IS-Kämpfer Bilal Ü.: Von Waziristan nach Syrien






















Als der Kemptener IS-Kämpfer David Gäble im Frühjahr 2014 im Kugelhagel syrischer Rebellengruppen fiel, übersahen die meisten Beobachter die Meldung über einen zweiten deutschen Toten in Syrien: Deutsche Dschihadisten meldeten den Tod von "Abu Osama al Almani". Erst im Januar 2015 offenbarte ein unbekannter Autor des Islamischen Staates (IS), dass der Deutsche eine längere Dschihad-Vergangenheit hatte und in der Szene bestens vernetzt war.

Chronist der Gotteskrieger

Hunderte Kämpfer des IS zollten "Abu Osama al-Almani" im Januar dieses Jahres noch einmal mit Bittgebeten ihren Respekt. Erst da erfuhren die meisten von ihnen, welche Erfahrungen der im Frühjahr 2014 getötete Deutsche als Mitglied der pakistanischen IBU, der irakischen al-Qaida und als Pionier des IS bereits gesammelt hatte.

Informieren konnten sie sich in einer biografischen Abhandlung, die ein unbekannter Autor namens "Sultan Sanjar" in sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte. Interessant an diesem Biograf ist, der sich nach dem letzten Sultan der Seldschuken benannte, dass er offenbar über Insider-Wissen über die deutschen Dschihadisten verfügt. Denn auch für einen ausführlichen Nachruf auf den Frankfurter Selbstmordattentäter Rashid B. war der Autor verantwortlich. Ob er selbst aus Europa stammt ist völlig unklar, denn er verfasste seine Texte bislang ausschließlich in arabischer Sprache. 

Womöglich als Kämpfer und zugleich wandernder "Schriftsteller" - so die Selbstinszenierung -  traf Sultan Sanjar in den letzten Jahren zahlreiche IS-Kämpfer der ersten Stunde und schrieb ihre Lebensgeschichte auf, darunter auch die von "Abu Osama al Almani".

"Schriftsteller" mit Insider-Wissen: "Sultan Sanjar"
Die Geschichte von "Sultan Sanjar" über den Deutschen "Sulayman", wie "Abu Osama" von deutschen Islamisten vereinzelt auch genannt wurde, erinnert auf den ersten Blick an einen Liebesbrief für eine Verflossene: "Die Geschichte von meinem Bruder und Geliebten mit den Augen eines Märtyrers, als er von Allah angenommen wurde" lautet der schwermütige Titel des in arabischer Sprache geschriebenen Textes. "Ich weiß nicht, wie ich meine Tränen und Schreie auf der Tastatur meines Computers zum Ausdruck bringen kann", leitet der Verfasser theatralisch in die Biografie ein. 

Gefangenschaft in Pakistan

Die erste Lebensstation "Abu Osamas" sei Pakistan gewesen, so der Autor. Er habe - vermutlich als Mitglied der IBU - versucht, sich dem afghanischen Freiheitskampf gegen die Ungläubigen anzuschließen. Doch ausgerechnet an der afghanisch-pakistanischen Grenze hätten ihn pakistanische Grenzbeamte aufgegriffen und verhaftet.

Später seien ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft sowie ein Journalist einer deutschen Zeitung in seiner Gefängniszelle erschienen - "Islamfeinde", wie der Autor propagiert. "Ich habe ihnen eine Geschichte erzählt!", prahlt "Abu Osama" gegenüber "Sultan Sanjar". Dem Botschaftsangehörigen soll er gesagt haben, er sei im Grenzgebiet im Tourismusgeschäft tätig gewesen.  "An der Grenze?", soll ihn der Ermittler ungläubig gefragt haben. "Ja!". Er habe die Ermittler dann gefragt: "Haben sie denn Beweise gegen mich?" 

Was mit ihm dann passierte, bleibt im Text unklar. Wahrscheinlich wurde "Abu Osama" nach Deutschland abgeschoben und ihm danach der Reispass entzogen.

Tod eines deutschen Bruders

Wie "Abu Osama al-Almani" nach Syrien gelangte, bleibt im Text unerwähnt. Er sei jedoch bereits im Herbst 2013 in Syrien als "Kommandeur" mehrerer Ambulanzen unterwegs und Mitglied einer ISIS-Kampfgruppe gewesen, der auch andere Deutsche angehört haben sollen. Als "Abu Osama" "Sultan Sanjar" in Syrien getroffen habe und mit ihm eine Zeit lang zusammen blieb um "Da'wa zu betreiben", seien sie weiteren "deutschen Brüdern" begegnet. Doch diese hatten offenbar eine schlechte Nachricht für "Abu Osama" bei sich gehabt. Sie hätten ihm über den Tod eines Freundes berichtet, einem ehemaligen deutschen Nationalspieler namens "Abu Abdullah", der im Kampf gefallen sei.

