Viele Jugendliche scheinen sich in der virtuellen Welt zu radikalisieren. Geplagt von Sorgen der Pubertät, Einsamkeit und Existenzfragen suchen sie im Internet nach Antworten. Doch in Zeiten von sozialen Netzwerken und Hochglanz-Propaganda sind sie erheblichen Risiken ausgesetzt. Wie leicht aus Neugierde Ernst werden kann, zeigt ein aktueller Fall aus Bayern.
Zwischen Provokation und Eskalation
Die islamistisch motivierten Attacken in Hannover und Essen lenken den Fokus von Medien und Behörden zunehmend auch auf die Jugend. Viele fragen sich, ob und wann genau Heranwachsende durch Radikalisierungsprozesse zu Gewalt greifen könnten. Der Grund dafür ist, dass Planung und Koordination der Anschläge mittlerweile auch in umfangreichen Maße im Internet stattfanden.
Umso schwieriger ist es für Sicherheitsbehörden den Überblick zu behalten. Der IS setzt offenbar zunehmend darauf, Kinder und Jugendliche über das Internet für Attentate zu rekrutieren. In Frankreich gelang es Ermittlern die Kommunikationskanäle eines berüchtigten IS-Kämpfers auszuwerten. 10 Jugendliche, verteilt im ganzen Land, wurden daraufhin in dieser Woche wegen Terrorgefahr festgenommen. Niemand weiß, wie viele Heranwachsende auch in Deutschland mit konspirativ agierenden Dschihadisten in Syrien und Irak in Kontakt stehen.
Sie sind besonders gefährdet. Nicht selten gehören kritische Lebensphasen oder Verhaltensauffälligkeiten zu den Kontextbedingungen eines radikalisierten jungen Menschen. Vor allem die Pubertät ist eine Zeit, in der Kinder und Jugendliche anfällig für persönliche Krisen sind. Die Welt um sie herum erscheint ihnen komplex und diffus. Gesellschaftliche Konventionen und Lebensentwürfe werden in Frage gestellt. Sie suchen nach Alternativen. Fehlen Anleitung, Unterstützung und Schutz durch ihr soziales Umfeld, könnte das in Kombination mit Zufällen zu einer kritischen Entwicklung führen.
Diese Unsicherheit junger Menschen versuchen Islamisten häufig auszunutzen. In harmloseren Fällen adaptieren Kinder zwecks Provokation den islamistischen Habitus. Hier geht es ihnen vor allem um Zugehörigkeit und Selbststilisierung. Geraten sie in die Fänge von Militanten, die sie z.B. über das Internet für den Dschihad rekrutieren wollen, kann es ernst werden. Wie schnell und leicht diese Eskalation eintreten kann, zeigt ein aktueller Fall aus Bayern.
Casper, Torge und Anime
Umso schwieriger ist es für Sicherheitsbehörden den Überblick zu behalten. Der IS setzt offenbar zunehmend darauf, Kinder und Jugendliche über das Internet für Attentate zu rekrutieren. In Frankreich gelang es Ermittlern die Kommunikationskanäle eines berüchtigten IS-Kämpfers auszuwerten. 10 Jugendliche, verteilt im ganzen Land, wurden daraufhin in dieser Woche wegen Terrorgefahr festgenommen. Niemand weiß, wie viele Heranwachsende auch in Deutschland mit konspirativ agierenden Dschihadisten in Syrien und Irak in Kontakt stehen.
Sie sind besonders gefährdet. Nicht selten gehören kritische Lebensphasen oder Verhaltensauffälligkeiten zu den Kontextbedingungen eines radikalisierten jungen Menschen. Vor allem die Pubertät ist eine Zeit, in der Kinder und Jugendliche anfällig für persönliche Krisen sind. Die Welt um sie herum erscheint ihnen komplex und diffus. Gesellschaftliche Konventionen und Lebensentwürfe werden in Frage gestellt. Sie suchen nach Alternativen. Fehlen Anleitung, Unterstützung und Schutz durch ihr soziales Umfeld, könnte das in Kombination mit Zufällen zu einer kritischen Entwicklung führen.
