Dschihad im Internet: Der "Kuffarhunter" Boris H.

Boris H. war ein Cyberjihadist. In sozialen Netzwerken veröffentlichte der Münchner Bauanleitungen für Bomben, IS-Propaganda und wüste Drohungen. Ein hartgesottener Islamist, hätte man damals meinen können. Doch hinter der bedrohlichen Fassade von Facebook- und Twitterprofilen steckte ein gezeichneter Mann. Im September wurde der 46-Jährige verurteilt.

Der "Kuffarhunter"

Am 14. November 2015 explodierte in der Wohnung von Boris H. eine Bombe. Dem Geräusch nach hörte es sich zumindest so an, meinte der Mann wenig später gegenüber "Erasmus Monitor". "Die Hunde" hätten ihm die halbe Haustür gesprengt, "samt Rahmen!" Mit "Hunden" meinte er die Polizei. Ein Sondereinsatzkommando des örtlichen Staatsschutzes hatte die Eingangstür aufgebrochen und die Wohnung des Münchners gestürmt. Der Grund: H. hatte im Internet die IS-Anschläge in Paris gefeiert sowie deren verbotenen Symbole im Internet veröffentlicht. "Nachdem er praktisch der einzige Münchner war, der Paris positiv dargestellt hat, haben wir uns zum Zugriff entschlossen", erfuhr der Blog damals aus Sicherheitskreisen.

Es war nicht das erste Mal, dass sich H. zu solchen Provokationen hinreißen ließ. Unter Pseudonymen wie "Abu Sabr al-Bavari" und "Kuffarhunter" (zu dt.: "Jäger der Ungläubigen") gewährte er mit seinen Aussagen und dem Posten von Propaganda verschiedener Dschihadistengruppen Einblicke in seine verworrene Gedankenwelt. Sein Profilbild auf Twitter zeigte den ehemaligen irakischen Diktator Saddam Hussein. In seinen Beiträgen pries er mal al-Qaida an, dann mal den IS.

"Man müsste euch von RaqqaSL nicht nur den Aderlass anordnen, geschlagen gehört ihr, weil ihr dazu beitragt, das dein Volk getötet wird", schrieb H. den Aktivisten von "Raqqa is beeing slaughtered silently", einem Netzwerk von Syrern, die heimlich aus dem Herrschaftsgebiet des IS berichten. Dann empfahl der Münchner am nächsten Tag seinen Lesern die Internetseite "Sharia unveiled", ein Blog von radikalen Evangelikalen, die ihren Hass auf den Islam offen zur Schau stellen. "A must tread to you and share it please-Shukra!", so der 46-Jährige zu seiner fast durchweg muslimischen Leserschaft.

"Lehrgeld des Lebens"

Mit seinen offensichtlich wirren Beiträgen fiel Boris H. schon früh auf. Er schrie in der virtuellen Welt regelrecht nach Aufmerksamkeit und Bestätigung. Außerhalb seiner Wohnung wurde der  gelernte Schweißer aus der Münchner Isarvorstadt dagegen als ruhig und "nicht aggressiv" beschrieben. 2013 konvertierte er in der mittlerweile geschlossenen Salafisten-Moschee Darul Quran in München. 

Das war es dann auch. Ermittler zeichneten das Bild eines "religiös völlig ungebildeten" Mannes, der über "keine uns bekannten tatsächlichen Kontakte ins Real Life" verfüge. Einsam war Boris H. und seine Kontakte in die Außenwelt beschränkten sich wohl auf Ärzte, Dealer und Anwälte, die ihn bereits 2014 wegen "Waffenpostings" und einer ersten Hausdurchsuchung wegen vermuteten Sprengstoff aus der Patsche helfen mussten.

Denn eher waren es die Drogen, die H. jahrelang konsumierte, dass er sich dorthin flüchtete, wo die "unselige Welt" im Rausch der Gefühle plötzlich klare Konturen erhielt und Gut und Böse ein Gesicht gaben. Die Polizei, für H. "Hundskrüppel", "Pfeifen" und ein "bayrischer SS-Sturm", fand bei ihrer Durchsuchung in dessen Wohnung letztes Jahr eine Dose voll mit Haschisch. Für Salafisten und konservative Muslime ein nahezu unverzeihlicher Grenzüberschritt. Alkohol, Zigaretten oder gar harte Psychedelika sind streng verboten. Sie werden als kulturell-religiös annektierte Alltagspraxen vor allem dem ungläubigen Westen und anderen "Teufelsanbetern" zugewiesen.