Gemeint ist offenkundig der ehemalige Wuppertaler Fußballspieler Burak Karan alias "Abu Abdullah at-Turki", der im November 2013 durch einen syrischen Luftangriff getötet wurde. Bereits 2010 war Karan verdächtigt worden, mit mehreren deutschen al-Qaida-Leuten aus dem Umfeld der Wuppertaler Moschee, darunter auch der verurteilte Terrorist Emrah Erdogan, ins pakistanische Waziristan gereist zu sein. Viele Islamisten aus Hamburg und Wuppertal schlossen sich zur damaligen Zeit dem dortigen IBU an, darunter wohl auch "Abu Osama". Karan dagegen war nach der Ausreise noch in der Türkei umgekehrt und nach Deutschland zurückgekehrt. Die Behörden hatten ihn da bereits ins Visier genommen. In Solingen schloss sich Karan allen Warnungen zum Trotz Mohamed Mahmouds Extremistenverein "Millatu Ibrahim" an. Anfang 2013 reiste er wie viele andere nach Syrien aus.

Voll der Trauer um den alten Freund, hätten "Abu Osama" und "Sultan Sanjar" die Ehefrau vom Tod des "Bruders" persönlich informiert. Denn diese habe Ehemann "Abu Abdullah" mit den beiden Kleinkindern in den Dschihad begleitet. "Abu Osama" hatte sie in Deutschland persönlich kennengelernt, erzählte er seinem Biograf. Am Hause der Familie angelangt und hinter verschlossener Tür habe der Deutsche der Ehefrau dann die traurige Nachricht übermittelt. 

Waffenhandel und Entführungen

"Abu Osama" soll stark in Waffengeschäften der ISIS involviert gewesen sein. So soll er von syrischen Beduinenstämmen und türkischen Mittelsmännern Waffen gekauft haben. Man gehöre zu den besten Männern von al-Zarqawi, dem Chef des irakischen al-Qaida-Ableger, lautet eine prahlende Selbsteinschätzung im Text. Um die Kosten zu decken, hätten "Abu Osama" und seine Kollegen Pläne zur Entführung ausländischer Journalisten ausgeheckt. Für Lösegeld sollten vor allem deutsche Journalisten gekidnapped werden aus Rache für die ungerechte Berichterstattung, als "Abu Osama" in Pakistan inhaftiert gewesen sei.

Doch zur Durchführung der Pläne reichte offenbar die Zeit nicht mehr. In Aleppo brachen im Frühjahr 2014 schwere Häuserkämpfe zwischen ISIS und syrischen Dschihadistengruppen aus. Mittendrin wohl auch die Gruppe um David Gäble alias "Abu Dawud al Almani" sowie "Abu Osama al Almani". Zunächst habe letzterer eine Verwundung am Bein erlitten, danach noch einen direkten Einschuss in die Brust. Und so habe "Abu Osama" seine Shuhada erhalten "aufgrund der teuflischen Syrer bei ihrer Kampagne gegen Immigranten und die Verteidiger des Islams", empört sich der Text über das Geschehen in Aleppo.

Ein Bonner Dschihadist

Wer "Abu Osama al-Almani" tatsächlich war, verschweigt der Text von "Sultan Sanjar". Mehreren Hinweisgebern zufolge, die den Leichnam zu sehen bekamen, handelt es sich dabei um den Bonner Islamisten Bilal Ü., der im Jahr 2009 gemeinsam mit anderen Deutschen, darunter der heute für al-Shabaab kämpfende Andreas M. sowie einem Schwager der berühmten Chouka-Brüdern, von pakistanischen Behörden an der Grenze zu Afghanistan aufgegriffen und für sechs Monate inhaftiert worden war.

Bilal Ü.
Auf Vermittlung der Bundesregierung kam Bilal Ü. frei und wurde nach Deutschland abgeschoben. Von Bonn soll er später dann nach Aachen gezogen sein. Dort lernte er wohl auch Burak K. kennen, der dort seit seiner Zeit als Fußballer der zweiten Fußballmannschaft von Alemannia Achen wohnte. Sicher ist das aber nicht. Ü. heiratete schließlich und bekam Nachwuchs. Das hielt ihn aber nicht davon ab 2013 nach Syrien zu reisen und Anfang 2014 als "Märtyrer" zu sterben.

Sein Weg zeigt, wie der syrische Bürgerkrieg im Kontrast zu den erschwerten Bedingungen des Dschihad in Pakistan und Afghanistan bei vielen Islamisten an Attraktivität gewann und sich ihr Fokus auf die Levante verlagerte. Nicht zuletzt sollen auch die Chouka-Brüder vergeblich versucht haben von Pakistan nach Syrien zu reisen, um sich dort al-Qaida anzuschließen.