Die deutsche Salafisten-Szene ist durch den Syrien-Krieg erheblich geschwächt worden. Sie ist auf dem Rückzug und befindet sich noch im Anfangsstadium eines Transformationsprozesses, dessen Ausgang noch nicht absehbar ist. Ein Grund für "Entspannung" ist das jedoch nicht. Im Gegenteil: den Überblick über eine religiöse Bewegung zu behalten, die zunehmend fragmentiert, wird die Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden noch lange beschäftigen.
Mobilisierung und Polarisierung durch den syrischen Bürgerkrieg
Der syrische Bürgerkrieg hat die salafistische Szene in Deutschland in diesem Jahrzehnt maßgeblich geprägt. Seit Ende der 2000er Jahre unterhielten die regionalen und überregionalen Netzwerke überwiegend gute Verbindungen zueinander. Trotz gradueller Differenzen führten die Entwicklungen in Syrien zu einem noch engeren Zusammenrücken der islamistischen Akteure in Deutschland. Der syrische Dschihad wurde zunächst religiös und politisch legitimiert und unterstützt. Die ersten Ausreisen militanter Dschihadisten wurden allgemein hingenommen und teilweise auch gefördert. Dies lag auch an der zunehmenden Militanz einiger Gruppen, die die gemäßigten Lager propagandistisch wesentlich in den Hintergrund drängten und somit auch unter Handlungsdruck setzten.
Die Dschihad-Gruppen in Syrien wurden anfangs als homogene Einheit ("Ummah) wahrgenommen und als solche stilisiert, die sich gegen die autoritäte Regierung der priviligierten Alawiten und der sunnitischen Oberschicht zur Wehr setzten. Den islamistischen Brigaden wurde eine Beschützerrolle der vor allem armen und konservativen Sunniten beigemessen, die die Herrschaft der Baath-Partei beenden und stattdessen ein islamisches Staats- und Gesellschaftssystem errichten wollten. Die Unterstützungsleistungen der deutschen Salafisten richteten sich daher anfangs auf eine Vielzahl von dschihadistischen Rebellengruppen wie Jaish al-Muhajireen wal-Ansar, Jabhat al-Nusra oder Junud ash-Sham.
Erste Risse bekam diese Einigkeit durch die innerparteilichen Kämpfe unter den Rebellengruppen in Syrien. Gründe hierfür waren handfeste politische, geostrategische und innerorganisatorische Differenzen zwischen den Führungsleuten der einzelnen Kampfbrigaden. Vor allem Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer des "Islamischen Staates im Irak und Syrien" (ISIS), machte mit zunehmenden militärischen Erfolgen eigene Machtansprüche unter den sunnitisch-dschihadistischen Kräften in Syrien geltend. Dies führte nicht nur zum Konflikt mit den syrischen Kommandeuren, sondern auch mit der al-Qaida-Führung unter Aiman az-Zawahiri. Es kam daraufhin zu Abspaltungen und vielen Desertionen zugunsten des ISIS sowie in der Folge zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen in Nordsyrien.
2014 formulierte al-Baghdadi mit der Ausrufung des Islamischen Staates (IS) und der Selbsternennung zum Kalifen einen absoluten Herrschaftsanspruch über alle jihadistischen Kräfte. Diejenigen, die ihm nicht folgen wollten, wurden zu Abtrünnigen erklärt. Dies war nicht nur ein tiefer Einschnitt für die syrischen Rebellen, deren Stärke erheblich von ausländischen Dschihadisten und ihrer Einigheit abhing. Sondern der drohende Konflikt hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf die Diskurse in der salafistischen Szene hierzulande. Es kam zu Lagerbildungen.
Die Dschihad-Gruppen in Syrien wurden anfangs als homogene Einheit ("Ummah) wahrgenommen und als solche stilisiert, die sich gegen die autoritäte Regierung der priviligierten Alawiten und der sunnitischen Oberschicht zur Wehr setzten. Den islamistischen Brigaden wurde eine Beschützerrolle der vor allem armen und konservativen Sunniten beigemessen, die die Herrschaft der Baath-Partei beenden und stattdessen ein islamisches Staats- und Gesellschaftssystem errichten wollten. Die Unterstützungsleistungen der deutschen Salafisten richteten sich daher anfangs auf eine Vielzahl von dschihadistischen Rebellengruppen wie Jaish al-Muhajireen wal-Ansar, Jabhat al-Nusra oder Junud ash-Sham.
Erste Risse bekam diese Einigkeit durch die innerparteilichen Kämpfe unter den Rebellengruppen in Syrien. Gründe hierfür waren handfeste politische, geostrategische und innerorganisatorische Differenzen zwischen den Führungsleuten der einzelnen Kampfbrigaden. Vor allem Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer des "Islamischen Staates im Irak und Syrien" (ISIS), machte mit zunehmenden militärischen Erfolgen eigene Machtansprüche unter den sunnitisch-dschihadistischen Kräften in Syrien geltend. Dies führte nicht nur zum Konflikt mit den syrischen Kommandeuren, sondern auch mit der al-Qaida-Führung unter Aiman az-Zawahiri. Es kam daraufhin zu Abspaltungen und vielen Desertionen zugunsten des ISIS sowie in der Folge zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen in Nordsyrien.
2014 formulierte al-Baghdadi mit der Ausrufung des Islamischen Staates (IS) und der Selbsternennung zum Kalifen einen absoluten Herrschaftsanspruch über alle jihadistischen Kräfte. Diejenigen, die ihm nicht folgen wollten, wurden zu Abtrünnigen erklärt. Dies war nicht nur ein tiefer Einschnitt für die syrischen Rebellen, deren Stärke erheblich von ausländischen Dschihadisten und ihrer Einigheit abhing. Sondern der drohende Konflikt hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf die Diskurse in der salafistischen Szene hierzulande. Es kam zu Lagerbildungen.
Während die eine Seite im IS eine Chance für die Etablierung eines sunnitischen, transnationalen Kalifats sahen, lehnte das andere Lager die al-Baghdadi-Truppe aufgrund ihrer Methoden und ihrer fanatistischen Aggressivität (Takfir-Praxis) ab. Diese Ausdifferenzierung der Lager benötigte jedoch mehrere Jahre. Die Prediger, die erheblichen Einfluss auf ihre Anhängerschaft hatten, positionierten sich erst gemächlich. Der Grund für ihre Zurückhaltung lag auch darin, dass der Ausgang des Konflikts zwischen dem IS und al-Qaida noch offen blieb, sodass eine klare Positionierung kaum möglich erschien, ohne dabei einen Gesichtsverlust zu riskieren. Weiterhin transferierten vor allem die deutschen Dschihadisten in Syrien die Diskurse nach Deutschland, weil sie vor Ort in die Konflikte unmittelbar eingebunden waren und zum Teil auch gegeneinander kämpften. Das "Fußvolk" der Szene trieb also die Prediger vor sich her und war außer Kontrolle geraten.
Als deutlich wurde, dass der IS ohne Kompromisse und mit äußerster Brutalität gegen die Rebellengruppen in Syrien vorging, verschärften sich die Auseinandersetzungen in der deutschen Szene. Das ließ sich bereits an den aufkommenden Stigmata-Begriffen ablesen: Während IS-Loyalisten ihre Gegner als "Murtadeen" (Abtrünnige), "Munafiqun" (Heuchler), "Sahawat" (korrumpierte Aufständische) oder gar als "Kuffar" (Ungläubige) brandmarkten, reagierten die mehrheitlich pragmatischen, d.h. die eher mit al-Qaida sympathisierenden Salafisten mit Begriffen wie "Khawarij" (Sekte) und "Takfiri" (Übertreiber).
Hierauf mussten die Prediger reagieren, sofern sie noch ihre Autorität bewahren wollten. Die Polarisierung unter den zentralen Akteuren der Szene traf die salafistischen Gemeinden, Vereine und Gruppen daraufhin mit voller Wucht. Freundschaften endeten, Prediger distanzierten sich voneinander und es bildeten sich regionale und konkurrierenden Netzwerke (wie in Bremen, Berlin, Frankfurt/Main, Hildesheim), die sich gegenseitig zu schwächen versuchten. Die Konflikte wurden zum Teil auch öffentlich ausgetragen, wie die Fälle Jakupovic vs. Mahmoud, Sabri B. A. vs. Bilal G. und Vogel vs. Abu Walaa exemplarisch zeigen.
Die Prediger spielten sowohl als Projektionsfläche für Kritik als auch beim Aufbau einer "Widerstandsbewegung" gegen den IS eine wichtige Rolle im Kampf um die Deutungshoheit über den Syrien-Konflikt. Die Gemengelage veränderte sich anschließend derart schnell, dass sich bereits 2015 drei Diskursstränge unter den Predigern abzuzeichnen schienen:
Als deutlich wurde, dass der IS ohne Kompromisse und mit äußerster Brutalität gegen die Rebellengruppen in Syrien vorging, verschärften sich die Auseinandersetzungen in der deutschen Szene. Das ließ sich bereits an den aufkommenden Stigmata-Begriffen ablesen: Während IS-Loyalisten ihre Gegner als "Murtadeen" (Abtrünnige), "Munafiqun" (Heuchler), "Sahawat" (korrumpierte Aufständische) oder gar als "Kuffar" (Ungläubige) brandmarkten, reagierten die mehrheitlich pragmatischen, d.h. die eher mit al-Qaida sympathisierenden Salafisten mit Begriffen wie "Khawarij" (Sekte) und "Takfiri" (Übertreiber).
Hierauf mussten die Prediger reagieren, sofern sie noch ihre Autorität bewahren wollten. Die Polarisierung unter den zentralen Akteuren der Szene traf die salafistischen Gemeinden, Vereine und Gruppen daraufhin mit voller Wucht. Freundschaften endeten, Prediger distanzierten sich voneinander und es bildeten sich regionale und konkurrierenden Netzwerke (wie in Bremen, Berlin, Frankfurt/Main, Hildesheim), die sich gegenseitig zu schwächen versuchten. Die Konflikte wurden zum Teil auch öffentlich ausgetragen, wie die Fälle Jakupovic vs. Mahmoud, Sabri B. A. vs. Bilal G. und Vogel vs. Abu Walaa exemplarisch zeigen.
Die Prediger spielten sowohl als Projektionsfläche für Kritik als auch beim Aufbau einer "Widerstandsbewegung" gegen den IS eine wichtige Rolle im Kampf um die Deutungshoheit über den Syrien-Konflikt. Die Gemengelage veränderte sich anschließend derart schnell, dass sich bereits 2015 drei Diskursstränge unter den Predigern abzuzeichnen schienen:
- Das Lager der Reformer: sie plädieren für fundamentale Kursänderung in der salafistischen Lehre, Öffnung in Richtung Zivilgesellschaft und anderen Religionen, für verbale Abrüstung, alternative Lehrmethoden, und beziehen die Gegnerschaft zum IS und zu al-Qaida. Beispiele: Adhim Kamouss, Ferid Heider; beobachtbare Folgen: kämpfen mit starken Anfeindungen und Bedeutungsverlust in der Szene.
- Das Lager der Relativierer: sie beharren auf bisheriger Lehr- und Glaubenspraxis, betreiben tendenzielle Unterstützung für primär regional begrenzten Dschihad in der Tradition von al-Qaida, tendieren zu vorsichtiger verbaler Abrüstung, stehen für moderate Öffnung in Richtung Öffentlichkeit, Gegnerschaft zum IS, Terrorakte werden abgelehnt, aber relativiert. Beispiele: Pierre Vogel, Ibrahim Abou Nagie, Said el-Emrani; beobachtbare Folgen: starke Polarisierung im IS-Lager, Authoritätsverlust in Teilen der militanten Szene.
- Das Lager der konspirativen Hardliner: bewegen sich abseits des Mainstreams, aggressiv-polarisierende Glaubenslehre, unterstützen den globalen Dschihad, rekkurieren auf die Idee des Kalifats, ordnen sich dschihadistischen Lagern zu (IS, al-Qaida), instruieren und rekrutieren für den Jihad, agieren dabei konspirativ. Beispiele: Ahmad A. A. (Abu Walaa), Sven Lau, Izzudin Jakupovic.
Öffentlichkeit, Abschreckung, Angebote
Durch die vielen Ausreisen deutscher Dschihadisten nach Syrien, die Ausweitung des Operationsradius des IS nach Europa ab 2015 sowie das parallel steigende öffentliche Interesse, nahmen auch die politischen wie sicherheitsbehördlichen Repressionen zu. Ein Teil der Szene hatte sich zum Teil offen militarisiert und war auch bereit die Kämpfe aus Syrien nach Deutschland zu tragen. Die Warnungen von Verfassungsschutz und Polizeibehörden über eine "verschärfte Sicherheitslage" waren deshalb nicht substanzlos oder berufspolitischen Interessen geschuldet. Sie waren durch viele Hinweise, Geheimdienstinformationen und die Terrorangriffe in Europa hinreichend belegt. Und die Behörden konterten mit einer Strategie der Abschreckung, aber auch der Kommunikation.
Konkret sind damit sowohl selektive als auch indizierte Methoden der Kriminalprävention und der repressiven Polizeitätigkeit gemeint. Bundes- und Landespolizeien erhöhten einerseits mittels "Ansprachen" (aufsuchende Arbeit) gegenüber Einzelpersonen wie auch Vereinen den psychologischen Druck auf die Szene. Den Menschen wurde deutlich gemacht, dass sie im Fokus stehen würden. Das Ziel war sie auch in ihrem eigenen Interesse zu Verhaltensänderungen zu zwingen, bevor etwaige Sanktionsmaßnahmen in Erwägung gezogen werden mussten (z.B. aufgrund der Einbindung in bestimmte Netzwerke, geplante oder angedachte Ausreisen).
Erwähnenswert sind daneben aber auch die zivilgesellschaftliche Initiativen, die überwiegend in Kooperation mit Bund und Ländern (d.h. einschließlich der Sicherheitsbehörden) weiter ausgebaut wurden. Es geht hierbei um Präventions-, Deradikalisierungs- und Rehabilitationsangebote in Form von sozialpädagogischer, psychotherapeutischer und/oder didaktischer Beratung. Sie flankierten partiell die Konfrontation des Staates mit der Szene, um den Betroffenen letzte Alternativwege zu offerieren.
Durch die vielen Ausreisen deutscher Dschihadisten nach Syrien, die Ausweitung des Operationsradius des IS nach Europa ab 2015 sowie das parallel steigende öffentliche Interesse, nahmen auch die politischen wie sicherheitsbehördlichen Repressionen zu. Ein Teil der Szene hatte sich zum Teil offen militarisiert und war auch bereit die Kämpfe aus Syrien nach Deutschland zu tragen. Die Warnungen von Verfassungsschutz und Polizeibehörden über eine "verschärfte Sicherheitslage" waren deshalb nicht substanzlos oder berufspolitischen Interessen geschuldet. Sie waren durch viele Hinweise, Geheimdienstinformationen und die Terrorangriffe in Europa hinreichend belegt. Und die Behörden konterten mit einer Strategie der Abschreckung, aber auch der Kommunikation.
Konkret sind damit sowohl selektive als auch indizierte Methoden der Kriminalprävention und der repressiven Polizeitätigkeit gemeint. Bundes- und Landespolizeien erhöhten einerseits mittels "Ansprachen" (aufsuchende Arbeit) gegenüber Einzelpersonen wie auch Vereinen den psychologischen Druck auf die Szene. Den Menschen wurde deutlich gemacht, dass sie im Fokus stehen würden. Das Ziel war sie auch in ihrem eigenen Interesse zu Verhaltensänderungen zu zwingen, bevor etwaige Sanktionsmaßnahmen in Erwägung gezogen werden mussten (z.B. aufgrund der Einbindung in bestimmte Netzwerke, geplante oder angedachte Ausreisen).
Erwähnenswert sind daneben aber auch die zivilgesellschaftliche Initiativen, die überwiegend in Kooperation mit Bund und Ländern (d.h. einschließlich der Sicherheitsbehörden) weiter ausgebaut wurden. Es geht hierbei um Präventions-, Deradikalisierungs- und Rehabilitationsangebote in Form von sozialpädagogischer, psychotherapeutischer und/oder didaktischer Beratung. Sie flankierten partiell die Konfrontation des Staates mit der Szene, um den Betroffenen letzte Alternativwege zu offerieren.
In einigen Fällen konnte so auch eine selbstregulative - im Fachjargon: "sozialkonforme" - Verhaltensänderung der jeweiligen Betroffenen oder Kollektive erreicht bzw. erzwungen werden (z.B. durch Meldepflichten und Gespräche). Auch mit Vereinen und Moscheegemeinden versuchten Vertreter der Behörden in informellen Gesprächen und der Auslotung rechtlicher Grenzbereiche (z.B. durch die Erörterung vereinsrechtlicher und grundgesetzlicher Bestimmungen) eine kooperative wie gleichsam kontrollierende Beziehung aufzubauen.
Dennoch überwogen auch aufgrund der enormen Gefahr, die durch einzelne Netzwerke in Deutschland ausging, die repressiven Maßnahmen in Form der Strafverfolgung sowie grund- und landesgesetzlicher Verfügungskompetenzen. Es geht dabei um eine breite Pallette und Kombination von Verfahren. Einerseits wurde in den vergangenen Jahren gegen viele UnterstützerInnen von Terrorgruppen (finanziell, logistisch, propagandistisch) sowie bereits zurückgekehrte DschihadistenInnen ermittelt. Es kam zu dutzenden Anklagen und Verurteilungen.
Genauso wurde mittels Hausdurchsuchungen in etlichen Moscheegemeinden und Vereinen sowie mit Verbotsverfahren durch das Bundesinnenministerium versucht, die (militante) Szene auch strukturell zu schwächen (d.h. Finanzen, Logistik, Netzwerke). Zu den erfolgreichen Verbotsverfahren auf Bundesebene seit 2012 gehörten beispielsweise die Vereine DawaFFM, Millatu Ibrahim, Tauhid Germany, Die Wahre Religion und das daran angeschlossene Lies!-Projekt. Letzteres ist aufgrund ihrer bundesweiten Bedeutung besonders hervorzuheben. Aber auch die Innenministerien der Länder gingen verstärkt gegen Moscheegemeinden mit Verbindungen zu militanten Strukturen vor wie gegen das DIK Hildesheim, den KuF in Bremen, den Verein Fussilet 33 e.V. in Berlin, den al-Madinah Kulturverein in Kassel, das Kultur- und Bildungszentrum in Ingolstadt oder das Islamische Bildungs- und Kulturzentrum Mesdschid Sahabe e.V. in Stuttgart.
Zu einem "scharfen Schwert" der Behörden avancierte zudem auch die Anwendung des Paragrafen 58a des Aufenthaltsgesetzes (seit 2005 in Kraft), der es erlaubt, "einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr" oder einer "terroristischen Gefahr" Bürger mit ausländischer Staatsangehörigkeit in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Mehrere Bundesländer griffen bereits zu dieser Maßnahme, unter anderem Bremen, Hessen und Niedersachsen. Vor allem "Gefährder" sind davon betroffen, also Islamisten, die als gewaltätig gelten und denen Anschläge zugetraut werden.
Regionalisierung, Diffusion und Kommerzialisierung
Die Szene, wenn man überhaupt noch davon sprechen kann, befindet sich seit der militärischen Niederlage des IS in Syrien in einer tiefen Sinnkrise, die auch als Transformationsprozess gedeutet werden kann. Dafür allein ist nicht nur der Druck durch die Sicherheitsbehörden und der Öffentlichkeit verantwortlich, sondern auch die Dynamiken innerhalb der Bewegung. Und diese lassen sich auch an den heutigen Tätigkeiten ihrer religiösen und ideologischen Anführer nachvollziehen, auch wenn die Verortung der Prediger in bestimmte Milieus oder Strömungen immer schwierig ist. Wo radikale Ansichten durch "Beobachter" ausgemacht werden, handelt es sich nicht per se um die salafistische Ideologie oder die Ausrichtung, sondern auch andere Spielarten des deutschen Islamismus können dabei hineinspielen. Zudem muss die Strategie der Taqiyya (Täuschung) ebenfalls in die Bewertungen einfließen, die auch in der Salafismus-Szene als opportun gilt.
Vorweg ist festzustellen, dass es keine Predigernetzwerke mehr gibt, die über eine nennenswerte und mit Blick auf die frühen 2010er Jahre vergleichbare Mobilisierungskraft und die dafür notwendigen organisatorischen und finanziellen Kapazitäten verfügen. Das hat auch damit zu tun, dass die einflussreichsten Prediger nicht nur im Zuge der syrischen Ereignisse untereinander und mit ihren (ehemaligen) Anhängern in Konflikte gerieten, sondern in ihren Aktivitäten deutlich eingeschränkt wurden bzw. sich selbst entsprechend zu einer Umorientierung gezwungen sahen. Man kann also von einer kontextbedingten Profilschärfung oder respektive einem Profilverlust der einzelnen Prediger sprechen - mit der Konsequenz von diffusionalen Effekten im Salafismus-Spektrum.
Gleichermaßen konzentrieren sich die Prediger vermehrt auf ihre eigenen realen Wirkungsfelder, was aber nicht bedeutet, dass sie sich regional komplett fixiert hätten. Bundesweite Auftritte sind aber deutlich seltener geworden. Dafür spielt das Internet als Resonanzmedium für die Botschaften der Prediger weiterhin eine zentrale Rolle nur mit dem Unterschied, dass jeder von ihnen meist eigene Agenden verfolgt. Gemeinsam ist den meisten aber eine weiterhin zunehmende Kommerzialisierung ihrer Auftritte wie Angebote für Auslandsreisen zur Hajj nach Saudi Arabien, Koran- und Sprachschulen, gemeinsame Urlaube, der Versandhandel mit Büchern und halal-Produkten für das alltägliche Leben sowie die Beteiligung an zahlreichen Spenden- und Missionierungsvereinen und religiösen Gesellschaften.
Ob hinter den Reisen nur materielle Interessen oder auch eine konkrete Strategie zur Verlagerung konspirativer Kommunikationsräume ins Ausland stehen, kann von der Ferne nicht seriös beantwortet werden. Die Risiken sind aber bekannt. Bereits in der Vergangenheit hatten an den Prediger-Trips Salafisten mit späterer Dschihad-Biografie teilgenommen. Als Beispiel wäre Sven Lau zu nennen, den Denis Cuspert, Konrad S. und Munir I. nach Saudi Arabien bzw. Ägypten begleitet hatten.
Anpassung, Transnationalisierung und Exil
Wenn es um eine grobe Einordnung der Prediger-Landschaft geht wären diejenigen an erster Stelle zu nennen, die sich quasi "demokratischen Spielregeln" des Diskurses angepasst haben. Sie wollen sich nicht mehr mit dem Malus des Salafisten herumschlagen. Als Konsequenz ihrer Anpassung spielen sie in der Szene aber so gut wie keine Rolle mehr oder suchen stattdessen vermehrt die Nähe zu "legalistischen Spielarten" des Islamismus wie den Muslimbrüdern und Mili Görüs, wenngleich es sich hierbei um Personen handelt, die nicht nur erheblich an Einfluss eingebüßt haben, sondern deren Zuordnung zum salafistischen Spektrum längst hinterfragt wird (z.B. Ferid Heider und Adhim Kamouss). Denn ihre Tätigkeiten erstrecken sich mittlerweile auch auf Bereiche des interkulturellen und -religiösen Dialogs oder gar Kooperationen mit der Präventionsarbeit, was für die Mehrheit der Salafisten als Anbiederung gegenüber dem Establishment gewertet und kategorisch abgelehnt wird.
Weiterhin gibt es Prediger, die sich als "Exilanten" beziehungsweise aber auch als internationale Netzwerker beschreiben lassen und sich entweder ins Ausland orientiert oder sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben.
Ibrahim Abou Nagie setzte sich nach dem Verbot von "Die Wahre Religion" und infolge eines Gerichtsurteils gegen ihn wegen Sozialhilfebetrug laut Medienberichten nach Malaysia ab. Er spielt in Deutschland zumindest öffentlich gar keine Rolle mehr. Sein Kollege Brahim Belkaid alias Abu Abdullah emigrierte bereits vor Jahren nach Leicester, Großbritannien, wo er die britische Version der Lies!-Kampagne (Read!) mit aufbaute sowie Spendenorganisationen wie den Verein "Hilfe für Afrika" gründete, die in Ländern wie Togo und Somalia auch mit Geldern aus Deutschland für den Salafismus missioniert. Dabei gab es auch eine Vernetzung mit "Medizin mit Herz", die Spendenorganisation seines Bruder, die von Sicherheitsbehörden verdächtigt wurde, in Syrien Terrorgruppen begünstigt zu haben.
Weiterhin lassen sich ehemals bedeutende "Exilanten" nennen, die sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben, ohne das dies impliziert, dass sie ihre Aktivitäten komplett aufgegeben haben würden. Zu diesen können der Bonner Said El Emrani (Abu Dujana) sowie dessen Vater Sheikh Araby gezählt werden. Letzteres galt eine Zeit lang als "graue Eminenz" der politisch motivierten Salafismus-Szene, dem nicht nur sein Sohn nacheiferte. Abdellatif Rouali (Sheikh Abdellatif) verlagerte seine Aktivitäten indes überwiegend ins Internet. Auf "al-Manhaj", dem ehemaligen Medienportal von Abu Walaa, bot er nach der Festnahme des Hildesheimer eine Zeit lang Online-Seminare an. Heute veröffentlicht er überwiegend Ansprachen und Predigten über soziale Medien und treibt dabei auch seine eigenen materiellen Interessen voran. Er scheint von den prominenten Predigern den noch größten Rückhalt im explizit militanten bzw. IS-affinen Lager zu besitzen.
Doch auch das Gefängnis zwang einige Prediger notgedrungen ins Exil. Die Verhaftungen von Sven Lau (Abu Adam), Izzudin Jakupovic (Abu Sufijaan), Ahmad A. A. (Abu Walaa) sowie einiger "Hinterzimmer"-Prediger zwischen 2015 und 2016 haben der Szene deutlich zugesetzt.
Sven Lau galt einmal nach Pierre Vogel als die Nummer Zwei der Prediger-Szene. Er war beliebt und übte einen großen Einfluss auf seine Anhänger aus. Er stand im Paar-Verhältnis mit Vogel für das militante Lager und arbeitete wesentlich offener und direkter mit Gewalt evozierenden Begriffen. 2015 wurde er wegen der logistischen Unterstützung von Terrorgruppen in Syrien festgenommen und nach einer langen Untersuchungshaft zu fünfeinhalb Jahren verurteilt. Mittlerweile soll er sich zum Schock der anfangs jubelnden Anhängerzunft von der Szene abgewendet haben und an einem Deradikalisierungsprogramm in NRW teilnehmen.
Ein ähnliches Schicksal widerfuhr auch Izzudin Jakupovic. Der Prediger, der sich einst mit IS-Kämpfer Mohamed Mahmoud über die vergessene Freundschaft auf Twitter stritt, galt als Logistiker der al-Qaida in Syrien. In Deutschland begeisterte er vor allem Salafisten, die vom Balkan stammten und trat auch für die Lies!-Aktion auf. Er wurde Anfang 2017 ebenfalls wegen Unterstützung des syrischen Dschihads festgenommen und nach dem Absitzen einer Teilstrafe von Bayern nach Bosnien abgeschoben.
Ein dritten Beispiel, Abu Walaa, sitzt seit fast drei Jahren in Haft. Er galt noch lange nach Beginn der Syrien-Ausreisen als der große Unbekannte. Viele deutsche IS-Kämpfer hatten ihn auf ihren Accounts in sozialen Netzwerken empfohlen. Beobachter hatten ihn dadurch auf dem Schirm, konnten aber aufgrund der hochgradig konspirativen Vorgehensweise und der äußerst vorsichtigen Öffentlichkeitspolitik des Hildesheimer lange nicht hinter dessen Netzwerk blicken. Das änderte sich jedoch, als Abu Walaa sich so sicher fühlte, dass er sich im Streit mit Pierre Vogel aus seiner Deckung wagte. Doch das dauerte verhältnismäßig nur kurz: Der Syrien-Rückkehrer Anil O. sowie ein V-Mann, der in unmittelbarer Nähe von Abu Walaa platziert worden war, sagten gegen ihn aus.
2016 wurde er wegen seiner führenden Rolle bei der Rekrutierung späterer IS-Kämpfer mit weiteren Unterstützern festgenommen und Ende 2017 vor dem Celler Oberlandesgericht angeklagt. Seitdem läuft der Prozess gegen ihn mit bislang unabsehbaren Ende. Was durchaus angenommen werden kann: Der Iraker wird in Deutschland wohl keine Zukunft mehr haben. Wahrscheinlich ist, dass sich die Sicherheitsbehörden unabhängig vom Ausgang des Prozesses um eine Abschiebung in dessen Heimatland bemühen werden.
Zudem sollten die Inhaftierungen von Bilal G. und Sabri B. A. (Stand Mai 2019) nicht unerwähnt bleiben, die hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrades temporär mit den Predigern auf einer Ebene standen. Beide spielten einflussreiche Rollen bei der Rekrutierung und Propaganda sowie bei Management-Tätigkeiten populärer Vereine wie Lies!.
Die Festnahmen haben den verbliebenen "Agenda-Settern" ohne Zweifel zugesetzt und ihr Verhalten mithin beeinflusst. Vertrauensverhältnisse stehen häufiger in Frage, auch weil ehemalige Anhänger der Prediger sowie "V-Männer" der Behörden gegen sie vor Gericht belastende Aussagen machten bzw. aus der Szene ausgestiegen sind.
2016 wurde er wegen seiner führenden Rolle bei der Rekrutierung späterer IS-Kämpfer mit weiteren Unterstützern festgenommen und Ende 2017 vor dem Celler Oberlandesgericht angeklagt. Seitdem läuft der Prozess gegen ihn mit bislang unabsehbaren Ende. Was durchaus angenommen werden kann: Der Iraker wird in Deutschland wohl keine Zukunft mehr haben. Wahrscheinlich ist, dass sich die Sicherheitsbehörden unabhängig vom Ausgang des Prozesses um eine Abschiebung in dessen Heimatland bemühen werden.
Zudem sollten die Inhaftierungen von Bilal G. und Sabri B. A. (Stand Mai 2019) nicht unerwähnt bleiben, die hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrades temporär mit den Predigern auf einer Ebene standen. Beide spielten einflussreiche Rollen bei der Rekrutierung und Propaganda sowie bei Management-Tätigkeiten populärer Vereine wie Lies!.
Die Festnahmen haben den verbliebenen "Agenda-Settern" ohne Zweifel zugesetzt und ihr Verhalten mithin beeinflusst. Vertrauensverhältnisse stehen häufiger in Frage, auch weil ehemalige Anhänger der Prediger sowie "V-Männer" der Behörden gegen sie vor Gericht belastende Aussagen machten bzw. aus der Szene ausgestiegen sind.
Mainstream und Popkultur
Mit den "Populisten" lassen sich die Prediger nennen, die von der Krise in der Szene am wenigsten getroffen wurden. Zu diesen können Pierre Vogel, Muhammed Ciftci (Abu Anas) und Ahmad Armih (Abul Baraa) gezählt werden. Sie verfügen immer noch über eine beachtliche Anhängerschaft, die auch in anderen Milieus wie dem islamisch/islamistischen Mainstream Anschluss sucht und auch findet. Dies geht wiederum auch mit einem Bedeutungsverlust im politisch-dschihadistischen Spektrum einher, mit dem die Prediger Anfang der 2010er Jahre anbandelten. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sie sich nicht komplett von diesen abnabeln werden, gehören die Fanatiker unter den fanatisierten Massen doch zur gut zahlenden Kundschaft bei Reiseveranstaltern und Spendenvereinen.
Die "Einschläge" in Form von Verhaftungen von Personen aus dem unmittelbaren Umfeld Pierre Vogels (u.a. Gümüs, Lau, Sabri El-D.) machten aber gewiss auch ihm deutlich, dass er mit Bedacht seine weiteren Tätigkeiten und Umfelder wählen sollte. Er war zu nah dran. Nach dem Verbot der Lies!-Kampagne versuchte er noch gemeinsam mit Bilal G. einen Nachfolger zu etablieren ("We love Muhammad"), der aber nicht die Zugkraft auszuüben vermochte wie sein Vorgänger. Auch für ihn stellt das Internet daher eine weiterhin wichtige PR-Plattform dar.
Doch die politischen Themen, die Vogel dabei setzt, gelten - weil zu schrill und zu schwammig kommuniziert - nicht selten als verpönt unter Teilen der politischen Salafisten, sodass auch die meisten Berufskollegen Abstand zum Charismatiker genommen haben. Alte Konflikte wie über die Rolle des Nationalismus im Islam flammen wieder auf. Während Vogel mit Özil-Trikot und Respektbekundungen für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Stimmenfang geht, reagieren einstige Unterstützer mit Entsetzen.
Muhammed Ciftci geht ähnliche Wege und versucht zwischen gemäßigten Lagern und politischen Salafisten Brücken zu bauen. Vor geraumer Zeit hatte der Braunschweiger Netzwerker versucht, einen TV-Kanal nach dem Vorbild türkischer und indischer Fernsehprediger aufzubauen. Daraus ist zwar nichts geworden, doch mit "Eindruck TV" setzt er heute eigene Akzente in der Missionierungsarbeit im Internet. Dabei versucht er den konservativen Mainstream-Islam und salafistisch beeinflusste Lehrinhalte miteinander zu verbinden. Die Kooperation mit "Muslim Mainstream", einer auf Facebook stark frequentierten Plattform von Aktivisten, die politische Themen mittels aufwendig inszenierten Kurzspielfilmen aus "islamischer" Perspektive persifliert, passt hierbei gut ins Bild. Auch die Einbindung von unbedeutenderen, aber gleichermaßen pragmatischeren Predigern wie Marcel Krass ("Föderale Islamische Union") und Abdelilah Belatouani (Abu Rumaisa), die verstärkt Kontakte zu anderen Milieus suchen, lässt sich hierbei als Beleg führen.
Auch verstärkte Ciftci neben seinen Aktivitäten in Deutschland die Vernetzung mit Islamisten in der Türkei. Dort sitzt er in Organisationen und Vereinen mit Verbindungen zu den Muslimbrüdern und Mili Görüs vereinzelt auch in Beiräten und Vorständen. Er tritt häufig dort auf und gilt als Publikumsmagnet (v.a. in der Südtürkei).
Mit Ahmad Armih ist ein weiterer Prediger zu nennen, der früher die gleiche verhängnisvolle Push-and-Pull-Strategie wie Pierre Vogel verfolgte, sich jedoch zumindest früher zu den Konflikten klar positionierte. Gleichwohl war Armih wie Vogel ein Teil der Mehrheitspartei, die mit dem Dschihad der mit al-Qaida verbündeten Milizen in Syrien sympathisierten. Auch in seinem Umfeld kam es zu Verhaftungen und Ermittlungen. Einige seiner ehemaligen Anhänger aus dem Kreis der as-Sahaba Moschee in Berlin reisten zudem nach Syrien, auch wenn strittig bleibt, ob und welche Rolle der Prediger dabei gespielt haben könnte. Doch sein Vortrag 2014, in dem er vor dem IS explizit warnte, schlug hohe Wellen. Insider aus seinem Umfeld behaupten, einige Anhänger seien daraufhin in die Ibrahim al-Khalil Moschee ausgewichen. Armih hätte jedoch versucht bei Ausreisewilligen zu intervenieren und sie vom IS fernzuhalten.
Armihs Moschee war früher zusammen mit der al-Nur-Moschee vor allem ein Drehkreuz vieler unterschiedlicher Milieus, ob von Pilgern aus der IS-affinen Fussilet-Moschee über bekannte Gesichter aus der Berliner Unterwelt bis zu den Muslimbrüdern. Heute forciert Armih eine Rückkehr zum Pop-Islamismus, der durch eine jugendaffine Kommunikation und Sozialarbeit gekennzeichnet ist. Umso weniger verwunderlich, dass Vogel und Armih weiterhin miteinander kooperieren und gemeinsam unter anderem Event-Reisen ("Bakkah Reisen") anbieten.
Atomisierung, Rückzug und Konspiration
Wie die Prediger driftet die Szene insgesamt auseinander. Von einer Atomisierung kann gesprochen werden, d.h. die Salafisten verlagern ihre Kommunikationsräume und Handlungsfelder vermehrt in exklusive Strukturen (Hinterhof-Moscheen, private Räume, Online-Netzwerke, Ausland). Der Einfluss der Prediger ist mittlerweile begrenzt, denn "einem Sheikh blind zu folgen" könne gefährlich werden, so die Lesart.
Viele Salafisten haben sich schon seit geraumer Zeit voneinander entfremdet. Für sie gelten die meisten Prediger und ihre Anhänger entweder als zu angepasst oder als Verantwortliche für die Schwächung der Szene. Durch den öffentlichen Druck fühlen sie sich zunehmend in ihrer freien Glaubenspraxis bedroht. Auch die Auswahl von Moscheen und Gruppen, die einst gegründet worden waren, um sich von nationalistischen oder staatlich kompromitierten Moscheen abzugrenzen (z.B. Ditib), hat sich für sie verringert. Umstrittene Gemeinden wurden nicht nur geschlossen, sondern auch die anderen Moscheen haben aus Angst vor Kritik die Kontakte zu den Salafisten auf Eis gelegt.
Die explizit politischen und gewaltbereiten Salafisten zieht es aber aus anderen Gründen ins Exil. Große Gemeinden und einschlägig bekannte Treffpunkte, die unter Beobachtung stehen könnten, sollen gemieden werden. Stattdessen sollen kleine Zirkel und Netzwerke Gegenmittel für Gefahren sein, die in V-Männern, Ermittlern und potenziellen "Verrätern" ausgemacht werden. Die Gemeinschaften sollen kleiner, konspirativer und persönlicher werden.
Während die Vorteile von professionell geführten Organisationen wie "Lies!" in der offenen Anwerbung und Integration zahlreicher neuer Anhänger gelegen hatten, dafür aber auch in der Öffentlichkeit standen, geht der Rückzug ins Private nun mit einem erheblich geschwächten Mobilisierungspotenzial der Salafisten einher. Doch die Lage ist ernst, wie es aus zahlreichen Wortmeldungen in sozialen Medien zu entnehmen ist. Sicherheit, die Stärkung von Vertrauensverhältnissen und die Einhaltung von Loyalitäten dominieren derzeit die Interessen der politischen und militanten Lager.
Bernhard Falk, der eloquente und unberechenbare Paradiesvogel der Szene, beschrieb die ausgerufene Strategie in einem Beitrag im Juni dieses Jahres:
Viele Salafisten haben sich schon seit geraumer Zeit voneinander entfremdet. Für sie gelten die meisten Prediger und ihre Anhänger entweder als zu angepasst oder als Verantwortliche für die Schwächung der Szene. Durch den öffentlichen Druck fühlen sie sich zunehmend in ihrer freien Glaubenspraxis bedroht. Auch die Auswahl von Moscheen und Gruppen, die einst gegründet worden waren, um sich von nationalistischen oder staatlich kompromitierten Moscheen abzugrenzen (z.B. Ditib), hat sich für sie verringert. Umstrittene Gemeinden wurden nicht nur geschlossen, sondern auch die anderen Moscheen haben aus Angst vor Kritik die Kontakte zu den Salafisten auf Eis gelegt.
Die explizit politischen und gewaltbereiten Salafisten zieht es aber aus anderen Gründen ins Exil. Große Gemeinden und einschlägig bekannte Treffpunkte, die unter Beobachtung stehen könnten, sollen gemieden werden. Stattdessen sollen kleine Zirkel und Netzwerke Gegenmittel für Gefahren sein, die in V-Männern, Ermittlern und potenziellen "Verrätern" ausgemacht werden. Die Gemeinschaften sollen kleiner, konspirativer und persönlicher werden.
Während die Vorteile von professionell geführten Organisationen wie "Lies!" in der offenen Anwerbung und Integration zahlreicher neuer Anhänger gelegen hatten, dafür aber auch in der Öffentlichkeit standen, geht der Rückzug ins Private nun mit einem erheblich geschwächten Mobilisierungspotenzial der Salafisten einher. Doch die Lage ist ernst, wie es aus zahlreichen Wortmeldungen in sozialen Medien zu entnehmen ist. Sicherheit, die Stärkung von Vertrauensverhältnissen und die Einhaltung von Loyalitäten dominieren derzeit die Interessen der politischen und militanten Lager.
Bernhard Falk, der eloquente und unberechenbare Paradiesvogel der Szene, beschrieb die ausgerufene Strategie in einem Beitrag im Juni dieses Jahres:
"Baut vertrauenswürdige Strukturen auf, die Stabilität und Solidarität gewährleisten!!! Pflegt eure Kontakte nicht nur über die "sozialen" Medien, sondern lernt euch im vertrauensvollen 4-Augen-Gespräch persönlich kennen und schätzen!!! Nutzt für eure sicheren Treffen besonders die kleinen Provinzstädte, wo man euch nicht erwartet. Erkennt, wenn man euch zu bespitzeln und auszuspionieren versucht! Sprecht untereinander über eure Sorgen und Ängste - und spielt nicht etwas, was ihr nicht seid!!!"
Falk ist auch derjenige, der derzeit gegen den Niedergang der Szene am lautesten und aktivsten anzukämpfen versucht. Der ehemalige Linksterrorist folgt damit quasi den traditionellen Werten des linken Internationalismus. Doch im Fall der deutschen Salafisten sind die Gegner keine Diktatoren oder Konzernchefs, sondern die Polizei und Geheimdienste, die in den letzten Jahren einige "edle Ritter" der Szene als Kronzeugen gewinnen konnten, was etliche Strafverfahren zur Folge hatte. Und hierdurch trat die eigentliche Schwachstelle der Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre offen zu Tage, mit denen auch andere stark wachsende Bewegungen zu kämpfen haben: Die Salafisten-Szene wurde zu groß, sodass sie nicht mehr zu überblicken oder zu steuern war und dadurch fragmentierte.
Auch die konspirativen Hardliner verloren ihre Deckung, denn ihr Umfeld wurde nach außen hin durchlässig und zudem innen chaotisch und unkontrollierbar. Sie selbst provozierten aber auch den Ausbruch aus den sicheren Hinterzimmern und damit die Aufmerksamkeit der Behörden, indem sie Konflikte in die Öffentlichkeit trugen, was zuvor in dieser Form noch als undenkbar galt. Der Syrien-Krieg hat auch hier für etliche Tabu-Brüche gesorgt. Im Vergleich dazu haben ethnisch homogene bzw. familiäre Zusammenschlüsse und "Clans" (z.b. Tschetschenen) mit solchen Problemen deutlich weniger zu kämpfen. An ihnen scheitern oft auch Ermittler, sodass sie in der Szene einen außerordentlich guten Ruf besitzen. Denn hier verhindern Produkte der Sozialisation wie Loyalität, Ehre, Verwandtschaft und die massive Sanktionslogik durch das Umfeld meistens ein Ausscheren ihrer Mitglieder.
Den Image-Schaden versuchen die Salafisten nun vor allem mit Appellen an die Einigkeit der Anhänger zu kaschieren. "Solidarität" ist dabei das Schlüsselwort in Bezug auf altbekannte Opfernarrative, ohne die die Szene gar nicht existieren könnte und die im Fall Syrien auch bei den eher unpolitischen bzw. nationalistischen Islamisten anschlussfähig war. Und Solidarität zielt auch auf die Versöhnung untereinander ab.
Bernhard Falk steht dabei neben den vielen "Gefangenenhelfern", die im Internet Spenden für verurteilte oder inhaftierte IslamistenInnen aquirieren, an der Spitze dieser mediierenden Bewegung. Für ihn, der früher von IS-Kämpfern heftig angegriffen und auch mit Morddrohungen überzogen wurde, steht heute die Hilfe für alle "politischen Gefangenen der BRD" sowie der inhaftierten Militanten im Ausland im Vordergrund. Er nimmt an Gerichtsprozessen teil, unterhält Kontakte zu bekannten Szene-Anwälten, die er auch an RückkererInnen vermittelt und berät sogar Eltern und Familien. In seinen Beiträgen im Internet zollt Falk denjenigen Respekt, die gegenüber Ermittlern und Gerichten schweigen - und agitiert gegen diejenigen, die die ungeschriebene Omerta der Szene gebrochen haben.
So sollen zumindest über die Lager hinweg die traditionellen Konfliktlinien der Salafisten wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Dazu gehört nicht nur die Abgrenzung zum deutschen Staat ("Taghut"), sondern auch zu anderen Islamisten wie den Muslimbrüdern (siehe Debatten um den Tod des ehem. ägyptischen Präsidenten Mursi) und der AKP. Der Strategiewechsel war bereits schon vor Jahren in Ansätzen erkennbar. Nämlich, dass Teile der militanten Szene versuchen könnten nach den vermeintlich irreperablen Brüchen in Zukunft wieder enger zusammenzurücken. Bereits die deutschen Dschihadisten in Syrien machten einen Anfang, als sie flüchtenden Landsleuten aus den IS-Gebieten ein Obdach in Idlib gewährten. Und sie versuchen auch heute mithilfe von Spendenaufrufen für inhaftierte IS-Leute wieder Nähe zu ihnen herzustellen.
Eine Frage der Perspektive
Dass RückkehrerInnen aus Syrien in der militanten Szene neue Akzente setzen könnten, haben bereits Beispiele aus der Vergangenheit gezeigt. Die Szene versucht mit hohem Aufwand sie für sich wieder zu vereinnahmen, sowohl in den Gefängnissen als auch draußen. Dschihad-VeteranenInnen, wenn sie denn weiterhin aktiv waren, übernahmen bislang Führungsrollen in Bereichen der Propaganda, der Spendenaquise bzw. der "Gefangenenhilfe". Und die Fakten scheinen dafür zu sprechen, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen könnte. Sowohl das Bundeskriminalamt (BKA) als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellten in Analysen fest, dass "in fast allen Fällen" der bislang beobachteten RückkehrerInnen ein Wiedereinstieg in die Szene erfolgt sei und zwar in das gleiche Umfeld, in dem sie sich vor ihrer Ausreise bewegt hatten.
Ob die Behörden eine Renaissance bundesweiter Strukturen auch mit Hilfe der RückkehrerInnen dulden werden, ist jedoch fraglich. Es bedarf aber zusätzlich neuer Impulse wie beispielsweise ein neuer konfessionell aufgelader Krieg, Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Gruppen oder eine engere Kooperation zwischen den Akteuren, um eine ernstzunehmende Dynamik in Gang zu setzen. Noch ist die (militante) Szene in der Findungsphase. Gleichermaßen stellt die Rückkehr der Salafisten zu alten Verhaltensstrategien die Behörden vor Herausforderungen, weil die Strukturen nicht mehr so leicht zu durchdringen sein werden wie vor 10 Jahren. Doch wie der Leiter der Staatsschutzabteilung im Polizeipräsidium Frankfurt, Wolfgang Trusheim, in einem Interview mit der "hessenschau" entgegnete, seien die Behörden darauf vorbereitet:
"Es ist auch für die Gegenseite schwieriger geworden. Sie müssen sich ja irgendwo finden und treffen. Es ist schwieriger andere Personen gezielt zu treffen, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Polizei schon dort ist."
Auch für die Deradikalisierungsarbeit, der Gegenentwurf bzw. die Ergänzung zur polizeilichen Repression, ist die große Zahl von RückkehrerInnen, die laut offiziellen Angaben wieder in die Szene eintauchen, eine Herausforderung. Sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft. Denn es handelt sich bei ihnen um die eigentlich wichtigste Zielgruppe der Deradikalisierung. Und die bisherigen Zahlen zu RückkehrerInnen beziehen sich auf diejenigen, die bereits schon in Deutschland sind, denen also Beratungsstellen theoretisch zugänglich gewesen wären. Das scheint aber in relevanter Zahl nicht wirklich passiert zu sein. Zumindest gibt es hierzu keine Daten, auch nicht wenigstens zu denjenigen, die derzeit an Programmen teilnehmen.
Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle "Hayat", widerspricht diesem Eindruck gegenüber dem Blog. Die Zahlen der Sicherheitsbehörden seien kontextuell unzureichend beleuchtet. Die RückkehrerInnen, die schon lange in Deutschland lebten, hätten überwiegend nur einige Monate beim IS oder anderen Gruppen verbracht. Sie hätten nirgendwo Beachtung gefunden. "Um die hat sich so gut wie keiner gekümmert", so Dantschke. Es habe nur wenige Ausnahmen gegeben: wenn sich Angehörige gemeldet hätten oder die Betroffenen durch Behörden "bespielt" worden seien.
Die Frage nach den Erfolgsaussichten der Deradikalisierung stellt sich umso mehr in Bezug auf die in Syrien noch inhaftierten Menschen. Das Bewertungskriterium des "Gefährdungspotenzials" dominiert hier den Sicherheitsdiskurs in besonderem Maße, weil es sich um viele Jihadisten des IS handelt, die bis zum Zusammenbruch ihrer Organisation, also jahrelang, im Land verweilten. Gerade jetzt, da vor allem die freien Träger der Deradikalisierungarbeit auch auf medialen Kanälen - aus rechtlicher und moralischer Sicht nicht unberechtigt - auf die Rückführung der deutschen Inhaftierten und ihrer Kinder drängen, und die staatlichen Partner - aufgrund von Sicherheitsbedenken ebenfalls nicht unberechtigt - diesen Forderungen teilweise skeptisch gegenüber stehen, könnte das zu Spannungen führen.
Denn die Hoffnung der Beratungsstellen auf eine schnelle Rückkehr, um mit den Betroffenen umgehend arbeiten zu können, erhebt auch wenigstens einen minimalen Anspruch auf Erfolg, der auf Grundlage der bisherigen Zahlen nicht wirklich untermauerbar scheint. "Wir sprechen hier über eine ganz andere Situation", gibt Claudia Dantschke zu Bedenken. Diejenigen, deren Rückkehr noch bevorstehe, hätten viel erlebt. Sie seien zum Teil auch traumatisiert und desillusioniert. Zahlen oder Belege, die diesen Eindruck stützen könnten, gebe es allerdings keine, schränkt sie ein. Wohl auch deswegen, weil die Motive der Betroffenen sehr unterschiedlich sind und niemand in die Köpfe der Leute schauen kann. Ob Traumata etc. als Kausalfaktoren für die Bereitschaft der RückkehrerInnen interpretiert werden können, sich und ihren Lebensweg zu hinterfragen, ist zumindest diskutabel. Andererseits kann aber angenommen werden, dass die schwierigen Haftbedingungen in Syrien für die Deradikalisierung sowohl "günstige" (Distanzierungsprozesse durch Abschreckung) wie "negative" (Opferstilisierung, Hass- und Rachegefühle) Reaktionen hervorrufen könnten.
Die Freiwilligkeit der Betroffenen ist aber eine entscheidende Voraussetzung für eine wirksame Deradikalisierung. Niemand kann einem fanatisierten Menschen mit eigenem Willen quasi durch das Gespräch eine neue Lebenseinstellung überstülpen. Viele wehren sich gegen solche Versuche. Das ist den Praktikern auch klar. Die Deradikalisierungsarbeit verläuft daher in der Regel vor allem über das Umfeld der Betroffenen, weil Eltern, Geschwister, Freunde etc. möglicherweise noch Einfluss auf sie auszuüben vermögen. Doch auch hier grätschen immer wieder die Salafisten hinein und versuchen das nicht selten schwierige Verhältnis zwischen den RückkehrerInnen und ihrem Umfeld zu verkomplizieren.
Zwischen Skeptikern und Befürwortern der Deradikalisierungsarbeit müsste in diesem Kontext vielleicht auch zukünftig geklärt werden, ob die Erfolgskategorien in Form der Ziele "expliziter relativiert" werden sollten. Der Faktor Zeit scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Hier müsste ebenso zwischen den Akteuren geklärt werden, inwiefern das stets aktuelle Ziel von Sicherheit mit der zeitlich nicht eingrenzbaren Deradikalisierung miteinander zu vereinbaren ist. Auch Claudia Dantschke weist hierauf hin: "Es wird sich zeigen, wenn die Inhaftierten zurückgekehrt sind, ob eine Aussage dazu getroffen werden kann."
Ohne Zweifel wird es dabei aber auch auf die Transparenz (für Evaluationen) aller Beteiligten ankommen (u.a. Politik, Sicherheitsbehörden, Ministerialbürokratie, Deradikalisierungsstellen und Wissenschaft), die gleichermaßen als Interessenvertreter innerhalb der Sicherheitsarchitektur wahrgenommen werden müssen.
Den Wandel der Salafismus-Szene werden demnach auch in Zukunft Debatten über die Strategien gegen den (militanten) Islamismus begleiten.
So sollen zumindest über die Lager hinweg die traditionellen Konfliktlinien der Salafisten wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Dazu gehört nicht nur die Abgrenzung zum deutschen Staat ("Taghut"), sondern auch zu anderen Islamisten wie den Muslimbrüdern (siehe Debatten um den Tod des ehem. ägyptischen Präsidenten Mursi) und der AKP. Der Strategiewechsel war bereits schon vor Jahren in Ansätzen erkennbar. Nämlich, dass Teile der militanten Szene versuchen könnten nach den vermeintlich irreperablen Brüchen in Zukunft wieder enger zusammenzurücken. Bereits die deutschen Dschihadisten in Syrien machten einen Anfang, als sie flüchtenden Landsleuten aus den IS-Gebieten ein Obdach in Idlib gewährten. Und sie versuchen auch heute mithilfe von Spendenaufrufen für inhaftierte IS-Leute wieder Nähe zu ihnen herzustellen.
Eine Frage der Perspektive
Dass RückkehrerInnen aus Syrien in der militanten Szene neue Akzente setzen könnten, haben bereits Beispiele aus der Vergangenheit gezeigt. Die Szene versucht mit hohem Aufwand sie für sich wieder zu vereinnahmen, sowohl in den Gefängnissen als auch draußen. Dschihad-VeteranenInnen, wenn sie denn weiterhin aktiv waren, übernahmen bislang Führungsrollen in Bereichen der Propaganda, der Spendenaquise bzw. der "Gefangenenhilfe". Und die Fakten scheinen dafür zu sprechen, dass sich diese Entwicklung weiter fortsetzen könnte. Sowohl das Bundeskriminalamt (BKA) als auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellten in Analysen fest, dass "in fast allen Fällen" der bislang beobachteten RückkehrerInnen ein Wiedereinstieg in die Szene erfolgt sei und zwar in das gleiche Umfeld, in dem sie sich vor ihrer Ausreise bewegt hatten.
Ob die Behörden eine Renaissance bundesweiter Strukturen auch mit Hilfe der RückkehrerInnen dulden werden, ist jedoch fraglich. Es bedarf aber zusätzlich neuer Impulse wie beispielsweise ein neuer konfessionell aufgelader Krieg, Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Gruppen oder eine engere Kooperation zwischen den Akteuren, um eine ernstzunehmende Dynamik in Gang zu setzen. Noch ist die (militante) Szene in der Findungsphase. Gleichermaßen stellt die Rückkehr der Salafisten zu alten Verhaltensstrategien die Behörden vor Herausforderungen, weil die Strukturen nicht mehr so leicht zu durchdringen sein werden wie vor 10 Jahren. Doch wie der Leiter der Staatsschutzabteilung im Polizeipräsidium Frankfurt, Wolfgang Trusheim, in einem Interview mit der "hessenschau" entgegnete, seien die Behörden darauf vorbereitet:
"Es ist auch für die Gegenseite schwieriger geworden. Sie müssen sich ja irgendwo finden und treffen. Es ist schwieriger andere Personen gezielt zu treffen, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Polizei schon dort ist."
Auch für die Deradikalisierungsarbeit, der Gegenentwurf bzw. die Ergänzung zur polizeilichen Repression, ist die große Zahl von RückkehrerInnen, die laut offiziellen Angaben wieder in die Szene eintauchen, eine Herausforderung. Sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft. Denn es handelt sich bei ihnen um die eigentlich wichtigste Zielgruppe der Deradikalisierung. Und die bisherigen Zahlen zu RückkehrerInnen beziehen sich auf diejenigen, die bereits schon in Deutschland sind, denen also Beratungsstellen theoretisch zugänglich gewesen wären. Das scheint aber in relevanter Zahl nicht wirklich passiert zu sein. Zumindest gibt es hierzu keine Daten, auch nicht wenigstens zu denjenigen, die derzeit an Programmen teilnehmen.
Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungsstelle "Hayat", widerspricht diesem Eindruck gegenüber dem Blog. Die Zahlen der Sicherheitsbehörden seien kontextuell unzureichend beleuchtet. Die RückkehrerInnen, die schon lange in Deutschland lebten, hätten überwiegend nur einige Monate beim IS oder anderen Gruppen verbracht. Sie hätten nirgendwo Beachtung gefunden. "Um die hat sich so gut wie keiner gekümmert", so Dantschke. Es habe nur wenige Ausnahmen gegeben: wenn sich Angehörige gemeldet hätten oder die Betroffenen durch Behörden "bespielt" worden seien.
Die Frage nach den Erfolgsaussichten der Deradikalisierung stellt sich umso mehr in Bezug auf die in Syrien noch inhaftierten Menschen. Das Bewertungskriterium des "Gefährdungspotenzials" dominiert hier den Sicherheitsdiskurs in besonderem Maße, weil es sich um viele Jihadisten des IS handelt, die bis zum Zusammenbruch ihrer Organisation, also jahrelang, im Land verweilten. Gerade jetzt, da vor allem die freien Träger der Deradikalisierungarbeit auch auf medialen Kanälen - aus rechtlicher und moralischer Sicht nicht unberechtigt - auf die Rückführung der deutschen Inhaftierten und ihrer Kinder drängen, und die staatlichen Partner - aufgrund von Sicherheitsbedenken ebenfalls nicht unberechtigt - diesen Forderungen teilweise skeptisch gegenüber stehen, könnte das zu Spannungen führen.
Denn die Hoffnung der Beratungsstellen auf eine schnelle Rückkehr, um mit den Betroffenen umgehend arbeiten zu können, erhebt auch wenigstens einen minimalen Anspruch auf Erfolg, der auf Grundlage der bisherigen Zahlen nicht wirklich untermauerbar scheint. "Wir sprechen hier über eine ganz andere Situation", gibt Claudia Dantschke zu Bedenken. Diejenigen, deren Rückkehr noch bevorstehe, hätten viel erlebt. Sie seien zum Teil auch traumatisiert und desillusioniert. Zahlen oder Belege, die diesen Eindruck stützen könnten, gebe es allerdings keine, schränkt sie ein. Wohl auch deswegen, weil die Motive der Betroffenen sehr unterschiedlich sind und niemand in die Köpfe der Leute schauen kann. Ob Traumata etc. als Kausalfaktoren für die Bereitschaft der RückkehrerInnen interpretiert werden können, sich und ihren Lebensweg zu hinterfragen, ist zumindest diskutabel. Andererseits kann aber angenommen werden, dass die schwierigen Haftbedingungen in Syrien für die Deradikalisierung sowohl "günstige" (Distanzierungsprozesse durch Abschreckung) wie "negative" (Opferstilisierung, Hass- und Rachegefühle) Reaktionen hervorrufen könnten.
Die Freiwilligkeit der Betroffenen ist aber eine entscheidende Voraussetzung für eine wirksame Deradikalisierung. Niemand kann einem fanatisierten Menschen mit eigenem Willen quasi durch das Gespräch eine neue Lebenseinstellung überstülpen. Viele wehren sich gegen solche Versuche. Das ist den Praktikern auch klar. Die Deradikalisierungsarbeit verläuft daher in der Regel vor allem über das Umfeld der Betroffenen, weil Eltern, Geschwister, Freunde etc. möglicherweise noch Einfluss auf sie auszuüben vermögen. Doch auch hier grätschen immer wieder die Salafisten hinein und versuchen das nicht selten schwierige Verhältnis zwischen den RückkehrerInnen und ihrem Umfeld zu verkomplizieren.
Zwischen Skeptikern und Befürwortern der Deradikalisierungsarbeit müsste in diesem Kontext vielleicht auch zukünftig geklärt werden, ob die Erfolgskategorien in Form der Ziele "expliziter relativiert" werden sollten. Der Faktor Zeit scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Hier müsste ebenso zwischen den Akteuren geklärt werden, inwiefern das stets aktuelle Ziel von Sicherheit mit der zeitlich nicht eingrenzbaren Deradikalisierung miteinander zu vereinbaren ist. Auch Claudia Dantschke weist hierauf hin: "Es wird sich zeigen, wenn die Inhaftierten zurückgekehrt sind, ob eine Aussage dazu getroffen werden kann."
Ohne Zweifel wird es dabei aber auch auf die Transparenz (für Evaluationen) aller Beteiligten ankommen (u.a. Politik, Sicherheitsbehörden, Ministerialbürokratie, Deradikalisierungsstellen und Wissenschaft), die gleichermaßen als Interessenvertreter innerhalb der Sicherheitsarchitektur wahrgenommen werden müssen.
Den Wandel der Salafismus-Szene werden demnach auch in Zukunft Debatten über die Strategien gegen den (militanten) Islamismus begleiten.