Wege in den Dschihad: Todenhöfer traf deutschen IS-Kämpfer Christian E.

Der deutsche Publizist und ehemalige CDU-Abgeordnete Jürgen Todenhöfer sorgte in den vergangenen Tagen für weltweite Schlagzeilen. Internationale Medien berichteten über die zehntägige Reise des 74-Jährigen zum Islamischen Staat (IS/ISIS). Todenhöfer, der für ein neues Buch recherchiert, wollte sich durch Gespräche mit IS-Anhängern ein eigenes Bild von der  Terrororganisation machen.

In Mosul traf Jürgen Todenhöfer einen Deutschen, der mittlerweile in der Armee der selbsternannten Gotteskrieger eine hohe Stellung eingenommen haben könnte. Im Gespräch offenbarte der Deutsche die auf Vernichtung ausgerichtete IS-Ideologie: Man werde mit der Waffe nach Europa kommen. Es sei nur eine Frage des "wann", und nicht des "ob" oder "wie". Jeder, der sich nicht zum Islam bekehren ließe, werde getötet. "Dies können 150, 200 oder 500 Millionen Menschen sein, ganz egal!" Auch sei das Halten von Sklaven und das Enthaupten von Menschen legitime Praktiken im Islam.

Englischen und deutschen Quellen zufolge handelt es sich bei dem korpulenten Mann um den deutschen Salafisten Christian E. alias "Abdul Malik" (Pseudonym kann mittlerweile abweichen) aus Solingen. Wie Todenhöfer gegenüber CNN berichetete, hatte er mehrere Wochen lang mit Emde per Skype kommuniziert und ihn zu seinen Überzeugungen befragt. Als "eloquent" habe er ihn empfunden, der sehr viel wissen würde, so Todenhöfer.

Aus dem Umfeld der Solinger Salafisten

Der 30-jährige ist in Deutschland kein unbeschriebenes Blatt. E. konvertierte 2003 zum Islam und radikalisierte sich im Umfeld der kleinen Moschee-Gemeinde "Deutsch-Islamisches Zentrum" in der Solinger Innenstadt. Dort lehrten besonders radikal-salafistische Prediger wie Ibrahim Abou Nagie ("Die Wahre Religion"), Pierre Vogel und Abu Abdullah. In der Moschee lernte er auch den späteren Selbstmordattentäter Robert B. alias "Abdul Hakim" kennen. B. selbst war nur durch Zufall mit dem Islam in Berührung gekommen: Ein Flyer von islamischen Missionierern. "Ich habe dann begonnen, mich mit dem Islam zu beschäftigen", erzählte er später in einem Video. Christian und Robert glitten in die Welt des radikalen Salafismus ab. Sie reisten mehrere Male nach Ägypten, um in Sprachschulen Arabisch zu lernen. Dabei sollen sie mit anderen radikalen Islamisten in Kontakt gekommen sein. 

Statt zu Hause bei ihren Eltern, übernachteten sie nun lieber in der Masjid ar-Rahma Moschee in Solingen und verbrachten auch dort größtenteils ihren Alltag mit Gebeten und Dawa-Aktionen. Christian E. hatte beim Solinger Einwohnermeldeamt sogar die Adresse der Moschee als seinen Wohnsitz angegeben. Der Verfassungsschutz begann die beiden aufgrund eines Tipps von Roberts Mutter zu beobachten, die sich wegen der zunehmenden Radikalisierung ihres Sohnes zunehmend Sorgen machte.

Irgendwann gerieten die beiden jungen Männer in den Sog des internationalen Dschihads. Mit großen Mengen von dschihadistischem Datenmaterial und Bauanleitungen für Bomben wurden die beiden schließlich im Juli 2011 bei einer Reise in Dover/Großbritannien von der britischen Polizei festgenommen. Die deutschen Behörden hatten aufgrund der komplexen Gesetzeslage die Briten gebeten, die Verhaftung der beiden auf deren Boden vorzunehmen.

In ihrem Gepäck fand sich einschlägiges Material wie das al-Qaida-Magazin 'Inspire' mit Artikeln wie "Wie baue ich eine Bombe in der Küche meiner Mutter" und das Buch mit dem Titel "44 Wege zum Dschihad". Vermutlich wollten E. und B. damit befreundete Islamisten in London besuchen. 

Der damalige Anwalt von Robert B., Burkard Benecken, behauptete später, dass die beiden nicht alleine agiert hätten. Die salafistischen Prediger Abou Nagie und Pierre Vogel sollen nach Darstellung von Benecken Robert und Christian instruiert haben. Der Vater von Christian E. sagte damals noch: "Christian ist kein Terrorist."  Er hatte sich wohl getäuscht.

