Aussteiger werden immer öfters in die Präventionsarbeit eingebunden. Sie sollen Authentizität vermitteln, Vorbild sein und Einfluss auf bestimmte Zielgruppen ausüben. Doch wenn Kontrollmechanismen versagen, kann das zu Problemen führen. Ein Essay.
Der Muster-Aussteiger
„Drecks-Nigger", „Drecks-Zigeuner", „verfickte Minderheiten", „Halb-Wilde" und „Halb-Affen aus Afrika": Das Entsetzen war groß, als Aussagen wie diese einem kleinen Kreis von Fachleuten und Journalisten im August dieses Jahres zugänglich gemacht wurden. Denn sie stammen nicht aus irgendeinem Forum rechtsextremer Trolle. Es sind die Worte eines Aussteigers aus der Islamismus-Szene. Und das ist ein Problem. Denn der Mann, der hier nur Christoph W. genannt werden soll, ist in zahllosen Präventionsinitiativen involviert.
Christoph W. gilt schon lange als Muster-Aussteiger. Er war zuvor mehrere Jahre in der Salafisten-Szene aktiv, beteiligte sich in führender Funktion an dschihadistischer Propaganda und saß auch kurzfristig im Gefängnis. Seine Distanzierung vom islamistischen Milieu erfolgte daher - soviel kann gesagt werden - in spezieller Form. Nach seinem Ausstieg suchte W. einen neuen Lebensinhalt. Erst publizierte er über seine Zeit als Islamist. Danach ging er Kooperationen mit diversen Medien und Präventionsinitiativen ein. Eine Erfolgsgeschichte der Resozialisierung mochte man noch vor Jahren meinen.
Doch im Verlauf dieser Entwicklung konnten einige wenige Beobachter bei Christoph W. eine Art Verselbstständigung beobachten. Er baute neben seinen Tätigkeiten vermehrt eigene Projekte auf. Man konnte nur darüber spekulieren, dass dem Mann, der sich im Bereich der Prävention eine neue Existenz aufzubauen versuchte, nach wie vor Aufmerksamkeit, Anerkennung und materielle Sicherheit fehlte.
Eine neue Plattform zur eigenen Profilierung fand W. schließlich im Internet, dort, wo er noch Jahre zuvor als islamistischer Propagandist nach Aufmerksamkeit gesucht hatte. In sozialen Netzwerken wie "Facebook" verfasste er Beiträge und Einschätzungen. Diesmal als "Terrorexperte", "Deradikalisierer" und "Analyst". In einer Zeit, in der die Flüchtlingskrise, der Syrien-Krieg und der IS die Gesellschaft erheblich polarisierten, verschaffte sich W. damit bald Gehör bei vielen Internetusern. Und der Aussteiger veränderte sich zunehmend. Themen über Flüchtlinge, (vermeintliche) Terroristen und Islamisten, aber auch das Thema Antisemitismus dominierten seinen medialen Output.
Doch viel besorgniserregender war, dass sich mit der Zeit auch viele offensichtlich dubiose Besucher mit rechten Neigungen auf den Seiten von Christoph W. tummelten. Er galt für sie als ehemaliger Islamist wohl als Kronzeuge gängiger Ressentiments gegenüber dem Islam und Migranten. Zu seinen veröffentlichten Beiträgen häuften sich Reaktionen, die mit rechtsextremen Narrativen und Begriffen im Zusammenhang stehen: Von „Asylantenströmen" und "Ziegenfickern" war da beispielsweise die Rede, die zur Ursache islamistischer Radikalisierung erklärt wurden. „Linke Gesinnungsdogmatiker" hätten diese Entwicklung gefördert. Der Antisemitismus wurde dem migrantisch-muslimischen Milieu einseitig zugeschrieben, ganz so, als habe es zuvor in Deutschland nie Judenhass gegeben.
Christoph W. bekam schließlich auch die Möglichkeit für bekannte neokonservative Meinungsblogs eigene Beiträge zu verfassen. Und so wirkte es wie ein neuerlicher Radikalisierungsprozess, dass W., selbst Sprössling aus einer Flüchtlingsfamilie, seine Sprache und sein Auftreten im Internet immer mehr dem rechtspopulistischen Milieu anpasste. Er ging so weit, dass er ein IS-Pamphlet mit den Wahlprogrammen linker Parteien im Bundestag verglich.
Zahlreiche Internetseiten baute Christoph W. in den letzten Jahren auf. Sie zeichnen das Bild eines Mannes nach, der mit aller Macht nicht in Vergessenheit geraten wollte, der Zustimmung und Anerkennung suchte. Und das trotz der Tatsache, dass W. bis heute an staatlich finanzierten Präventionsinitiativen beteiligt ist, zu Expertenrunden, Stiftungen und an Schulen eingeladen wird und an Produktionen namhafter Medien mitarbeiten darf.
Wenn Selbstinszenierung außer Kontrolle gerät
Christoph W. gilt schon lange als Muster-Aussteiger. Er war zuvor mehrere Jahre in der Salafisten-Szene aktiv, beteiligte sich in führender Funktion an dschihadistischer Propaganda und saß auch kurzfristig im Gefängnis. Seine Distanzierung vom islamistischen Milieu erfolgte daher - soviel kann gesagt werden - in spezieller Form. Nach seinem Ausstieg suchte W. einen neuen Lebensinhalt. Erst publizierte er über seine Zeit als Islamist. Danach ging er Kooperationen mit diversen Medien und Präventionsinitiativen ein. Eine Erfolgsgeschichte der Resozialisierung mochte man noch vor Jahren meinen.
Doch im Verlauf dieser Entwicklung konnten einige wenige Beobachter bei Christoph W. eine Art Verselbstständigung beobachten. Er baute neben seinen Tätigkeiten vermehrt eigene Projekte auf. Man konnte nur darüber spekulieren, dass dem Mann, der sich im Bereich der Prävention eine neue Existenz aufzubauen versuchte, nach wie vor Aufmerksamkeit, Anerkennung und materielle Sicherheit fehlte.
Eine neue Plattform zur eigenen Profilierung fand W. schließlich im Internet, dort, wo er noch Jahre zuvor als islamistischer Propagandist nach Aufmerksamkeit gesucht hatte. In sozialen Netzwerken wie "Facebook" verfasste er Beiträge und Einschätzungen. Diesmal als "Terrorexperte", "Deradikalisierer" und "Analyst". In einer Zeit, in der die Flüchtlingskrise, der Syrien-Krieg und der IS die Gesellschaft erheblich polarisierten, verschaffte sich W. damit bald Gehör bei vielen Internetusern. Und der Aussteiger veränderte sich zunehmend. Themen über Flüchtlinge, (vermeintliche) Terroristen und Islamisten, aber auch das Thema Antisemitismus dominierten seinen medialen Output.
Doch viel besorgniserregender war, dass sich mit der Zeit auch viele offensichtlich dubiose Besucher mit rechten Neigungen auf den Seiten von Christoph W. tummelten. Er galt für sie als ehemaliger Islamist wohl als Kronzeuge gängiger Ressentiments gegenüber dem Islam und Migranten. Zu seinen veröffentlichten Beiträgen häuften sich Reaktionen, die mit rechtsextremen Narrativen und Begriffen im Zusammenhang stehen: Von „Asylantenströmen" und "Ziegenfickern" war da beispielsweise die Rede, die zur Ursache islamistischer Radikalisierung erklärt wurden. „Linke Gesinnungsdogmatiker" hätten diese Entwicklung gefördert. Der Antisemitismus wurde dem migrantisch-muslimischen Milieu einseitig zugeschrieben, ganz so, als habe es zuvor in Deutschland nie Judenhass gegeben.
Christoph W. bekam schließlich auch die Möglichkeit für bekannte neokonservative Meinungsblogs eigene Beiträge zu verfassen. Und so wirkte es wie ein neuerlicher Radikalisierungsprozess, dass W., selbst Sprössling aus einer Flüchtlingsfamilie, seine Sprache und sein Auftreten im Internet immer mehr dem rechtspopulistischen Milieu anpasste. Er ging so weit, dass er ein IS-Pamphlet mit den Wahlprogrammen linker Parteien im Bundestag verglich.
Zahlreiche Internetseiten baute Christoph W. in den letzten Jahren auf. Sie zeichnen das Bild eines Mannes nach, der mit aller Macht nicht in Vergessenheit geraten wollte, der Zustimmung und Anerkennung suchte. Und das trotz der Tatsache, dass W. bis heute an staatlich finanzierten Präventionsinitiativen beteiligt ist, zu Expertenrunden, Stiftungen und an Schulen eingeladen wird und an Produktionen namhafter Medien mitarbeiten darf.