Diese Unsicherheit junger Menschen versuchen Islamisten häufig auszunutzen. In harmloseren Fällen adaptieren Kinder zwecks Provokation den islamistischen Habitus. Hier geht es ihnen vor allem um Zugehörigkeit und Selbststilisierung. Geraten sie in die Fänge von Militanten, die sie z.B. über das Internet für den Dschihad rekrutieren wollen, kann es ernst werden. Wie schnell und leicht diese Eskalation eintreten kann, zeigt ein aktueller Fall aus Bayern.
Casper, Torge und Anime
Es handelt sich dabei um ein erst 14 Jahre altes Mädchen, das aus einer Großstadt westlich von München kommt. Sie soll hier Gülsen genannt werden, eine Deutsche mit türkischen Eltern. Sie geht auf eine Förderschule. Gülsen fühlt sich aber offenkundig einsam. Sie leidet darunter, dass sie für ihr Alter noch so klein gewachsen ist. Mit den Eltern hat sie öfters Streit. Wegen ihren Problemen hat sie sich in die virtuelle Welt zurückgezogen. Dort, wo sie Ablenkung von ihren Sorgen findet. Mit ihrem Handy surft sie täglich stundenlang im Internet.
Sie hört Musik der US-Band "The Neighbourhood", Songs des deutschen Rappers "Casper" und der Britin "Adele". Lachen kann sie über die Gags von Youtube-Komikern wie "Torge" und "Gronkh". Eine besondere Leidenschaft scheint sie für Cosplay und Anime zu haben, ein japanischer Mode- und Zeichentrickstil. Auf ihrem Facebook-Profil hat sie viele solcher Anime-Bilder gepostet. Es sind meist schüchtern aussehende Mädchen, häufig dargestellt mit bekümmerten Gesichtern und Tränen in den Augen.
Alles scheint so normal für ein Mädchen dieses Alters zu sein. Ein Ausschnitt jugendlicher Alltagsrealität. Wären da nicht die Seiten, die Gülsen in den vergangenen Monaten immer wieder besucht hat. Dort wird Propaganda für einen Islam verbreitet, den die Mehrheit der Muslime entschieden ablehnt. Gülsen schaut sich Videos von bekannten Salafisten-Predigern wie Abu Abdullah, Pierre Vogel, Sven Lau und Sheikh Abdellatif an. Auch die Propaganda von al-Qaida und des sog. "Islamischen Staat" studiert sie auf Internetseiten, kann aber mit ihr nicht viel anfangen.
Durch eine Mitschülerin lernt Gülsen sich wie eine tiefgläubige Muslima zu verhalten. Sie zieht den Niqab an, geht aber selten in die Moschee. Stattdessen surft sie weiter im Internet. Ihre westlich lebenden Eltern sind zunehmend besorgt. Sie fürchten, dass sich Gülsen radikalisiert hat und versuchen könnte nach Syrien auszureisen. Immer wieder nehmen sie ihr das Handy weg. Als die Konflikte um ihren Lebenswandel zunehmen, bringen sie ihre Tochter sogar zu einer Psychotherapeutin. Doch wie die meisten ihrer Kollegen ist auch diese nicht mit islamistischer Radikalisierung als mögliche Folge einer depressiven Phase vertraut. Eine Therapie muss abgestimmt und kontextabhängig begleitet werden. Sie dauert im Zweifel viele Monate, um Erfolge zu erzielen. Zu lange, um Gülsens Entwicklung effektiv entgegenzuwirken.
"Ich fühl mich in Deutschland nicht mehr wohl"
Sie hört Musik der US-Band "The Neighbourhood", Songs des deutschen Rappers "Casper" und der Britin "Adele". Lachen kann sie über die Gags von Youtube-Komikern wie "Torge" und "Gronkh". Eine besondere Leidenschaft scheint sie für Cosplay und Anime zu haben, ein japanischer Mode- und Zeichentrickstil. Auf ihrem Facebook-Profil hat sie viele solcher Anime-Bilder gepostet. Es sind meist schüchtern aussehende Mädchen, häufig dargestellt mit bekümmerten Gesichtern und Tränen in den Augen.