Unter Brüdern im Gefängnis

Robert und Christian wurden zunächst in das Hochsicherheitsgefängnis in Belmarsh inhaftiert, wo viele Terrorverdächtige einsitzen. Dort sollen die beiden die Zeit für das vertiefte Studium im Koran genutzt und auch neue Kontakte zu anderen Islamisten geknüpft haben. "Ich war mit beiden dort. Belmarsh. Allahu Akbar. Sie sind gute Brüder gewesen und waren sehr gutherzig.", weiß im Nachhinein der englische Konvertit Abdullah D. gegenüber dem Blog zu berichten, Mitglied der Extremistengruppe "Need4Khilafah", die vom britischen Geheimdienst beobachtet wird. 

D. war nach eigener Aussage wegen Waffenbesitzes in Belmarsh inhaftiert gewesen. Zwar begegnete er Christian und Robert nur kurz, jedoch schwärmt er heute noch von ihrer "Demut" und ihrem "makellosen Charakter". Ihre Reden beim gemeinsamen Freitagsgebet im Gefängnis seien zwar sehr wortkarg gewesen, jedoch hätten sie bei ihm und den anderen Häftlingen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Andere britische Islamisten organisierten Telefonkarten, Nahrungsmittel und Geld für die beiden Inhaftierten. Sie schickten sich Briefe und sprachen sich gegenseitig im Namen "Allahs" Mut zu. "Mir geht es gut", teilte Robert Baum einem Kontaktmann in einem englischsprachigen Brief mit, der in einem einschlägigen Forum veröffentlicht worden war. "Ich hatte einen guten Ramadan und nun teile ich die Zelle mit meinem deutschen Bruder. Endlich Deutsch sprechen, alhamdulillah". 

Emde und Baum saßen noch mehrere Monate in Untersuchungshaft, bis sie schließlich im gleichen Jahr von einem Londoner Gericht verurteilt wurden. Emde bekam 16 Monate, Baum 12 Monate Haft auf Bewährung. Die beiden wurden nach mehreren Monaten Haft schließlich nach Deutschland abgeschoben. 

"Resozialisierung" im Kreis der Hardliner

Zurück in Solingen blieben Christian und Robert weiter zusammen und schlossen sich im Frühjahr 2012 dem von Mohamed Mahmoud gegründeten Jugendverein "Millatu Ibrahim" an. Dort beteiligten sie sich an "Lies"-Aktionen, die in vielen Großstädten in Europa kostenlos Korane an die Passanten verteilen. Mehrere Bildaufnahmen zeigen Christian, Robert und Hasan K. alias "Abu Ibrahim" bei Koranverteilungen in Solingen. Hasan K. gilt als ein enger Vertrauter und ideologisches Sprachrohr von Mohamed Mahmoud alias "Abu Usama al-Gharib" sowie Denis Cuspert alias "Abu Talha al-Almani". In dieser Gesellschaft war es dann auch nicht verwunderlich, warum E. und B. sich weiter radikalisierten.

Lies-Projekt/Von links: Hasan K., Christian E. und Robert B.
Mitte 2012 folgte dann der Schlag der deutschen Behörden gegen den Verein. Spezialeinheiten der Polizei durchsuchten Wohnungen und Gebetsräume in Solingen. Innenminister Hans-Peter Friedrich ordnete das Verbot von Millatu Ibrahim an.

Mohamed Mahmoud und Denis Cuspert setzten sich daraufhin genauso wie viele andere ehemaligen Vereinsmitglieder nach Ägypten ab und versuchten von dort aus weiterhin ihre dschihadistische Propaganda zu verbreiten. Viele von ihnen reisten dann weiter über die Türkei nach Syrien und schlossen sich vor ihrer "Bay'a" gegenüber dem IS zunächst anderen syrischen Extremistengruppen an. Robert und Christian sollen kurze Zeit später in einer Gruppe von zehn Personen schließlich über die grenznahe Stadt Reyhanli in der türkischen Provinz Hatay nach Syrien eingereist sein. Zwei Mitglieder von dieser deutschen Gruppe sollen bereits getötet worden sein. Darunter ist auch Robert B.

Dieser sprengte sich im Januar 2014 als "Uthman al-Almani" in der zentral-syrischen Stadt Homs in die Luft und soll dabei Dutzende syrische Soldaten mit in den Tod gerissen haben. Christian E. reiste wohl von Syrien weiter in den Irak. In der Großstadt Mosul soll Ex-Rapper Denis Cuspert eine Brigade namens "Millatu Ibrahim" anführen, in der zahlreiche deutsche Kämpfer dienen sollen. Möglicherweise schloss sich E. dieser Gruppe an und konnte als erfahrener Djihadist mittlerweile in den ISIS-Rängen aufsteigen.