"Ich weiß, dass dies haram ist, darauf fällt mir keine Entschuldigung ein - außer dass ich unter dem Einfluss niemals den Koran berührt habe!", erzählte Boris H. damals "Erasmus Monitor". Zum "berüchtigten Lehrgeld des Lebens" gehöre dieser begangene Fehler. Als Schmerzpatient habe er "praktisch täglich" Methadon bekommen, ein Substitutionstoff für Heroin und andere Opioide. Haschisch hatten ihm die Ärzte dagegen nicht verschrieben. Doch nur so, erklärte H., habe er seinen Alltag überhaupt bewältigen können. Doch dieser bestand wohl vor allem daraus, in der virtuellen Welt den dschihadistischen und salafistischen Habitus zu imitieren. Ein weiterer Tiefpunkt dieses unkonventionellen Eigenradikalisierungsprozesses war die Veröffentlichung einer einschlägig bekannten Schrift im Internet, die Bauanleitungen für Sprengsätze enthielt. 

"Meine Psyche ist topfit beinander" 

Auch wenn Boris H. wohl nur über das Internet Kontakte in die salafistische Szene unterhielt, mag sein Fall nachdenklich stimmen. In Zeiten von virtuellen Eigenradikalisierungen und einsamen Wölfen stellt sich die Frage, ob Drogen und damit zusammenhängende psychosomatische Störungen auch in diesem Zusammenhang relevant sein könnten. "Sie können zu Wesenveränderungen führen", erklärte eine Psychotherapeutin dem Blog. "Doch jeder Fall hat sein eigenes Profil. Man kann und darf sie nicht verallgemeinern." Boris H. wurde schon oft nach seinem Kopf gefragt. "Meine Psyche ist topfit beinander!", erklärte er im Gespräch. Denke er an sein vorheriges Leben, danke er Allah, dass er "noch derart gut fit im Kopf" sei. Die PR (Anm.: Medien) stelle so manch konvertierten oder auch gebürtigen Muslim als "fehlgeleiteten Schwachkopf" dar.

Doch auch wenn Boris H. nicht das klassische Profil eines radikalisierten Islamisten aufweist, sind Erfahrungen mit Drogen in der Salafisten-Szene keine Seltenheit. Vor ihrer "Rechtleitung", wie ihre Anhänger zu sagen pflegen, dealten und konsumierten viele von ihnen Drogen. Das wurde von "Rekruten" in der Vergangenheit auch explizit in zahlreichen Propaganda-Videos erwähnt, um das Motiv eines von Verderblichkeit geläuterten Muslims zu betonen. Nur für die militante Szene gibt es aber dazu valide Zahlen. Laut einer ersten Studie der Forschungsstelle des Bundeskriminalamts lagen den Behörden bei 16 % von 264 nach Syrien ausgereisten Dschihadisten Informationen zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor. Die Dunkelziffer strafrechtlich nicht erfasster Fälle dürfte weit höher liegen.

Der aus Sontra stammende Gewalttäter Murat K., der Dinslakener Nils D., der Berliner Denis Cuspert, der Mönchengladbacher Konrad S., ja sogar die Attentäter von Paris, Abdelhamid Abaaoud und Salah Abdeslam: sie alle sollen vor und teilweise auch während ihrer Zeit in der Szene mit harten Drogen Erfahrungen gemacht haben. Auch eine Vielzahl vor Gericht angeklagter Dschihadisten berichteten in der Vergangenheit von so einem Kontext in Verbindung mit psychischen Problemen.

Und Boris H.? Der habe einen problematischen Drogenhintergrund und sei krankheitsbedingt nicht voll handlungsfähig, so Ermittler zu "Erasmus Monitor". Er werde niemals Anschluss an "irgendeine Szene" finden und auch das Aggressionspotenzial fehle ihm. Angesprochen auf seine Internetaktivitäten erklärte H. im September vor Gericht, er habe keine Erklärung für sein Verhalten. Die Anleitung habe er gegoogelt und im "Drogenrausch" veröffentlicht. Der zuständige Richter in München: "Mir fehlte die klare Distanzierung vom IS. Der Angeklagte gehört sicher nicht zum harten Kern. Aber er ist ein Sympathisant. Es besteht die Gefahr der weiteren Radikalisierung." Das Urteil ist damit auch als entsprechende Abschreckung gedacht: Boris H. wurde zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt.