Kybernetiq: "Provokation ein gutes Mittel, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen"




















Das Magazin "Kybernetiq" gilt als wohl ungewöhnlichstes Exemplar dschihadistischer Propaganda in deutscher Sprache. Die Formulierungen, das Design und die Themen, die von den Autoren besprochen werden, docken teilweise gezielt an die Arbeit etablierter Fachzeitschriften in Deutschland an. Trotzdem sind die Ziele von "Kybernetiq" unmissverständlich: Islamisten sollen lernen, wie sie sich der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden enziehen können.


"Gesetze, die deine Kreativität eingrenzen" 

Seit zwei Jahren beschäftigen sich deutsche Sicherheitsbehörden und Beobachter mit dem Dschihad-Magazin "Kybernetiq". Sie nehmen die Angelegenheit ernst. Denn das Heft versucht gezielt in einem Bereich für Aufklärung zu sorgen, der für die polizeiliche Ermittlungsarbeit im Kampf gegen den Terrorismus als unverzichtbar gilt: Das Internet. Mit seinem Schwerpunkt in "der Kunst des Steuerns" im Bereich der Informatik belegt Kybernetiq einen in seiner Qualität neuen Platz im Spektrum der deutschsprachigen Propaganda. Damit knüpfen die Autoren an die Vordenker des Dschihads an, wie Abdullah Azzam, dem das Zitat "Die Hälfte des Dschihads findet medial statt" zugeschrieben wird. Das schließt auch die neuen Medien und der strategische Umgang damit ein. 

Nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs revolutionierten Extremistengruppen von al-Qaida und "Islamischer Staat" (IS) mithilfe dem Know How ihrer internationalen Anhänger den Bereich der Propaganda. Und zwar in einer solchen Geschwindigkeit, dass Ermittler, Wissenschaftler und Medien nur mühsam mit ihnen Schritt halten konnten. Denn die Menschen, die heute Propaganda für die Dschihad-Gruppen produzieren und veröffentlichen, sind wiederum das Produkt der westlichen Wissens-und Konsumgesellschaft. "Die Erfahrung haben wir natürlich aus den Ursprungsländern mitgebracht, aber auch hier (in Syrien) lernt man in der Praxis eine Menge dazu. Dazu gibt es keine menschengemachten Gesetze, die deine Kreativität eingrenzen wie das Telekommunikationsgesetz oder die Bundesnetzagentur", berichtet ein Autor von "Kybernetiq".

Heutige Dschihadisten wuchsen also bereits im Zeitalter der Digitalisierung auf. Angesichts technologischer Innovationen und Entwicklungen wie "Apps", "Tor" und "PGP" und der politischen Brisanz in Bezug auf Datenschutz und Anonymität im Internet, sind sie besonders sensibilisiert als ältere Generationen. 

Bislang hat das "Kybernetiq", hinter dem deutschsprachige Dschihadisten in Syrien vermutet werden, seit 2015 zwei Ausgaben veröffentlicht. Für eine in diesen Zeiten eigentlich emsig arbeitende Propaganda ist das ein eher bescheidenes Ergebnis. Doch es scheint zur Strategie der Autoren zu gehören selten, aber umso mehr von sich Reden zu machen, auch wenn "Kybernetiq" gegenüber dem Blog von einer "freien" Autorenschaft spricht, die "privat" und "nebenbei" an dem Magazin mitwirken würde. Die Resonanz auf die ersten beiden Ausgaben zeigt, wie die Mischung aus Anonymität, Cybercrime-Mentalität, Provokation und Informatik-Sprache als Stilmittel der Propaganda bislang angekommen ist. 

Weltweit berichteten Medien über "Kybernetiq". Sie wirkten angesichts der relativen Sachlichkeit und verspielten Sprache aber genauso irritiert, wie wohl die Zielgruppe selbst, an die sich das Magazin richtet. "Im Grunde ist es für alle Muslime. Darum bemühen wir uns die Artikel so verständlich wie möglich zu schreiben, damit auch wenig Technik versierte LeserInnen [sic!] den Inhalt und deren Wichtigkeit verstehen", so das Magazin zum Blog. Es ginge um "Aufklärungsarbeit" für Muslime, um ihnen Sicherheit zu verschaffen. 