Wenn Selbstinszenierung außer Kontrolle gerät
Christoph W. wurde in einem Interview einmal gefragt, wie er von seinen radikalen Ansichten abgekommen sei. Seine Antwort: "Es war ein langer Prozess. Es waren die negativen Erlebnisse, die ich hatte, die mich zum Nachdenken gebracht haben. Vorher hatte man ein Idealbild, dass alles irgendwie super ist, dass wir die besten sind und nicht wie die anderen." Er habe erkannt, dass Wahrheit und Propaganda nicht übereinstimmten. Er sei selbstkritischer geworden und habe sich anderen Ideen und Einflüssen geöffnet. Frühere „Feindbilder" hätten sich ihm gegenüber freundlich gezeigt und dass das gar nicht so dem Bild entsprochen habe, „welches in der Propaganda vermittelt wird".
Ob er damit das Verhalten von Andersgläubigen gegenüber Muslimen meine?, wurde er gefragt. W. bejahte das. Gegenüber Extremisten dürfe man nicht tolerant sein, aber gegenüber normalen Muslimen. „Weil, wenn man es so macht, wie es rechtspopulistische Parteien machen, man eben die Muslime in die Radikalisierung sozusagen treibt."
Christoph W. zeigte Jahre später, dass er sich von dieser Einstellung zunehmend abgrenzte. Vielleicht hatte er einfach nur das gesagt, was von ihm erwartet wurde? Ihm schien es nun egal zu sein, aus welchen Richtungen die Anerkennung für ihn als Aussteiger kam. Mit der engeren Berührung mit rechten "Empörten" wuchs auch die Kritik an W.'s skurillen Schaffenswelt im Internet. Islamisten, die er auf seinen Internetseiten öffentlich an den Pranger stellte, beschimpften und bedrohten ihn. Belastende Erfahrungen, die auch viele andere Aussteiger durchmachen müssen. Aber W. keilte selbstbewusst zurück: "degeneriertes Geschöpf", "dreckige Hunde", "asoziale Affen". Kritische Beobachter registrierten eine zunehmende Diskrepanz zwischen W.'s seriösen Auftritten in der Öffentlichkeit und seinen zum Teil anonymen und aggressiven Internetaktivitäten.
Und umso demonstrativer und forscher trat W. im Kontakt mit anderen Menschen auf, die mit ihm auch nur normal diskutieren wollten. Niemand hielt ihn auf, alle Grenzen zu überschreiten, die in diesem hochsensiblen Bereich der Prävention eigentlich gelten müssten. Und so unterlief W. schließlich dann im Juli dieses Jahres ein gravierender Fehler, der die Diskussionen über die Rolle von Aussteigern in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit zumindest weiterhin kontrovers begleiten könnte. Gegenüber anonymen Internetusern offenbarte W. in Form von Textnachrichten und Audiobotschaften, in welchem ideologischen Umfeld er heute verhaftet zu sein scheint.
Er würde alle Flüchtlinge abschieben, so W. in einem Chat mit einer anonymen Frau. Er sei „Deutschlands letzte Hoffnung", weil niemand die „Eier" habe „für sowas". Man solle nur abwarten. Eigentlich sei er ein eher unpolitischer Mensch. Doch: "Ich verstelle mich auch nicht und leugne auch nicht, dass ich mit vielen Sachen mit der AfD übereinstimme. Nicht mit allen Sachen, aber gerade, was Flüchtlinge und sowas betrifft, auf jeden Fall." Flüchtlinge würden Deutsche als Beute betrachten. Er selbst sei Muslim und dem Land dankbar. "Jeder, der kommt und das Land, in dem ich mit meiner Familie lebe, zerstören will, kaputt machen will, unsicher machen will, mit dem habe ich nichts zu tun und solche Leute bekämpfe ich."
In Diskussionen über Tötungsdelikte in Frankfurt, Voerde und Stuttgart, die in diesem Jahr für gesellschaftliche Kontroversen sorgten, führte W. ins Feld, dass es sich bei den Tätern um „Zigeuner-Namen" und „Drecks-Nigger" gehandelt hätte. Wenn er selbst einem Flüchtling begegnen würde, frage er nach und wenn dieser Stress mache, würde er ihm „die Fresse kaputt" hauen - „Bastarde“. Die „Halb-Wilden" und „Halb-Affen" aus Afrika könnten sich im Vergleich zu anderen Migranten ohnehin nicht integrieren. Während in seinem Heimatland angeblich „kriminelle Flüchtlinge" gelyncht und am nächsten Baum aufgeknüpft würden, ginge dies leider nicht in Deutschland.
Man kann sich die potenziellen Folgen nur vorstellen, wenn instabile Menschen mit solchen Aussagen eines Menschen konfrontiert würden, der in seiner Vergangenheit mit sprachlichen Manipulationstechniken bestens vertraut wurde und nun in der Präventionsarbeit eingebunden ist. Denn um darauf hinzuweisen: Um „konservative“ Ansichten (z.B. sachlich begründete Befürwortung restriktiver Migrationspolitik) oder subkulturelle Persiflagen (z.B. "Nigga", "Känax") handelt es sich bei seinen Aussagen nicht. Es sind die sprachlichen Substrate gängiger Ressentiments und gruppenbezogener Rassismen - die Zutaten jeder extremistischen Ideologie.
Ob er damit das Verhalten von Andersgläubigen gegenüber Muslimen meine?, wurde er gefragt. W. bejahte das. Gegenüber Extremisten dürfe man nicht tolerant sein, aber gegenüber normalen Muslimen. „Weil, wenn man es so macht, wie es rechtspopulistische Parteien machen, man eben die Muslime in die Radikalisierung sozusagen treibt."
Christoph W. zeigte Jahre später, dass er sich von dieser Einstellung zunehmend abgrenzte. Vielleicht hatte er einfach nur das gesagt, was von ihm erwartet wurde? Ihm schien es nun egal zu sein, aus welchen Richtungen die Anerkennung für ihn als Aussteiger kam. Mit der engeren Berührung mit rechten "Empörten" wuchs auch die Kritik an W.'s skurillen Schaffenswelt im Internet. Islamisten, die er auf seinen Internetseiten öffentlich an den Pranger stellte, beschimpften und bedrohten ihn. Belastende Erfahrungen, die auch viele andere Aussteiger durchmachen müssen. Aber W. keilte selbstbewusst zurück: "degeneriertes Geschöpf", "dreckige Hunde", "asoziale Affen". Kritische Beobachter registrierten eine zunehmende Diskrepanz zwischen W.'s seriösen Auftritten in der Öffentlichkeit und seinen zum Teil anonymen und aggressiven Internetaktivitäten.
Und umso demonstrativer und forscher trat W. im Kontakt mit anderen Menschen auf, die mit ihm auch nur normal diskutieren wollten. Niemand hielt ihn auf, alle Grenzen zu überschreiten, die in diesem hochsensiblen Bereich der Prävention eigentlich gelten müssten. Und so unterlief W. schließlich dann im Juli dieses Jahres ein gravierender Fehler, der die Diskussionen über die Rolle von Aussteigern in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit zumindest weiterhin kontrovers begleiten könnte. Gegenüber anonymen Internetusern offenbarte W. in Form von Textnachrichten und Audiobotschaften, in welchem ideologischen Umfeld er heute verhaftet zu sein scheint.
Er würde alle Flüchtlinge abschieben, so W. in einem Chat mit einer anonymen Frau. Er sei „Deutschlands letzte Hoffnung", weil niemand die „Eier" habe „für sowas". Man solle nur abwarten. Eigentlich sei er ein eher unpolitischer Mensch. Doch: "Ich verstelle mich auch nicht und leugne auch nicht, dass ich mit vielen Sachen mit der AfD übereinstimme. Nicht mit allen Sachen, aber gerade, was Flüchtlinge und sowas betrifft, auf jeden Fall." Flüchtlinge würden Deutsche als Beute betrachten. Er selbst sei Muslim und dem Land dankbar. "Jeder, der kommt und das Land, in dem ich mit meiner Familie lebe, zerstören will, kaputt machen will, unsicher machen will, mit dem habe ich nichts zu tun und solche Leute bekämpfe ich."
In Diskussionen über Tötungsdelikte in Frankfurt, Voerde und Stuttgart, die in diesem Jahr für gesellschaftliche Kontroversen sorgten, führte W. ins Feld, dass es sich bei den Tätern um „Zigeuner-Namen" und „Drecks-Nigger" gehandelt hätte. Wenn er selbst einem Flüchtling begegnen würde, frage er nach und wenn dieser Stress mache, würde er ihm „die Fresse kaputt" hauen - „Bastarde“. Die „Halb-Wilden" und „Halb-Affen" aus Afrika könnten sich im Vergleich zu anderen Migranten ohnehin nicht integrieren. Während in seinem Heimatland angeblich „kriminelle Flüchtlinge" gelyncht und am nächsten Baum aufgeknüpft würden, ginge dies leider nicht in Deutschland.
