinenden Mädchens. „Schauen sie nicht weg!“ fordert ein Slogan neben dem Bild vom Besucher. „Schenken sie Zukunft!“ und „Retten sie Leben!“ lauten zwei andere Parolen. Ein anderes Bild zeigt eine Gruppe von Kindern, die lachend das Victory-Zeichen in die Kamera halten, mitten unter ihnen ein junger Mann mit modisch geschnittenen Vollbart.

Er ist der als „Projektmanager“ vorgestellte Hauptverantwortliche des Vereins namens Mohamed B. Informationen über seine Referenzen und Vita bietet die Internetpräsenz des Vereins nicht. Allein das Gesicht soll die Menschen von seinen guten Absichten überzeugen. Doch der deutsche Verfassungsschutz hat den Mann bereits ins Visier genommen. Mohamed B. ist der Bruder des bekannten salafistischen Predigers Brahim B. alias „Abu Abdullah“, der vor allem im Rhein-Main-Gebiet seine Anhängerschaft hat.

Der Prediger, der in Ägypten islamisches Recht studiert hat, ist bisher vorallem aufgefallen durch tränenreiche Reden (u.a. für "Die Wahre Religion") über „Das Aufopfern für Allah“ oder den „Märtyrertod“ und verteidigte öffentlich die mit al-Qaida verbündete syrische Jihadistengruppe al-Nusra-Front. Seit 2012 warb Brahim B. zusammen mit seinem Bonner Kollegen Said el-Emrani alias Abu Dujana in Videos auf der islamistischen „Habibiflo“-Plattform von Youtube für Spenden und Hilfen an Vereine wie „Al-Rahma“, „Helfen in Not“ und „Ansaar Düsseldorf“. Mit Abu Dujana besuchte B. auch Syrien und berichtete mit tränenerstickter Stimme über das Leid ihrer Glaubensbrüder. Seine Erfahrungen und Berichte aus Syrien sollen dann auch seinen Bruder Mohamed „angespornt“ haben, Hilfe für Syrien zu organisieren.

Familienclan

Während Brahim für die anderen salafistischen Vereine auf Benefizveranstaltungen für Spenden aktiv warb, hielt er sich aus dem operativen Geschäft seines Bruders weitgehend heraus. Zwar vermutet die Islamwissenschaftlerin Claudia Dantschke, dass die beiden Brüder in der Organisation unterschiedliche Rollen einnehmen würden - „Der eine sorgt für die ideologische Ausrichtung und der andere für die organisatorische Umsetzung" -, jedoch hält sich der Prediger erheblich stärker zurück, als bei den anderen Vereinen. Wahrscheinlich ist, dass die Brüder B. den Verein absichtlich der Öffentlichkeit als völlig unbelastet und ideologiefrei präsentieren wollen.

Diese Strategie verspricht mehr Spendeneinnahmen und sorgt zudem für geringere Widerstände von Salafisten-Gegnern bei Benefiz- und Spendenveranstaltungen, mit denen die anderen Vereine bisweilen konfrontiert sind. So machte beispielsweise der Frontmann von „Ansaar International“, Joel Kayser alias „Abdurahman“ Juden und Neonazis dafür verantwortlich, dass ein Vermieter der Organisation die Nutzung eines Festsaales für eine Benefizveranstaltung untersagt hatte. 

Solche Rückschläge und negative Publicity wollen die Brüder B. wohl möglichst vermeiden. Wie sich anhand des breiten bundesweiten Unterstützernetzwerkes von „Medizin ohne Grenzen“ zeigt, ist die Strategie der beiden bislang äußerst erfolgreich gewesen. Viele Rentner und Schüler sind unter den Spendern zu finden, die vermutlich nichts über den brisanten Kontext des Vereins wissen. Mit einem umfangreichen Werbematerial von Flyern, bedruckten Tassen bis hin zu T-Shirts und Trikots u.ä. wird der Verein auch von unbedarften Bürgern positiv wahrgenommen und mit teils vierstelligen Spenden bedacht. Abschreckende lange Bärte, Shahada-Kappen oder lange Gewänder bleiben überwiegend unsichtbar. Junge westlich gekleidete Frauen sorgen zusammen mit Belkaid in der nicht-muslimischen Öffentlichkeit für die Spenden-Akquisition.

Vereinsmitarbeiterinnen bei der Spenden-Aquise
Vor allem eine junge blonde Frau scheint eine Schlüsselfigur in der Verschleierungsstrategie der Brüder B. zu spielen. Ihr Name ist Lisa R., deren Name im Vereinsregister des Amtsgerichts Siegburg auftaucht. Auch verwendeten führende Salafisten Kontodaten für große Spendenaktionen, die auf ihren Namen liefen. Auf der Internetseite wird sie neben Mohamed B. als „ehrenamtliche Mitarbeiterin“ und „Rettungsassistentin“ mit Lichtbild und vollem Namen vorgestellt. Für „Medizin ohne Grenzen“ trat die Anfang Zwanzigjährige insbesondere gegenüber deutschen Spenden-Kandidaten auf

Unklar war daher, ob die Frau überhaupt für die Organisation arbeitete oder nur "pro forma" mit ihrem deutschen Namen nur bürgte. Die Verbindung zu einem der beiden Brüder ist jedoch leicht zu ermitteln: R. ist mit Mohamed Belkaid liiert. Offenbar durchaus freizügig lebend ist R. Anhängerin von Facebook-Gruppen wie „Islam – der einzig wahre Weg“ oder „ARD und ZDF und ihre neoliberalen Lügenmärchen“. Auch scheint die Frau nicht besonders gut auf Juden und alles Westliche zu sprechen. Die unverständlich zweideutige Erklärung von einem der beiden - „Wir distanzieren uns von sogenannten radikal-salafistischen und dschihadistischen Positionen und Personen und wir distanzieren uns tatenlos zu zuschauen" - offenbart, wie schwer es ihnen fällt ihre Motive offenzulegen oder gar zu präzisieren.

Denn gelänge es deutschen Behörden nachzuweisen, dass die Belkaids bewusst falsche Angaben gemacht und in Wahrheit ihre sektiererische Agenda bei der Verwendung der Spendenmittel zugunsten der sunnitischen Bevölkerung in Syrien in die Tat umgesetzt hätten, könnte ein Vereinsverbot drohen. Zumindest könnten die Verantwortlichen ihre Steuervorteile als gemeinnütziger Verein verlieren.

Spenden, Speisen und Gebete

Natürlich ist der Verein „Medizin ohne Grenzen“ abseits seiner neutral gehaltenen Internetpräsenzen und dem Auftreten in der nicht-muslimischen Öffentlichkeit in der salafistischen Szene äußerst aktiv. Es werden Benefizveranstaltungen und Spendenaktionen organisiert, die sich vor allem an junge Muslime richten. Bei reichlich Kevapcici, Rindwürstchen, Krautsalat und Kuchen trafen sich im Sommer 2014 duzende junge Männer in einem Frankfurter Park zu einem „Benefiz“-Fußballturnier für „Medizin ohne Grenzen“. Prediger von „Die wahre Religion“ waren anwesend, genauso der salafistische Prediger „Ibn Hajar“, der für die ideologische Untermalung der Veranstaltung sorgte. Lange Gebetsmatten auf dem Rasen unterstrichen die religiöse Motivation der Organisatoren.

Ein später aufgetauchtes Video von der Veranstaltung zeigt in einem kurzen Moment auch Mohamed B. unter den Frankfurter Islamisten. Mindestens ein weiteres Fußball-Turnier in einer Halle in NRW fand darüber hinaus statt.

Spendenaktion von Medizin ohne Grenzen in Frankfurt a. Main
Es bleibt unklar, wie viel Geld die Brüder B. mit dem Verein bisher eingenommen und für welche Zwecke sie die Mittel verwendet haben. Zwar besteht kaum ein Zweifel daran, dass die Verantwortlichen von „Medizin ohne Grenzen“ tatsächlich Hilfsgüter nach Syrien geschafft haben. Völlig offen bleibt jedoch die Frage, an wen und unter welchen Kriterien Geld, Kleidung, medizinische Gerätschaften und Nahrungsmittel verteilt wurden. Die große Sympathie der B.'s für die terroristische al-Qaida-Truppe al-Nusra-Front – die sie als legitime Mujahedin betrachten - begründen daher zurecht erhebliche Bedenken und Zweifel bezüglich ihres Vereinsgebahrens.

Mittlerweile scheinen sich die Brüder B. nach einem neuen Vereinsnamen umzuschauen. Möglicherweise hat die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" den Verein zu einer Änderung aufgefordert. Auf der Facebook-Seite von "Medizin ohne Grenzen" bat Mohamed Belkaid seine Unterstützer, alternative Vereinsnamen zu posten. Vorschläge wie "Muslime-ohne-Grenzen" oder "Leben und leben lassen" trafen da schon eher den Kern der Sache.