Alles scheint so normal für ein Mädchen dieses Alters zu sein. Ein Ausschnitt jugendlicher Alltagsrealität. Wären da nicht die Seiten, die Gülsen in den vergangenen Monaten immer wieder besucht hat. Dort wird Propaganda für einen Islam verbreitet, den die Mehrheit der Muslime entschieden ablehnt. Gülsen schaut sich Videos von bekannten Salafisten-Predigern wie Abu Abdullah, Pierre Vogel, Sven Lau und Sheikh Abdellatif an. Auch die Propaganda von al-Qaida und des sog. "Islamischen Staat" studiert sie auf Internetseiten, kann aber mit ihr nicht viel anfangen.
Durch eine Mitschülerin lernt Gülsen sich wie eine tiefgläubige Muslima zu verhalten. Sie zieht den Niqab an, geht aber selten in die Moschee. Stattdessen surft sie weiter im Internet. Ihre westlich lebenden Eltern sind zunehmend besorgt. Sie fürchten, dass sich Gülsen radikalisiert hat und versuchen könnte nach Syrien auszureisen. Immer wieder nehmen sie ihr das Handy weg. Als die Konflikte um ihren Lebenswandel zunehmen, bringen sie ihre Tochter sogar zu einer Psychotherapeutin. Doch wie die meisten ihrer Kollegen ist auch diese nicht mit islamistischer Radikalisierung als mögliche Folge einer depressiven Phase vertraut. Eine Therapie muss abgestimmt und kontextabhängig begleitet werden. Sie dauert im Zweifel viele Monate, um Erfolge zu erzielen. Zu lange, um Gülsens Entwicklung effektiv entgegenzuwirken.
"Ich fühl mich in Deutschland nicht mehr wohl"
Ende August entscheidet sich Gülsen im Internet nach Islamisten und Dschihadisten zu suchen. Sie meldet sich bei Twitter an und findet einen einzigen Account, den sie anhand seines Profilbilds - ein Mann mit Turban auf dem Kopf - mit dem Dschihad glaubwürdig in Verbindung bringt. Es ist ein lange Zeit ungenutzter Beobachter-Kanal von "Erasmus Monitor".
"Selam Akhi weißt du wie ich in Syrien gehen kann?", schreibt Gülsen etwas unbeholfen. Dubiose Nachrichten ist der Blog gewohnt, doch explizite Fragen zur Ausreise in den Dschihad sind höchst ungewöhnlich. Kein erfahrener Islamist mit dem Ziel nach Syrien zu reisen geht so vor. Zuletzt kontaktierte Mitte 2015 ein damals 13-jähriger Münchner den Blog, als er auf dem Weg in den Dschihad an der türkischen Grenze gestrandet war. So ähnlich wie Gülsen schrieb auch er. Ein Alarmsignal. Behutsam wird das Gespräch intensiviert.
Wie sie denn heiße, fragt der Blog. "Gülsen", so ihre Antwort. Was sie denn in Syrien machen wolle? Etwa heiraten? "Ich bin noch zu klein um zum heiraten, akhi". Sie sei 14 Jahre alt, werde aber bald 15, erzählt sie. Warum sie ausreisen wolle? "Ich fühl mich in Deutschland nicht mehr wohl und möchte einfach nur weg, verstehst du es?", antwortet Gülsen. "Ich will islamisch leben." "Wegen deinen Eltern?", fragt der Blog. "Ja, wegen meinen eltern", bestätigt sie. Und: "Ich fühl mich auch nicht in der gesellschaft wohl."
"Ich zähl' kurz"
"Selam Akhi weißt du wie ich in Syrien gehen kann?", schreibt Gülsen etwas unbeholfen. Dubiose Nachrichten ist der Blog gewohnt, doch explizite Fragen zur Ausreise in den Dschihad sind höchst ungewöhnlich. Kein erfahrener Islamist mit dem Ziel nach Syrien zu reisen geht so vor. Zuletzt kontaktierte Mitte 2015 ein damals 13-jähriger Münchner den Blog, als er auf dem Weg in den Dschihad an der türkischen Grenze gestrandet war. So ähnlich wie Gülsen schrieb auch er. Ein Alarmsignal. Behutsam wird das Gespräch intensiviert.