Man kann sich die potenziellen Folgen nur vorstellen, wenn instabile Menschen mit solchen Aussagen eines Menschen konfrontiert würden, der in seiner Vergangenheit mit sprachlichen Manipulationstechniken bestens vertraut wurde und nun in der Präventionsarbeit eingebunden ist. Denn um darauf hinzuweisen: Um „konservative“ Ansichten (z.B. sachlich begründete Befürwortung restriktiver Migrationspolitik) oder subkulturelle Persiflagen (z.B. "Nigga", "Känax") handelt es sich bei seinen Aussagen nicht. Es sind die sprachlichen Substrate gängiger Ressentiments und gruppenbezogener Rassismen - die Zutaten jeder extremistischen Ideologie.
Umso verstörender wirkt es, dass Christoph W. erst kürzlich in einem Interview mit einem Magazin ein Präventionsformat des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz kritisierte und stattdessen eine Alternative präsentierte: Man solle stattdessen eine Gruppe von "Top-Deradikalisierern" zusammenstellen, die Extremisten im Internet anschreiben und sie in Gespräche verwickeln würden. Dass W. sich ersteren zurechnet, scheint er dabei offenkundig suggerieren zu wollen. Er hielte es für realistisch auf diese Weise viele Menschen binnen kürzester Zeit deradikalisieren zu können.
Aussteiger als Akteure in der Prävention
Diese Tatsachenschilderung kann natürlich nicht ohne den Versuch einer Einordnung stehen bleiben. Und das ist schwierig, denn das Fehlverhalten einzelner Aussteiger darf nicht zu Verallgemeinerungen führen. Aber der Fall Christoph W. verdeutlicht die Risiken, die Aussteiger auch verkörpern. Risiken, die von vielen Präventionsakteuren, Wissenschaftlern und Medien vielleicht auch zu leichtfertig übersehen werden. Doch wenn es um die Glaubwürdigkeit der Präventionsarbeit mit Aussteigern geht, bei der sich oftmals primäre, sekundäre und tertiäre Bereiche überschneiden, ist der offene Umgang mit potenziellen Schwachstellen umso wichtiger. Denn dass sich Christoph W. zu einem Risikofaktor entwickeln konnte war auch möglich, weil ihm Institutionen, Initiativen und auch Wissenschaftler eine Plattform boten. Dabei war schon vor Jahren zu erkennen, dass der Weg von W. unbeständig bleiben würde. Dazu hätte ein Blick in die virtuelle Welt von ihm gereicht.
Ist Christoph W. ein Einzelfall? Nein, auch wenn dies nur selten öffentlich kommuniziert wird. Doch sein Verhalten kann exemplarisch dafür gelten, wie fragil Ausstiegsprozesse sein können und dass auch Einstellungsveränderungen in eine ganz andere Richtung verlaufen können, als es von gesellschaftlichen Präventionsakteuren eigentlich erwartet wird.
Aussteiger sind mittlerweile in vielen Bereichen der Gesellschaft gefragt. Die großen Erwartungen, die an sie gestellt werden, sind eng verknüpft mit Begriffen wie "Werte", "Integration" oder "Demokratie". Sie verkörpern für zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure im politischen Diskurs quasi ein Beweis für die Überlegenheit demokratischer Überzeugungskraft gegenüber autoritären und sektiererischen Bewegungen. Treten Aussteiger mit ihrem Kontext auch öffentlich in Erscheinung, werden sie oftmals als Musterbeispiele gelungener Resozialisierung und Integration gefeiert.
Sie werden deshalb auch im Rahmen von Präventionskampagnen und der Deradikalisierungsarbeit eingesetzt. Vielfach wurde das schon praktiziert und die Tendenz ist offenkundig steigend. Vor allem Aussteiger aus der rechtsextremen Szene beteiligen sich seit Jahren an Streetwork- und Schulprojekten, Vorträgen und Publikationen. Damit dienen sie aber auch den Akteuren in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit als Erfolgsnachweis und Werbegesichter ihrer eigenen Arbeit. Für Medien, Wissenschaftler und Organisationen fungieren Aussteiger mit ihrem sehr unterschiedlichen Erfahrungsschatz wiederum als Hinweisgeber und "Experten", um Ideologien, Akteure und Netzwerke - und damit Radikalisierungsprozesse - verstehen und einordnen zu können.
Aussteiger aus der Islamismus-Szene wie Christoph W., die auch öffentlich in Erscheinung getreten sind, waren dagegen bislang rar vertreten gewesen. Sie sind aber dadurch besonders prominent geworden. Sie veröffentlichen Bücher, treten in Medien auf und beteiligen sich an zahlreichen Projekten. Doch was und wer sind eigentlich Aussteiger?
Ausstieg als normativer Begriff
Ist Christoph W. ein Einzelfall? Nein, auch wenn dies nur selten öffentlich kommuniziert wird. Doch sein Verhalten kann exemplarisch dafür gelten, wie fragil Ausstiegsprozesse sein können und dass auch Einstellungsveränderungen in eine ganz andere Richtung verlaufen können, als es von gesellschaftlichen Präventionsakteuren eigentlich erwartet wird.
Aussteiger sind mittlerweile in vielen Bereichen der Gesellschaft gefragt. Die großen Erwartungen, die an sie gestellt werden, sind eng verknüpft mit Begriffen wie "Werte", "Integration" oder "Demokratie". Sie verkörpern für zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure im politischen Diskurs quasi ein Beweis für die Überlegenheit demokratischer Überzeugungskraft gegenüber autoritären und sektiererischen Bewegungen. Treten Aussteiger mit ihrem Kontext auch öffentlich in Erscheinung, werden sie oftmals als Musterbeispiele gelungener Resozialisierung und Integration gefeiert.
Sie werden deshalb auch im Rahmen von Präventionskampagnen und der Deradikalisierungsarbeit eingesetzt. Vielfach wurde das schon praktiziert und die Tendenz ist offenkundig steigend. Vor allem Aussteiger aus der rechtsextremen Szene beteiligen sich seit Jahren an Streetwork- und Schulprojekten, Vorträgen und Publikationen. Damit dienen sie aber auch den Akteuren in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit als Erfolgsnachweis und Werbegesichter ihrer eigenen Arbeit. Für Medien, Wissenschaftler und Organisationen fungieren Aussteiger mit ihrem sehr unterschiedlichen Erfahrungsschatz wiederum als Hinweisgeber und "Experten", um Ideologien, Akteure und Netzwerke - und damit Radikalisierungsprozesse - verstehen und einordnen zu können.
Aussteiger aus der Islamismus-Szene wie Christoph W., die auch öffentlich in Erscheinung getreten sind, waren dagegen bislang rar vertreten gewesen. Sie sind aber dadurch besonders prominent geworden. Sie veröffentlichen Bücher, treten in Medien auf und beteiligen sich an zahlreichen Projekten. Doch was und wer sind eigentlich Aussteiger?
Ausstieg als normativer Begriff
Mit dem Begriff des Aussteigers werden Menschen bezeichnet, die sich nach eigenem Bekunden und auch nach Einschätzung ihrer Umwelt (nicht selten sind das Präventionsakteure) von einer extremistischen und radikalen Ideologie (Rechtsextremismus, Islamismus etc.) und der damit verknüpften Bewegung distanziert haben. Subsumieren ließe sich dieser Prozess demnach unter den mittlerweile prominent gewordenen Begriff der "Deradikalisierung“. Er markiert den Übergang zu – ja, zu was eigentlich?
Es ist eine der vielen schwammigen Begriffsbestimmungen in der Prävention, die in ihrem Antipoden der Radikalität ihren Ursprung findet. Radikalität wird häufig so gedeutet, dass bereits „Versatzstücke“ extremistischer Ideologien ausreichen, um als radikal zu gelten. Wer die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, „die Werte und Normen und das damit verbundene pluralistische Gesellschaftsmodell“ eindeutig ablehne oder (mit oder ohne Gewalt) gar abzuschaffen versuche, falle in den Bereich der Radikalität.
Dass die Abschaffung der Demokratie in diesen definitorischen Rahmen fällt, ist selbstverständlich nachvollziehbar. Was ist aber mit den „Werten“, „Normen“ und dem „pluralistischen Gesellschaftsmodell“? Definitionen solcher Containerbegriffe sind notwendig, um das Ziel der Deradikalisierung überhaupt festlegen zu können. Das Problem ist, dass Artefakte den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen (z.B.„deutsche Leitkultur“, "christliches Abendland", "Antifaschismus"). Sie sind also im politischen und auch im wissenschaftlichen Raum dehnbar, subjektiv und ihnen können eine Vielzahl von Sinngehalten zugeordnet werden. Artefakte sind vor allem auf Erwartungshaltungen zurückzuführen, sie sind dispositiv und das Ergebnis eigener bzw. Milieu spezifischer Erfahrungen und Bewertungen. Was Menschen unter ihren Werten verstehen, ist abhängig davon, wie sie die Welt selbst erfahren und bewerten bzw. in welchen sozialen Subsystemen sie sich verorten.
Die Definition von „Radikalität“ weist Schwächen auf. Sie differenziert nicht, sie suggeriert „das Bild einer vermeintlichen demokratischen Mitte der Gesellschaft“ […], an deren Rändern „die Radikalen“ sind. Alles was aus dieser Mitte heraus als „radikal“ wahrgenommen wird, gilt als „Feindbild“, „undemokratisch“ und „interventionsbedürftig“ (S.2). Was die Mitte eigentlich ausmacht und welche „Werte“ mit ihr verbunden werden bleibt häufig unklar. So scheint die „Mitte“ beispielsweise mit einem „Sektor der Non-Radikalität“ assoziiert zu werden, eine „gelebte demokratische Kultur“, der die zentrale Aufgabe zukomme über die „Gestaltung demokratischer Kultur als lebenswerter sozialer Raum der Freiheit und Würde“ die „Resilienz vor Radikalität“ zu stärken (S. 7).
Aber wer entscheidet in einer Zeit darüber, in der sich viele Bürger der Radikalität gegenseitig bezichtigen, wo der „Sektor der Non-Radikalität“ liegt? Durch das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen und die darauffolgende Polarisierung haben sich in dieser Hinsicht die gesellschaftlichen Diskurse noch stärker verändert. Das zeigt auch der Fall Christoph W. Das Unsagbare, was nur im Privaten für sagbar gehalten wurde, drängt verstärkt in den öffentlichen Raum. Parallel verschwimmen durch das Internet die Grenzen zwischen Anonymität und Vertrautheit. Hierbei wird deutlich, dass „Werte“, die von Bildungseliten der „Mitte“ zugeschrieben werden, keine allgemeingültigen und schon gar nicht von Saturiertheit und Bildungserfolg abhängige Konstanten bilden.
Es ist eine der vielen schwammigen Begriffsbestimmungen in der Prävention, die in ihrem Antipoden der Radikalität ihren Ursprung findet. Radikalität wird häufig so gedeutet, dass bereits „Versatzstücke“ extremistischer Ideologien ausreichen, um als radikal zu gelten. Wer die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“, „die Werte und Normen und das damit verbundene pluralistische Gesellschaftsmodell“ eindeutig ablehne oder (mit oder ohne Gewalt) gar abzuschaffen versuche, falle in den Bereich der Radikalität.
Dass die Abschaffung der Demokratie in diesen definitorischen Rahmen fällt, ist selbstverständlich nachvollziehbar. Was ist aber mit den „Werten“, „Normen“ und dem „pluralistischen Gesellschaftsmodell“? Definitionen solcher Containerbegriffe sind notwendig, um das Ziel der Deradikalisierung überhaupt festlegen zu können. Das Problem ist, dass Artefakte den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen (z.B.„deutsche Leitkultur“, "christliches Abendland", "Antifaschismus"). Sie sind also im politischen und auch im wissenschaftlichen Raum dehnbar, subjektiv und ihnen können eine Vielzahl von Sinngehalten zugeordnet werden. Artefakte sind vor allem auf Erwartungshaltungen zurückzuführen, sie sind dispositiv und das Ergebnis eigener bzw. Milieu spezifischer Erfahrungen und Bewertungen. Was Menschen unter ihren Werten verstehen, ist abhängig davon, wie sie die Welt selbst erfahren und bewerten bzw. in welchen sozialen Subsystemen sie sich verorten.
Die Definition von „Radikalität“ weist Schwächen auf. Sie differenziert nicht, sie suggeriert „das Bild einer vermeintlichen demokratischen Mitte der Gesellschaft“ […], an deren Rändern „die Radikalen“ sind. Alles was aus dieser Mitte heraus als „radikal“ wahrgenommen wird, gilt als „Feindbild“, „undemokratisch“ und „interventionsbedürftig“ (S.2). Was die Mitte eigentlich ausmacht und welche „Werte“ mit ihr verbunden werden bleibt häufig unklar. So scheint die „Mitte“ beispielsweise mit einem „Sektor der Non-Radikalität“ assoziiert zu werden, eine „gelebte demokratische Kultur“, der die zentrale Aufgabe zukomme über die „Gestaltung demokratischer Kultur als lebenswerter sozialer Raum der Freiheit und Würde“ die „Resilienz vor Radikalität“ zu stärken (S. 7).
Aber wer entscheidet in einer Zeit darüber, in der sich viele Bürger der Radikalität gegenseitig bezichtigen, wo der „Sektor der Non-Radikalität“ liegt? Durch das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen und die darauffolgende Polarisierung haben sich in dieser Hinsicht die gesellschaftlichen Diskurse noch stärker verändert. Das zeigt auch der Fall Christoph W. Das Unsagbare, was nur im Privaten für sagbar gehalten wurde, drängt verstärkt in den öffentlichen Raum. Parallel verschwimmen durch das Internet die Grenzen zwischen Anonymität und Vertrautheit. Hierbei wird deutlich, dass „Werte“, die von Bildungseliten der „Mitte“ zugeschrieben werden, keine allgemeingültigen und schon gar nicht von Saturiertheit und Bildungserfolg abhängige Konstanten bilden.
Die „Ränder“ speisen sich aus bereits vorhandenen ideologischen Reservoirs, die aber "abseits" von Stereotypen wie Springerstiefeln, soziales Prekariat oder IS-Flagge in der Gesellschaft allgegenwärtig sind. Ressentiments, Vorurteile und gruppenbezogener Menschenhass sind demnach keine Randphänomen, wie es „Radikalitätsdefinitionen“ oftmals suggerieren. Sie ziehen sich durch alle formativen Bevölkerungsschichten und zeigen sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen.
Von Christoph W. wurde angenommen, dass er sich nach seinem Ausstieg aus der militanten Szene zu einem Menschen entwickelt hätte, der den "Sektor der Non-Radikalität“ erreicht habe. Dass er die selben „Werte“ und Einstellungen vertreten würde, die von der „Mitte“ vorausgesetzt würden. Und sein auffällig lauter Einsatz im Internet und bei öffentlichen Veranstaltungen primär gegen migrantisch-muslimischen Antisemitismus schien dafür bei manchen Präventionsinitiativen bereits Ausweis genug gewesen zu sein. Vieles hat sich in den letzten Jahren aber verändert. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Narrativ, das sich auch rechtspopulistische Parteien und Bewegungen mittlerweile medial zu eigen gemacht haben. Nicht, weil sie sich gegen den Judenhass schon immer engagiert hätten, im Gegenteil, sondern weil sich der Antisemitismus als "sozial-normierendes" bzw. disziplinierendes Schlagwort in Verbindung mit rassistischen, xenophoben und islamophoben Vorurteilen im politischen Diskurs sehr effektiv politisch nutzen lässt ("importierter Antisemitismus"). Es findet in der "Mitte" der Gesellschaft Anschluss. Zumindest ist das die klare Absicht. Und das ist ein Dilemma.
„Werte“ sind also nicht nur Ergebnis individueller oder kollektiver Konstruktionen. Sie werden auch instrumentalisiert und sind generell korrumpierbar, um spezifische gesellschaftliche oder auch individuelle Erwartungshaltungen zu bedienen. Dass dadurch auch ein „Ausstieg“ oder eine „Deradikalisierung“ einen völlig anderen Verlauf nehmen können, liegt auch in der Anfälligkeit einer in Teilen demonstrativ agierenden „Präventions“-Gesellschaft, die der Inszenierung (z.B. Counter-Narratives) von scheinbar kollektiv akzeptierten Werten Vorschub leistet, statt den Ursachen von Menschenhass in all seinen Erscheinungsformen als gesamtgesellschaftliches Problem dezidiert auf den Grund zu gehen.
Ausstieg als Inszenierung
Von Christoph W. wurde angenommen, dass er sich nach seinem Ausstieg aus der militanten Szene zu einem Menschen entwickelt hätte, der den "Sektor der Non-Radikalität“ erreicht habe. Dass er die selben „Werte“ und Einstellungen vertreten würde, die von der „Mitte“ vorausgesetzt würden. Und sein auffällig lauter Einsatz im Internet und bei öffentlichen Veranstaltungen primär gegen migrantisch-muslimischen Antisemitismus schien dafür bei manchen Präventionsinitiativen bereits Ausweis genug gewesen zu sein. Vieles hat sich in den letzten Jahren aber verändert. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Narrativ, das sich auch rechtspopulistische Parteien und Bewegungen mittlerweile medial zu eigen gemacht haben. Nicht, weil sie sich gegen den Judenhass schon immer engagiert hätten, im Gegenteil, sondern weil sich der Antisemitismus als "sozial-normierendes" bzw. disziplinierendes Schlagwort in Verbindung mit rassistischen, xenophoben und islamophoben Vorurteilen im politischen Diskurs sehr effektiv politisch nutzen lässt ("importierter Antisemitismus"). Es findet in der "Mitte" der Gesellschaft Anschluss. Zumindest ist das die klare Absicht. Und das ist ein Dilemma.
„Werte“ sind also nicht nur Ergebnis individueller oder kollektiver Konstruktionen. Sie werden auch instrumentalisiert und sind generell korrumpierbar, um spezifische gesellschaftliche oder auch individuelle Erwartungshaltungen zu bedienen. Dass dadurch auch ein „Ausstieg“ oder eine „Deradikalisierung“ einen völlig anderen Verlauf nehmen können, liegt auch in der Anfälligkeit einer in Teilen demonstrativ agierenden „Präventions“-Gesellschaft, die der Inszenierung (z.B. Counter-Narratives) von scheinbar kollektiv akzeptierten Werten Vorschub leistet, statt den Ursachen von Menschenhass in all seinen Erscheinungsformen als gesamtgesellschaftliches Problem dezidiert auf den Grund zu gehen.
Ausstieg als Inszenierung
Dass eine solche Inszenierung von Werten gerade von Aussteigern antizipiert wird, ist kein neues Phänomen. 2017 ging der renommierte Rechtsextremismusforscher Andreas Speit in einem Beitrag in der "Taz" auf dieses Thema ein und berichtete über den ehemaligen Rechtsextremisten Philip Schlaffer und dessen Rolle in der Präventionsarbeit. Schlaffer, der in der Szene als Produzent von Rechtsrock-Musik und brutaler Schläger bekannt gewesen war, habe sich nicht explizit von seiner Ideologie, sondern lediglich von seinem kriminellen Vorleben und einem verkommenen Kameradschaftsethos in der rechtsextremen Szene distanziert, so der indirekte Vorwurf Speits. Schlaffers Präventionsarbeit drehe sich vor allem um ihn selbst, sodass die Ernsthaftigkeit seines eigenen Distanzierungsprozesses in Frage gestellt werde. Er leite zudem aus seiner Vergangenheit quasi eine berufliche Qualifikation für die Präventionsarbeit ab.
Die Soziologin Johanna Sigl warnte in diesem Kontext davor, dass Aussteiger nicht via Vita automatisch als Präventions- und Rechtsextremismusexperten angesehen werden dürften. „Sie sind, wenn sie sich selbst wirklich hinterfragten, vor allem nur Experten ihrer Biografie", so Sigl. Ihre Authentizität werde aber mit (Fach-)Kompetenz häufig gleichgesetzt. Pädagogisch sei das fragwürdig und stelle die Professionalität der Prävention in Frage. Grundsätzlich sei es zudem problematisch, wenn ehemalige "Nazitäter" mit ihrer Vergangenheit Geld verdienten, weil sie sich dadurch nicht wirklich von ihrer Vergangenheit lösen würden. Eine "Eigenaufwertung" könne beobachtet werden, bei der die Inszenierungsformen der Aussteiger durch den Profilierungswunsch geprägt sei und damit die Rolle weiter ausgefüllt werde, die sie vorher in ihrem extremistischen Umfeld gespielt hätten, so Sigl gegenüber Andreas Speit.
In einer "NDR"-Dokumentation über Schlaffer in diesem Jahr scheint der Vollzugsleiter der JVA Stralsund, Kay Gau, die Einschätzung Sigls unabhängig zu bestätigen. Aber im positiven Sinne. Schlaffer könne "Menschen fangen", er sei "charismatisch" und "eloquent", er könne "Bedürfnisse und Stimmungen seines Gegenübers erkennen" und er brauche eine Bühne, "um stabil funktionieren zu können", so Gau. Er habe deshalb gemeinsam mit Schlaffer während dessen mehrjährigen Haftstrafe in der JVA ein Konzept entwickelt, um auf Youtube vor Gewalt und der rechten Kameradschaft zu warnen. Doch wenn man sich das Ergebnis dieser Arbeit anschaut, sieht man vor allem einen Mann, der seine Vergangenheit zur einzigen Existenzgrundlage gemacht hat. Als "King unter den Kongs" bezeichnet sich Schlaffer und erzählt auf seinem Youtube-Kanal über das "Business mit dem Hass", wie er sein Leben als Neonazi zusammenfasst.
Schlaffers Leben besteht heute vor allem aus dem "Business" mit seiner Vergangenheit. Damit verdient er sein Geld. Es fließt von "Paten" seines Youtube-Kanals, aus seinem Klamotten-Shop mit Mottos wie "Moin Leude", "Ahoi" und "Iss", über Werbelinks auf Amazon, aus Einnahmen als "Influencer" für E-Zigaretten oder auch aus seiner Einbindung in Präventionsprojekte wie seinem Verein "Extremislos". Sogar einen eigenen Telegram-Kanal hat Schlaffer gegründet, auf dem sich seine Fans mit ihm austauschen können. Erst kürzlich wurde die Gruppe von Rechtsextremisten unterwandert. Die Anhänger der Schlaffer-Gruppe wurden von anderen Mitgliedern in neue Gruppen eingeladen, in denen antisemitische Verschwörungstheorien, Waffen-Bilder und rassistische Hasstiraden auch in Bezug auf den Anschlag in Halle verschickt wurden.
Dass auch kritische Zuschauer Schlaffers eigentümlichen Lebenswandel in Frage stellen verdeutlicht die Tücken, wenn Aussteiger sich verselbstständigen oder ihnen große Handlungsräume gewährt werden. Schlaffer selbst reagierte auf die häufige Kritik vor einigen Wochen: Er habe viele "Hater", auch unter Rechtsextremen und alten Weggefährten, die seinen Lebenswandel "scheisse" fänden. Er habe sich nach der Knast-Zeit selbstständig gemacht, sein Leben danach sei von Erfolgen und Scheitern geprägt gewesen. Die Kritik an seiner nun offenkundigen Hauptbeschäftigung als "Aussteiger" könne er nicht nachvollziehen. Er versuche sich zu "resozialisieren", ein "Standbein aufzubauen", nicht "Hartz 4“ zu beziehen und nicht wieder "kriminell" zu werden.
Dass einzelne Aussteiger aus ihrer Vergangenheit eine Existenzgrundlage ableiten, liegt auch daran, weil manche Präventionsakteure sie unkontrolliert gewähren lassen. Auch hier wird deutlich, dass die eigentlichen Ziele durch schwammige Definitionen konterkariert werden. Warum?
Aufklären als Selbsttherapie?
Aufklären als Selbsttherapie?
Die Beratungsstelle EXIT-Deutschland meint, dass für "einige Ausgestiegene das Aufklären über die rechtsextreme Szene ein wichtiger Bestandteil ihres Aufarbeitungs- und Ausstiegsprozesses" sein könne. Die überwiegende Mehrheit von Pädagogen, Multiplikatoren der Jugendarbeit sowie zivilgesellschaftlicher Akteure verbinde dabei "die nachhaltige Sensibilisierung mit anwendbaren Handlungskompetenzen durch die Erfahrungen und transparenten biografischen Ausführungen" der Betroffenen. Grundsätzlich sei die Einbindung von Aussteigern aber an internationalen Standards und internen Evaluationen gekoppelt.
"Standards", auf die sich Beratungsstellen wie EXIT-Deutschland dabei beruft, hat beispielsweise das europäische Präventionsnetzwerk "RAN" veröffentlicht. Der 8-seitige Leitfaden hat jedoch bereits zu Beginn eine Schwachstelle. Der Begriff des Aussteigers sorgt auch hier für Unklarheit. Es gebe keine einheitliche Definition, so die Verfasser. Vielmehr sei es eine Frage der Zeit, der Resozialisierung und Integration in die Gesellschaft sowie von persönlichen Lebensereignissen abhängig, ob ein Mensch als Aussteiger bezeichnet werden könne. Die häufige freiwillige Einbindung von Aussteigenden in Präventionsprojekte sei daher auch eine Methode zur Bewertung ihres aktuellen Fortschrittprozesses (S.3).
Demgegenüber positioniert sich die 2014 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) "Ausstieg zum Einstieg", einem Dachverband mehrerer Fachstellen für Ausstiegs- und Distanzierungshilfe, etwas anders. Für die Verbandsmitglieder kämen als Referenten ausschließlich Personen in Frage, die "ihren Ausstiegsprozess erfolgreich vollzogen" hätten (S.2). Hierbei beruft sie sich auf eine gemeinsame Definition des Aussteiger-Begriffs und scheint dabei eine dezidierte Reihenfolge vorzugeben:
"Ein gelungener Ausstieg ist das Ergebnis eines professionell begleiteten Prozesses. Er beinhaltet den Verzicht auf Gewalt, die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der menschenverachtenden Einstellung, eine gelungene Distanzierung sowie die Hinwendung zu einer Lebensweise, die mit den Grundwerten von Demokratie und Pluralität vereinbar ist (S. 5)".
Doch in Hinblick auf die Inszenierungsgefahr des Ausstiegsprozesses stellt sich auch hier die Frage, was eine "Lebensweise", die mit den Grundwerten unserer Gesellschaft vereinbar sei, überhaupt ausmacht? Gehört nicht auch zu dieser Lebensweise, dass sich die Aussteiger den alltagsrealen Herausforderungen wie dem Aufbau einer eigenständigen Existenz stellen müssten (Bildung, Beruf)? Und schließt sich nicht daran auch an, dass die Selbststilisierung und -werterhöhung, die die Radikalisierung stets begleitet, mit der Akzeptanz eigener Lebensrealitäten durchbrochen wird und zwar abseits des Rampenlichts?
Dieser kritische Aspekt zu Aussteigern scheint bislang zu selten beleuchtet worden zu sein. Was tun mit Aussteigern? Oder besser: Was tun sie selbst? Ohne Zweifel ist es ein wesentlicher Unterschied, wenn ehemalige Extremisten sich später selbst über berufliche Weiterbildung (Ausbildung, Studium) eine fachliche Grundlage erarbeiten, um in der Prävention tätig zu werden. Es sind wahrscheinlich vor allem die Aussteiger betroffen, die aus Mangel an alternativen Lebensmodellen, charakterlichen Eigenschaften und aufgrund der Anfälligkeit von manchen Präventionsakteuren (Profilierung, Werbefaktor) in den hochsensiblen Bereich der Prävention und der Deradikalisierung hinzustoßen. Allein Aussteiger zu sein scheint bei vielen Institutionen (auch Medien) bereits eine Eintrittkarte zu sein. Nicht nur in der Präventionsarbeit, sondern auch für Expertisen jeder Art.
Der Distanzierungsprozess droht hierdurch in ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen Präventionsakteuren und ihren "Klienten"/"Kooperationspartnern"/"Experten" mit primär instrumenteller Funktion zu verfallen. Einerseits die unterbewusste (Selbst-)Erpressung des Aussteigers seinen Lebenswandel nur dann aufrecht erhalten zu können, wenn die Einbindung und "Weiterverwendung" in der Prävention aufrecht erhalten bleibt ("Ich will mich doch nur resozialisieren und mich nützlich machen!"). Der Ausstiegsprozess wird also stark mit existenziellen Unterstützungs- und Integrationsleistungen von außen verknüpft (die emotional als Selbstwerterhöhung zu übersetzen sind), um ein "inneres" Gleichgewicht halten zu können.
Andererseits verstärken manche Präventionsakteure diese Entwicklung mit der zum Teil offenkundigen Instrumentalisierung der Aussteiger als (medial inszenierte) Botschafter ihrer eigenen Interessen sowie gut gemeinter, aber kontraproduktiver Narrative ("Das sind unsere Aussteiger!"/„Demokratie wirkt!“). Die große Abhängigkeit von zeitlich begrenzten Fördermitteln und Spenden dürfte hierbei auch eine Rolle spielen. Deradikalisierung kann dadurch zu einer Dynamik korrelierender Erwartungshaltungen mutieren: Der Ausstiegsprozess wird von Belohnungsanreizen wie bei einem Eltern-Kind-Verhältnis überlagert. Erfüllen die Aussteiger die Erwartungshaltung der Beratungsstellen, Präventionsinitiativen oder Medien (durch die Bejahung von gesellschaftlichen Artefakten, die sprachliche und habituelle Anpassung oder Lobbyarbeit), erwartet ersteres Bestätigung, Anerkennung und damit Selbstaufwertung.
Das große Problem daran ist: Solche vornehmlich psychosozialen Faktoren spielen auch zentrale Rollen bei Radikalisierungsprozessen (emotionale Dimension). Und zwar in alle Bereichen des politischen und religiösen Extremismus. Aus Gefühlen der Demütigung, der Exklusion, des Verlassenseins oder der Ohnmacht (d.h. ein geringer Selbstwert) erfolgt die Suche nach Aufmerksamkeit (durch Opposition), Geborgenheit und Akzeptanz. Eine Teil-Dynamik der Radikalität besteht schließlich daraus, dass die Betroffenen sich durch einen kontinuierlichen Prozess der Bestätigung und Anerkennung von außen in der Selbststilisierung, im Übermut oder in der Geltungssucht verlieren können.
Denn unter diesen Bedingungen geht es ihnen nur um die Aufrechterhaltung der positiven Selbst- und Fremdwahrnehmung und damit um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse (motivationale Ebene). Die verbale oder physische Entwertung und Herabsetzung anderer Menschen oder imaginärer Gegner („dreckiger Kafir“, „Halb-Affe aus Afrika“) sind Ausdruck dieser Selbstaufwertung. Umso eher neigen die Betroffenen zu einem Vermeidungsverhalten gegenüber den aus Erfahrungen resultierenden (kognitiven) Dissonanzen, die dazu führen könnten sich und das eigene Handeln in Frage zu stellen. Dass sich dieser Prozess auch im Zustand des Ausstiegs fortsetzen kann, indem das jubelnde Publikum die Rolle des bestätigenden Umfelds einnimmt, zeugt von den Gefahren Persönlichkeitsmerkmale und Charaktere zu wenig in die Bewertung von Distanzierungsprozessen mit einzubeziehen.
Dass die Anerkennung und nicht selten auch die materiellen Zuwendungen Risiken im Ausstiegsprozess bergen, damit haben sich bereits die ehemaligen Rechtsextremisten Felix Benneckenstein, Maik Scheffler und Stefan Rochow in einem Beitrag für das Journal EXIT-Deutschland auseinandergesetzt. So treffe der Vorwurf einer möglichen "Profilierungssucht" gegen öffentlich auftretende "Aussteiger" zwar in einigen Fällen zu. Doch das Engagement in der Präventionsarbeit sei vor allem eine Art Katalysator, um möglichen Stigmatisierungen oder Diffamierungen etwas entgegensetzen zu können. Man trage als Aussteiger auch Verantwortung in Form von argumentativer "Schadensbegrenzung" die früheren Missionierungstätigkeiten im ehemaligen ideologischen Umfeld auch irgendwie auszugleichen (S.81).
Den Begriff des "Berufsaussteigers", der quasi aus seiner Vergangenheit ein Geschäft machen würde, sei nur schwer zu belegen. Denn die "Vortragsarbeit" stehe teilweise im Zusammenhang mit einer beruflichen (Neu-)Orientierung wie in der sozialen Arbeit, wenngleich sich diese Tätigkeiten "meist" auf die unmittelbaren Radikalisierungs- und Deradikalisierungserfahrungen konzentrieren würden: Einstieg, Rolle/Aktivität und Ausstieg.
Doch gerade dieser Aspekt vom „Ausstieg zum Einstieg“, der oftmals deutlich über die eigene Biografie hinausgeht (subjektive Expertisen und Bewertungen oder politische Agitation), widerspricht dem Kerngedanken der Deradikalisierung. Denn die Frage ist, ob sich öffentlich agierende Aussteiger auch so engagieren würden, wenn sie hierfür keinerlei materiellen Gewinn und Anerkennung erhalten würden. Müssen sie das überhaupt? Und warum sollten Menschen mit extremistischer Vergangenheit überhaupt dafür honoriert werden, wenn sie mit moralischem Anspruch („warnen“, „aufklären“, „wieder gut machen“) sich von etwas distanzieren, gegen das sich viele Millionen Menschen tagtäglich ehrenamtlich engagieren oder positionieren?