"Physikalisch isolierte Umgebung"

Wahrscheinlicher wenden sich die Macher aber an das Kernmilieu islamistischer und auch gewaltbeweiter Dschihad-Sympathisanten. Vielmehr hat Kybernetiq aber das Potenzial neben der eigentlichen Zielgruppe auch diejenigen mit Informatik-Themen anzusprechen, die bislang nichts oder nur wenig mit diesem Milieu zu tun hatten und sich auf Grundlage des Magazins die Ressourcen schaffen können, unentdeckt mit solchen Netzwerken zu interagieren. Dass "Kybernetiq" nicht harmlos ist, beweisen die "Gastbeiträge" im Magazin "al-Risalah", dass dem Umfeld der syrischen al-Qaida zugeordnet wird, in dem unmissverständlich zum bewaffneten Dschihad aufgerufen wird und den Westen als Ziel miteinschließt.

"Es sind lediglich hin und wieder mal Beiträge von uns drin. Wir wurden von den Autoren gebeten ihre technischen Artikel zu reviewen", erklärt "Kybernetiq" diese Verbindung auf Nachfrage. "al-Risalah" habe sich entschieden die Beiträge der Deutschen direkt zu übernehmen. Es gebe keine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Ablegern. Wahrscheinlich ist dennoch, dass zumindest einzelne Autoren von "Kybernetiq" zu einem Netzwerk in Syrien gehören, die für die Produktion verschiedener Propaganda-Medien verantwortlich sind.

Und wie arbeitet die "Redaktion" von "Kybernetiq"? Dazu gab es bislang nur Vermutungen. Auf Nachfrage teilt das Magazin mit, man produziere die Beiträge auf Basis eines komplexen Sicherheitssystems. Man verwende unterschiedliche Computer, die "in virtuellen Windows-Maschinen bzw. in einer physikalisch isolierten Umgebung (Air-Gap)" eingebunden seien, ähnlich wie bei staatlichen Geheimdiensten und militärischen Datenzentren. Sie nutzten bei der Bearbeitung ihrer Beiträge aber ganz herkömmliche Bildbearbeitungsprogramme wie "Adobe Photoshop".

"Operation: OpenAleppo"

 Nun kündigt "Kybernetiq" gegenüber dem Blog also eine dritte Ausgabe an. Man wolle darin auf Hackerangriffe eingehen, "die gegen uns oder andere Geschwister gerichtet" gewesen seien, darunter "Amateur Phishing Versuche", "verzweifelte" Angriffe auf das eigene "Hidden-Services" sowie professionellere Spyware-Angriffe aus China. Das vorläufige Titelblatt gibt zudem Themen an, die auf eigene Aktionen der Gruppe schließen lassen. "Operation: OpenAleppo", so berichtet es "Kybernetiq" gegenüber "Erasmus Monitor", solle zeigen, wie die Gruppe versucht habe, den drohenden Ausfall des Internets in der syrischen Großstadt Aleppo abzuwenden, als Truppen von Präsident Bashar al-Assad die letzten von Rebellen gehaltenen Stadtgebiete erobert hatten. Falls zutreffend, würde "Kybernetiq" damit eine Rolle von Cyber-Dschihadisten für sich beanspruchen, die in Kämpfe am Boden digital aktiv eingegriffen hätte.

Aber auch die Provokation, wie die grafische Anspielung auf die Bundeswehr-Werbekampagne in der zweiten Ausgabe zeigte, soll wieder nicht zu kurz kommen, "um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen". Die Medien, so feixt das Magazin, hätten sich bei der letzten Ausgabe weniger mit dem Inhalt  auseinandergesetzt, sondern sie seien auf das "Die-Bundeswehr-wurde-infiltriert-durch-Islamisten"-Boot aufgesprungen. Auf dem neuen Titelbild prangt eine Handgranate, zusammengebaut aus einer Computertastatur. Kein Zweifel also, dass "Kybernetiq" auch mit dieser Veröffentlichung für neuen Gesprächsstoff sorgen möchte.