Wie sie denn heiße, fragt der Blog. "Gülsen", so ihre Antwort. Was sie denn in Syrien machen wolle? Etwa heiraten? "Ich bin noch zu klein um zum heiraten, akhi". Sie sei 14 Jahre alt, werde aber bald 15, erzählt sie. Warum sie ausreisen wolle? "Ich fühl mich in Deutschland nicht mehr wohl und möchte einfach nur weg, verstehst du es?", antwortet Gülsen. "Ich will islamisch leben." "Wegen deinen Eltern?", fragt der Blog. "Ja, wegen meinen eltern", bestätigt sie. Und: "Ich fühl mich auch nicht in der gesellschaft wohl."
"Ich zähl' kurz"
Gülsen fragt den Blog daraufhin aus. Ob der Autor in Deutschland oder in Syrien sei. Welchen Namen die Organisation habe, der er angehören würde. Was denn am "nähersten" von der Türkei entfernt sei, "Syrien oder Irak?" "Ich fahr ja bis Gaziantep", erklärt sie. Auf Nachfrage versichert das Mädchen aber noch kein Ticket gekauft zu haben. "Ich bin noch am überlegen."
Schließlich hat sie noch Fragen zum IS. "Also meine fragen sind: Was machen Frauen da, also, was müssen sie machen und noch ne Frage: vergewaltigt ihr auch Muslima, weil in den Medien steht, ihr vergewaltigt Jesiden und Christen." Sie habe nur schlechtes gehört vom IS. Antworten darauf fallen schwer. Noch ist in dem Moment unklar, ob sich hinter Gülsens Account tatsächlich das Mädchen verbirgt, wofür es sich ausgibt. Wie viel Geld sie denn für ihre Reisepläne mittlerweile zusammen habe, fragt "Erasmus Monitor". Sie spare noch, so ihre Antwort. "Ich zähl' kurz. Bin jetzt bei 40 Euro. Kurban Bayrami (islam. Opferfest) kommt ja noch, da bekommen wir ja auch noch Geld in Shaa Allah."
Schließlich hat sie noch Fragen zum IS. "Also meine fragen sind: Was machen Frauen da, also, was müssen sie machen und noch ne Frage: vergewaltigt ihr auch Muslima, weil in den Medien steht, ihr vergewaltigt Jesiden und Christen." Sie habe nur schlechtes gehört vom IS. Antworten darauf fallen schwer. Noch ist in dem Moment unklar, ob sich hinter Gülsens Account tatsächlich das Mädchen verbirgt, wofür es sich ausgibt. Wie viel Geld sie denn für ihre Reisepläne mittlerweile zusammen habe, fragt "Erasmus Monitor". Sie spare noch, so ihre Antwort. "Ich zähl' kurz. Bin jetzt bei 40 Euro. Kurban Bayrami (islam. Opferfest) kommt ja noch, da bekommen wir ja auch noch Geld in Shaa Allah."
Der Autor entschließt sich daraufhin das Gespräch zu unterbrechen. Zu groß ist das Risiko, dass die 14-Jährige weitere Kanäle angeschrieben hat, hinter denen tatsächlich Dschihadisten stehen könnten, die ihr weiterhelfen würden. Ein jugendlicher Fehltritt hätte dann das Potenzial in einer Katastrophe zu enden. Noch immer überqueren jeden Monat etwa 50 Dschihadisten die türkische Grenze in Richtung Syrien.
Behörden werden kontaktiert. Zufällig hat auch Gülsens Schule Tage zuvor aufgrund ihrer Verhaltensauffälligkeiten die Polizei angerufen. Das Mädchen wird schnell ausfindig gemacht. Nun wird sich eine professionelle Beratungsstelle um sie kümmern. Je eher ihr in einer Lebensphase geholfen wird, desto eher können ihre Eltern darauf hoffen, dass ihre Tochter in Zukunft wieder ein normales Leben führen kann. Ganz gleich, ob mit Koran, Anime, Rockmusik oder "Gronk".