Auch die Hoffnung, dass Aussteiger in ihrem ehemaligen extremistischen Umfeld andere motivieren könnten ebenfalls den Ausstieg zu wagen, scheint eher Wunschdenken als Realität zu sein. Im Gegenteil: durch die zu starke Instrumentalisierung einiger Aussteiger als Botschafter einer vermeintlichen „Mitte“, die ihr Leben zudem sehr stark an die Prävention koppeln, wird die Reaktanz der anderen Seite geradezu verstärkt. Aber auch Nachahmungseffekte spielen eine Rolle. Denn die Suggestion eines durchaus weichen Übergangs sowie die Erschließung einer neuen Existenzgrundlage, bei der im Gegensatz zum grauen Alltag des "Normalbürgers" ein hohes Maß gesellschaftlicher Anerkennung quasi garantiert ist, birgt die Gefahr eines inszenierten Ausstiegs im Sinne einer primär physischen Entsagung. Verschwörungstheorien und Verräter-Narrative, die nicht selten durch das ehemalige Umfeld der Aussteiger gestreut werden, sind dann aus dieser Perspektive nur schwer zu entkräften.
Den Beratungsstellen, die sich auf Deradikalisierung spezialisiert haben, kommt hierbei eine große Verantwortung zu. Denn wenn Aussteiger eingesetzt werden, sind Kameras und Mikrofone nicht selten in Reichweite. Dass Medien die Hauptschuld trügen, Aussteigern eine Bühne zur Selbstinszenierung zu bieten, wie es in Hintergrundgesprächen mehrmals durch BeraterInnen kolportiert wurde, wirkt daher wenig hilfreich. Denn es sind einige Beratungsstellen selbst, die mit eigenen Marketing-Strategien solchen Risiken zumindest Vorschub leisten können.
Zwischen Selbstinszenierung und gesellschaftlichem Auftrag
Zwischen Selbstinszenierung und gesellschaftlichem Auftrag
Die Forschung beklagt schon seit langem das Fehlen aussagekräftiger Studien sowohl zur Deradikalisierungsarbeit selbst, als auch zu Effizienz- und Effektivitätsnachweisen der mit Aussteigern kooperierenden Präventionsarbeit. Beratungsstellen, die vornehmlich "ihre" eigenen Aussteiger einsetzen sind meistens von ihrem positiven Einfluss auf Zielgruppen wie SchülerInnen überzeugt. Das Scheitern oder die Probleme mit (vermeintlichen) Aussteigern werden zu selten öffentlich kommuniziert, meist aber auch aus eigennützigen Gründen verschwiegen. Interne bzw. unabhängige Evaluationen sind zudem kaum öffentlich zugänglich, obwohl Transparenz ein emminent wichtiges Qualitätssiegel in diesem Bereich sein sollte.
Nicht selten werden fragwürdige Studien herangezogen, die mit Redundanzen, Stereotypen und anfälligen Definitionen arbeiten. Empfehlungen durch WissenschaftlerInnen, tragen ebenfalls dazu bei. Zum Beispiel die häufige, aber nicht ausreichend wissenschaftlich begründete Forderung vor allem ehemalige ideologische Anführer in die Prävention einzubinden, deren „Charisma“ dazu genutzt werden solle, „um Gegenstimmen zu extremistischen Ideologien Gehör zu verschaffen“ (S. 9). Auch wissenschaftliche Studien über und mit Aussteigern greifen nicht selten auf bereits öffentlich bekanntere Personen zurück. Denn den Zugang zu all denjenigen zu finden, die abseits von Beratungsstellen und medialer Öffentlichkeit ihre Einstellungen und Lebensmodelle verändert haben, ist abgesehen von gut vernetzten Akteuren äußerst schwierig. So kommt es dann dazu, dass auch Christoph W. sich als "Mitwirkender" an mehreren Studien bezeichnet, ganz so, als stelle dies ein weiteres Prädikat in seinem Lebenslauf dar.
Die Probleme fallen aber in Bezug auf die Praxis noch gravierender aus. 2018 veröffentlichte das Nationale Zentrum für Kriminalprävention (NZK) eine Studie, die die Wirkung von schulbasierten Präventionsmaßnahmen unter Einbeziehung von Aussteigern untersuchte. Die Ergebnisse bisheriger Studien zu (nicht) intendierten Wirkungen auf die Zielgruppe der SchülerInnen würden "keine empirisch fundierten Aussagen" zulassen, so die Studienautoren. Daher überrasche die in Deutschland "vorherrschende Umgangsweise und Förderpraxis im Rahmen dieses speziellen Ansatzes der Extremismusprävention." Qualitätsstandards seien bis ins Jahr 2018 (!) sogar "weitgehend unbeachtet" geblieben. Der Diskurs sei in der Vergangenheit vielmehr "aussteiger- als zielgruppenzentriert" gewesen. Es fehle zudem trotz langjähriger und bundesweiter Anwendungspraxis eine „transparente und aussagekräftige Übersicht zu existierenden schulischen Präventionsmaßnahmen von ehemaligen Extremisten in Deutschland" (S. 87).
In einer groben Literaturübersicht beschreiben die Autoren auch die Motivationen, die die ehemaligen Extremisten für ihre Arbeit angeben würden. Einerseits ginge es den Aussteigern darum junge Menschen vor vergleichbaren Erfahrungen zu bewahren und ihre eigenen Taten wiedergutzumachen. Andererseits seien auch die mit ihrer Arbeit in der Prävention einhergehenden "positiven" Impulse für ihren Lebenswandel und die "dafür erhaltene Bestätigung" ebenfalls Gründe sich zu engagieren. Die Gefahr der Selbstinszenierung ist auch und insbesondere hier gegeben (S.20).
Die Beobachtung, dass Aussteiger aus der rechtsextremen oder der islamistischen Szene sich öfters als gedacht Starallüren und vorgebliche Expertise aneignen, scheint den meisten Beratungsstellen, die mit ihnen zusammenarbeiten, zumindest bewusst zu sein. Das "RAN" warnt beispielsweise in seinem Leitfaden zur Zusammenarbeit mit Aussteigern, dass der Eindruck nicht entstehen dürfe den Ausstieg für einen Karriereeinstieg oder einen Imagewechsel zu instrumentalisieren. Genauso müsse vermieden werden, dass Aussteiger mit Öffentlichkeitsdrang und Wichtigtuerei die Ziele der Extremismusprävention gefährdeten (S.6).
Die Sensibilisierung der Beratungsstellen und Initiativen der Prävention ist daher in jedem Fall notwendig, auch wenn die Handlungsfreiheiten der Aussteiger häufig sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Es gibt keine bundesweit einheitlichen Standards und Regeln in der Branche. Nicht selten wird auf Grundlage kaum objektivierbarer Bewertungskriterien entschieden, wer für Kooperationen in Frage kommt und wer nicht. Dass dabei vor allem Menschen geeignet scheinen, zu deren Charaktereigenschaften ein großes Selbstbewusstsein und darstellerische Fähigkeiten gehören, wird von einigen Beratungsstellen selbst kritisch reflektiert.
Und am Ende gilt letztlich noch die Freiheit der Berufswahl, der aber durch die Prävention immer noch mittels klarer Qualifikationsanforderungen und Projektregeln Grenzen gesetzt werden können. Es gibt nämlich einige Einzelgänger, die entweder nicht an Beratungsstellen oder Präventionsinitiativen fest gebunden sind (und damit auch im Zweifel nicht an Richtlinien und Standards) oder letzteres über die Aktivitäten ihrer „Schützlinge“ nicht ganz im Bilde sind. Dazu gehören bezahlte Nebentätigkeiten sowie politischer und medialer Aktivismus vor allem in den Sphären des öffentlich-privaten Raums, nämlich das Internet. Aufgrund den teilweise sehr persönlichen Beziehungen zwischen Präventionsakteuren und Aussteigern sowie den Vernetzungen mit anderen Initiativen wäre ein solches interaktives Monitoring nicht nur legitim, sondern angesichts der Risiken auch erforderlich. Denn der öffentliche Schaden, der durch Fahrlässigkeit oder Unprofessionalität entstehen kann, trifft alle Initiativen und Aussteiger, die sich professionell und ehrenamtlich engagieren.
Dass Beratungsstellen auch den in diesem Beitrag erwähnten Risiken und Transparenzdefiziten durchaus auch Rechnung tragen, zeigt exemplarisch das Vorzeigeprojekt „NinA NRW“, Mitglied der BAG „Ausstieg zum Einstieg e.V.“. In seinen „Qualitätsstandards“ zur Einbindung von Aussteigern setzen sich die Autoren dezidiert und auch selbstkritisch mit der Thematik auseinander und formulieren hierbei auch klare Spielregeln und Differenzierungen. Zusammengefasst:
Nicht selten werden fragwürdige Studien herangezogen, die mit Redundanzen, Stereotypen und anfälligen Definitionen arbeiten. Empfehlungen durch WissenschaftlerInnen, tragen ebenfalls dazu bei. Zum Beispiel die häufige, aber nicht ausreichend wissenschaftlich begründete Forderung vor allem ehemalige ideologische Anführer in die Prävention einzubinden, deren „Charisma“ dazu genutzt werden solle, „um Gegenstimmen zu extremistischen Ideologien Gehör zu verschaffen“ (S. 9). Auch wissenschaftliche Studien über und mit Aussteigern greifen nicht selten auf bereits öffentlich bekanntere Personen zurück. Denn den Zugang zu all denjenigen zu finden, die abseits von Beratungsstellen und medialer Öffentlichkeit ihre Einstellungen und Lebensmodelle verändert haben, ist abgesehen von gut vernetzten Akteuren äußerst schwierig. So kommt es dann dazu, dass auch Christoph W. sich als "Mitwirkender" an mehreren Studien bezeichnet, ganz so, als stelle dies ein weiteres Prädikat in seinem Lebenslauf dar.
