IS-Kämpfer Yannick P.: In den Tod geschickt

Vor zwei Wochen sprengte sich im Irak erneut ein deutscher IS-Kämpfer in die Luft. „Abu Muhammad al-Almani“ habe für die Terrorgruppe westlich der ölreichen Stadt Baiji in der Provinz Salah ad-Din eine „Märtyrer-Operation“ durchgeführt, verbreiteten damals IS-Kanäle in sozialen Netzwerken. Wie die Badische Zeitung berichtet, handelt es sich um den 24-jährigen Yannick P. aus Freiburg im Breisgau

Begegnung in der Türkei


Schüchtern, verängstigt und nervös: so habe sich Yannik P. verhalten, als ihn im letzten Jahr der Auslandskorrespondent der „Welt“ Alfred Hackensberger in einem Hotel im türkischen Sanliurfa traf. Das T-Shirt und die Jeans des damals 24-jährigen Freiburgers seien löchrig und schmutzig gewesen. Als Rucksacktourist habe P. durchgehen können. Hackensberger und zwei weitere Journalisten trafen ihn in einem Foyer eines Hotels, in dem viele Dschihadisten vor ihrer Einreise nach Syrien einchecken. Damals wussten die Journalisten noch nicht, um wen es sich handelte.

Mittlerweile hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg Yannick P.'s Identität laut einem Bericht der "Badischen Zeitung" bestätigen können. "Wir können mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit sagen, dass es der junge Mann aus Freiburg ist", so ein Sprecher des LKA's.
 
Das Hotel in der Türkei war für Yannik die letzte Etappe auf seinem Weg zum Islamischen Staat (IS). Er mache in der grenznahen Stadt Urlaub, log er im Gespräch mit den Journalisten. „Freunde besuchen“. Doch der Freiburger, der als geistig unterentwickelt galt, war auf einer Mission ohne Rückkehr, auf die ihn mutmaßlich Hintermänner geschickt hatten. Sogar sein Busticket hatten diese für den Deutschen bezahlt.
 
Denn allein hätte Yannick P., der polnische Wurzeln hatte, die große Reise aus dem beschaulichen Freiburg in die ferne Türkei nicht finanzieren können. Jahrelang streifte der junge Mann als Obdachloser durch die Freiburger Innenstadt, schlief auf Parkbänken und in Einkaufspassagen. Die soziale Einrichtung „Freiburger Straßenschule“ kümmerte sich um Yannick bis zu seinem plötzlichem Abtauchen im Sommer 2014.

P. "radikalisierte" sich offenbar in nur wenigen Monaten. Dass der junge Mann die salafistische Ideologie nur ansatzweise verstanden hatte, wird von seinem Umfeld stark bezweifelt.  „Es ging alles rasend schnell“, zitiert die „Badische Zeitung“ eine Freundin des Getöteten. Vermutlich wurde Yannick P. in der Freiburger Innenstadt von Salafisten angesprochen und in die Szene reingezogen. Denn der Obdachlose habe schon immer nach Liebe und Geborgenheit gesucht. Diese Sehnsucht, die bei vielen Rekruten zu beobachten ist, boten ihm offenbar die Salafisten mithilfe ihrer perfiden Rekrutierungsstrategie.

"Keine Ahnung vom Islam"


Der Übersetzer Cesur Milsuoy, der neben Alfred Hackensberger P. in dem Hotel in Urfa traf, spekulierte gegenüber "Erasmus Monitor", dass der Freiburger offensichtlich nicht verstand, warum er sich zum Dschihad aufgemacht hatte. Als die Journalisten ihn an dessen Hotelzimmer trafen, habe er andauernd lachen müssen.

Nicht einmal den "Anschein von Radikalisierung" hätte P. gezeigt. Alles was er habe sagen können war "Salam aleikum". Er habe offenkundig keine Ahnung vom Islam gehabt. "Wir haben zusammen eine geraucht, das Bier hat er abgelehnt, weil es zu spät war", so Milsuoy. Er habe den Eindruck gehabt, dass P. Drogen konsumiert habe, was aber wohl auf die geistige Unreife des Mannes zurückzuführen gewesen sei. Nach Angaben des LKA hatte er jedoch in der Vergangenheit bereits mit Drogenmissbrauch zu tun gehabt. Yannick P. erzählte Milsuoy, dass er Rap-Musik möge, "Kool Savas usw.".

Sozialarbeiter in Freiburg beobachteten Yannicks Verhaltensänderung im Sommer 2014 und versuchten vergeblich ihn von seinem Weg abzubringen. Geschockt reagieren nun viele Mitarbeiter und ehrenamtliche Helfer auf den Tod von P. So auch Karin Schäfer, Leiterin des SOS-Kinderdorfs Schwarzwald, deren Mitarbeiter sich auch um Yannick gekümmert hätten. Die Mitarbeiter seien noch in einer Zeit der Aufarbeitung, so Schäfer gegenüber dem Blog.

Behauptungen seitens einiger Journalisten, dass Obdachlose wie Yannick P. oder auch "elternlose Jugendliche" neuerdings besonders gefährdet seien durch Salafisten rekrutiert zu werden, bezweifelt Schäfer. In Freiburg habe man noch nie mit solchen Leuten zu tun gehabt. Der Prozess einer Radikalisierung, so ihre Einschätzung, sei viel komplexer und hänge nur geringfügig von den Lebensläufen der Betroffenen ab. „Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass alle sozialen Schichten betrifft“. Damit hat Schäfer nicht unrecht. Denn nimmt man die Zahlen der Sicherheitsbehörden als Grundlage, verfügt ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Dschihadisten über mittlere und höhere Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse.

Yannick P. kurz vor seinem Tod


„Doch was können wir daraus lernen?“, fragt sie mit Blick auf Yannicks Schicksal. Pädagogen müssten in Zukunft noch genauer hinschauen. Zudem müssten Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen religiösen Extremismus genauer erforschen und geeignete Präventionsstrategien in die Lehre integrieren. Denn folgt man den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden, erkennen Lehrer und Sozialarbeiter nur sehr selten die Anzeichen einer Radikalisierung.

Von der Türkei aus reiste Yannick P. jedenfalls wahrscheinlich mithilfe von Schleusern (er soll von einem Araber und einem Kurden in Sanliurfa berichtet haben) über den syrischen Grenzübergang Tel Abyad nach Syrien ein und ließ sich dort durch den IS in einem Trainingslager zum Kämpfer ausbilden. Für die Terroristen des IS war jemand wie P. - unbeholfen und nach Anleitung suchend - der ideale Selbstmordattentäter. Im Irak nahm er zunächst an Kämpfen gegen die irakische Armee teil.

Vor anderthalb Wochen folgte dann die letzte Mission des Freiburgers:  Mit einem gepanzerten Auto, vollgepackt mit 1,5 Tonnen Sprengstoff, raste er in einen Militärcheckpoint östlich von Baiji und sprengte sich in die Luft. Vielleicht hatte der Freiburger auch in diesem Moment sein kindliches Lächeln im Gesicht.