Die Probleme fallen aber in Bezug auf die Praxis noch gravierender aus. 2018 veröffentlichte das Nationale Zentrum für Kriminalprävention (NZK) eine Studie, die die Wirkung von schulbasierten Präventionsmaßnahmen unter Einbeziehung von Aussteigern untersuchte. Die Ergebnisse bisheriger Studien zu (nicht) intendierten Wirkungen auf die Zielgruppe der SchülerInnen würden "keine empirisch fundierten Aussagen" zulassen, so die Studienautoren. Daher überrasche die in Deutschland "vorherrschende Umgangsweise und Förderpraxis im Rahmen dieses speziellen Ansatzes der Extremismusprävention." Qualitätsstandards seien bis ins Jahr 2018 (!) sogar "weitgehend unbeachtet" geblieben. Der Diskurs sei in der Vergangenheit vielmehr "aussteiger- als zielgruppenzentriert" gewesen. Es fehle zudem trotz langjähriger und bundesweiter Anwendungspraxis eine „transparente und aussagekräftige Übersicht zu existierenden schulischen Präventionsmaßnahmen von ehemaligen Extremisten in Deutschland" (S. 87).
In einer groben Literaturübersicht beschreiben die Autoren auch die Motivationen, die die ehemaligen Extremisten für ihre Arbeit angeben würden. Einerseits ginge es den Aussteigern darum junge Menschen vor vergleichbaren Erfahrungen zu bewahren und ihre eigenen Taten wiedergutzumachen. Andererseits seien auch die mit ihrer Arbeit in der Prävention einhergehenden "positiven" Impulse für ihren Lebenswandel und die "dafür erhaltene Bestätigung" ebenfalls Gründe sich zu engagieren. Die Gefahr der Selbstinszenierung ist auch und insbesondere hier gegeben (S.20).
Die Beobachtung, dass Aussteiger aus der rechtsextremen oder der islamistischen Szene sich öfters als gedacht Starallüren und vorgebliche Expertise aneignen, scheint den meisten Beratungsstellen, die mit ihnen zusammenarbeiten, zumindest bewusst zu sein. Das "RAN" warnt beispielsweise in seinem Leitfaden zur Zusammenarbeit mit Aussteigern, dass der Eindruck nicht entstehen dürfe den Ausstieg für einen Karriereeinstieg oder einen Imagewechsel zu instrumentalisieren. Genauso müsse vermieden werden, dass Aussteiger mit Öffentlichkeitsdrang und Wichtigtuerei die Ziele der Extremismusprävention gefährdeten (S.6).
Die Sensibilisierung der Beratungsstellen und Initiativen der Prävention ist daher in jedem Fall notwendig, auch wenn die Handlungsfreiheiten der Aussteiger häufig sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Es gibt keine bundesweit einheitlichen Standards und Regeln in der Branche. Nicht selten wird auf Grundlage kaum objektivierbarer Bewertungskriterien entschieden, wer für Kooperationen in Frage kommt und wer nicht. Dass dabei vor allem Menschen geeignet scheinen, zu deren Charaktereigenschaften ein großes Selbstbewusstsein und darstellerische Fähigkeiten gehören, wird von einigen Beratungsstellen selbst kritisch reflektiert.
Und am Ende gilt letztlich noch die Freiheit der Berufswahl, der aber durch die Prävention immer noch mittels klarer Qualifikationsanforderungen und Projektregeln Grenzen gesetzt werden können. Es gibt nämlich einige Einzelgänger, die entweder nicht an Beratungsstellen oder Präventionsinitiativen fest gebunden sind (und damit auch im Zweifel nicht an Richtlinien und Standards) oder letzteres über die Aktivitäten ihrer „Schützlinge“ nicht ganz im Bilde sind. Dazu gehören bezahlte Nebentätigkeiten sowie politischer und medialer Aktivismus vor allem in den Sphären des öffentlich-privaten Raums, nämlich das Internet. Aufgrund den teilweise sehr persönlichen Beziehungen zwischen Präventionsakteuren und Aussteigern sowie den Vernetzungen mit anderen Initiativen wäre ein solches interaktives Monitoring nicht nur legitim, sondern angesichts der Risiken auch erforderlich. Denn der öffentliche Schaden, der durch Fahrlässigkeit oder Unprofessionalität entstehen kann, trifft alle Initiativen und Aussteiger, die sich professionell und ehrenamtlich engagieren.
Dass Beratungsstellen auch den in diesem Beitrag erwähnten Risiken und Transparenzdefiziten durchaus auch Rechnung tragen, zeigt exemplarisch das Vorzeigeprojekt „NinA NRW“, Mitglied der BAG „Ausstieg zum Einstieg e.V.“. In seinen „Qualitätsstandards“ zur Einbindung von Aussteigern setzen sich die Autoren dezidiert und auch selbstkritisch mit der Thematik auseinander und formulieren hierbei auch klare Spielregeln und Differenzierungen. Zusammengefasst:
- Zusammengearbeitet wird nur mit Menschen, die ihren Ausstiegsprozess abgeschlossen haben.
- Zusammengearbeitet wird nur mit Aussteigern, die Kompetenzen und Qualifikationen erworben haben. Dazu gehören unter anderem fachliche Kenntnisse und „pädagogisch-didaktische“ Qualifikationen.
- Das Fachpersonal trägt die alleinige Verantwortung (Begleitung/Beratung des Aussteigers/Gestaltung der Sitzungen).
- Die Freiwilligkeit der Mitarbeit an Bildungsangeboten der Aussteiger soll sichergestellt werden. Es darf keine emotionale oder finanzielle Abhängigkeit entstehen oder die Zusammenarbeit an Bedingungen geknüpft werden. Es wird eine Aufwandsentschädigung gezahlt, die jedoch keinen „gravierenden“ Anreiz darstellen soll. Genauso sollen Selbstinszenierungen verhindert werden.
- Das Fachpersonal übernimmt auch die Verantwortung die möglichen Folgen für die Aussteiger aus der Zusammenarbeit zu beobachten und im Zweifel einzugreifen. Risikofaktoren werden beispielsweise im Schwelgen positiver Erinnerungen gesehen, das Umdeuten oder die Fiktionalisierung der eigenen Biografie oder aber auch die Überbetonung des Aussteiger-Narrativs als neue Identität.
- Aussteiger werden nur in gruppenspezifischen, partizipativ angelegten und zielorientierten Bildungsangeboten miteinbezogen. Sie bleiben bei öffentlichen Veranstaltungen mit heterogenem Publikum ausgeschlossen.
- Gespräche mit Aussteigern werden moderiert und kontextuell eingebettet. Sie werden außerdem strukturiert („Einstieg-Szeneaktivität-Ausstieg“) und enden auch beim Ausstieg. So soll auch verhindert werden, dass sich die Gespräche auf Szene-Berichten, Heldengeschichten oder gar euphorischen Darstellungen konzentrieren.
- Schilderungen zu Gewalthandlungen fokussieren sich auf die Perspektiven und die Folgen der Opfer.
- Die Aussteiger werden explizit von der Aufarbeitung und Reflexion der besprochenen Themen mit den Gesprächsteilnehmern ausgeschlossen. Hier tragen die Fachkräfte die alleinige Verantwortung.
- Der Anspruch ist die nachhaltige politische Bildung, nicht eine didaktische Vermittlung von demokratischen Grundwerten und Haltungen. Es geht um Sensibilisierung und nicht um Abschreckung, Sanktion oder Beeinflussung.
Dass die Einbeziehung von Aussteigern in Bildungsangeboten eine große Herausforderung darstellt, zeigt sich auch darin, dass NinA auch nach jahrelanger Projektarbeit offen einräumt, dass ihre Qualitätsstandards von Aussteigern bislang „nur selten erfüllt“ werden konnten. Die Arbeit mit "Ausgestiegenen" stelle deshalb eine Ausnahme dar.