Dschihad-Propaganda: "Sie wollen uns die Freiheit nehmen"


Zahlreiche Dschihadisten aus der Bundesrepublik tauchten bislang in der Propaganda von Terrororganisationen wie Islamischer Staat (IS) und al-Qaida auf. Vor allem über Filme, die stark an Hollywood-Inszenierungen erinnern, versuchen sie das Klientel in Europa emotional anzusprechen. Zwei Beispiele im Vergleich.

Christian und Andreas  

Sie heißen Christian und Andreas, zwei Dschihadisten, die aus Deutschland kommen sollen und für zwei unterschiedliche Extremistengruppen in Syrien kämpfen. Der Dortmunder Christian kämpft für den IS, Andreas M.* für eine Extremistengruppe in Nordsyrien, die der al-Qaida nahesteht.  Und beide Konvertiten spielen die Hauptrollen in zwei Propagandafilmen. Christian trat schon Ende 2016 in einem 8-minütigen Video der Medienstelle "Wilayat al-Furat" in Erscheinung, also einer Propagandaabteilung des IS in der Provinz "al-Furat" zwischen dem ostsyrischen Deir Ezzor und der irakischen Provinz al-Anbar. Andreas offenbarte sich dagegen Ende Juni dieses Jahres in einem über 35-minütigen Beitrag der Propagandaplattform "al-Muhajirun" ("die Auswanderer"), die sich selbst als Sprachrohr verschiedener Extremistengruppen in Nordsyrien versteht und mit dem IS verfeindet ist.

Gleichwohl unterscheidet sich die Öffentlichkeitsarbeit der beiden Gruppen kaum voneinander, wenn es um die Anwerbung und Rekrutierung des Dschihad-Nachwuchses geht. Dabei greifen sie häufig auf diejenigen zurück, die für sie kämpfen oder sich anderweitig für sie verdingen. Ausländer wie Christian und Andreas aus Europa sind für sie besonders wertvoll, schließlich kommen sie aus solchen Ländern, die im Mittelpunkt der religiösen und politischen Abgrenzungsstrategie der Organisationen stehen. Häufig sind ihre Biografien Gegenstand pseudo-dokumentarischer Inszenierungen in Videos und Schriften. Nicht selten stellen sich die Dschihadisten gleich selbst dafür zur Verfügung die Ziele und Motive ihrer terroristisch ausgerichteten Gruppierungen auf Basis verkürzter und idealisierter auto-biografischer Erzählungen zu legitimieren.

Diese Geschichten, die Dschihadisten wie Andreas und Christian über ihren Werdegang erzählen, sollen die Emotionen eines bestimmten Klientels ansprechen. Junge Menschen vor allem, die auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind. Die sich in der westlichen Gesellschaft nicht mehr wohl zu fühlen scheinen, deren Wertevorstellungen und Normen sie für widersprüchlich halten und gleichermaßen einen Sittenverfall beklagen. Kurz: diejenigen, die die moderne Gesellschaft in Frage stellen. Dabei geht es aber nicht per se um die technologischen Fortschritte, die globale Vernetzung und so manche soziale Errungenschaft der meist demokratischen Zivilsationen. Sie suchen vielmehr nach Alternativen, spirituellen Konzepten und Narrativen zu den bestehenden Dogmen der liberal-säkularen Gesellschaft, um die komplexe Welt um sie herum zu verstehen, in der sie leben. Nicht selten verdeckt diese Sinnsuche aber auch handfeste Probleme in der Familie, im Beruf, in der Schule oder mit der eigenen Persönlichkeit.

Die beiden Videos, um die es in diesem Beitrag geht, zielen genau auf diese latenten und offenen Gefühlswelten der Rezipienten ab. Für IS-Kämpfer Christian wird der Wandlungsprozess vom Christen zu einem Dschihadisten subsumiert unter der Überschrift "Aus der Finsternis zum Licht". Die "Finsternis" steht für sein Leben in Deutschland, das "Licht" für seine Konversion zum Islam und sein Leben im Kalifat. Andreas dagegen fungiert mit seinen persönlichen Erfahrungen in Deutschland eher als Vehikel einer detaillierten Kritik an den westlichen Gesellschaften, deren kollektive Handlungslogiken "demaskiert" werden sollen und in der Folge umso mehr der "natürliche Glaube" (also der Islam) als Erkenntnisziel gewonnen wird (Titel: "Fitrah - Der Westen. Hinter der Maske"). Die Filme folgen dabei der Logik von bestimmten sich steigernden Transformationsstadien von Christian und Andreas: Das christliche Leben in Deutschland, die Konversion zum Islam und schließlich die Ausreise in den Dschihad.

Beide Videos beginnen mit einer ähnlichen Szene. Christian und Andreas sitzen in abgedunkelten Räumen. Mattes Scheinwerferlicht wird auf bestimmte Körperpartien der beiden gelenkt. Auf die Hände, die Lippen oder den Hinterkopf. Andreas wird dabei wie ein Insider bei einem Interview inszeniert, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Sein Gesicht bekommt der Zuschauer nie zu sehen. Nur sein blonder Hinterkopf und der Bart sind zu erkennen. Er erzählt also scheinbar aus einer geschützten und anonymen Situation heraus. Bei Christian ist das anders. Im ersten Teil seines Auftritts bleibt er unerkannt, vor allem, als er von seiner Suche nach der "wahren Religion" in Deutschland berichtet. So soll wohl die Depersonalisation in der westlichen Gesellschaft symbolisiert werden, bevor er nach der Transformation zum "Muslim" und IS-Kämpfer Selbsterkenntnis gewinnt und im letzten Drittel des Films dann auch offen vor die Kamera tritt.

Die Männer stellen sich beide zu Beginn vor. Schließlich werden in beiden Videos bekannte Orte in Deutschland und Europa gezeigt, darunter der Fernsehturm in Berlin, das Bode-Museum und das Reichstagsgebäude. Unterlegt werden diese Bilder mit dschihadistischen Anashid (Gesängen). Danach folgen die beiden Videos unterschiedlichen thematischen Akzentuierungen. Der IS zeichnet Christians Lebensweg nach, Andreas verbindet seinen Lebensweg dagegen stets mit einer teils langatmigen Gesellschaftskritik.

"Absurde Dinge, die ich nicht verstand"

Obwohl ich in einer normalen und guten Familie aufgewachsen bin, eine angenehme Kindheit hatte, eine höhere Schulbildung genoss und die Universität erfolgreich abgeschlossen habe, spürte ich bereits in jungen Jahren, dass in dieser Gesellschaft etwas nicht stimmte", schildert Andreas zu Beginn seiner Erzählung seine Ausgangslage in Deutschland. "Zunächst war es nur ein Gefühl, doch dies wandelte sich bald zu einer Überzeugung und zu einem Verständnis um." Welches Gefühl, Verständnis oder Überzeugung das war, beschreibt Andreas nicht näher. Stattdessen folgt eine allgemeine Gegenwartsanalyse der deutschen und europäischen Gesellschaft. Für die Beweisführung müssen dafür ausgerechnet die verhassten Medien der "Kuffar" herhalten. Doch der Reihe nach.

Andreas setzt bei der Kindeserziehung im Westen an. Die "allgemeine Haltung" gegenüber Kindern sei in Deutschland "gestört", behauptet er. Abtreibungen seien mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert. Er spricht über Babyklappen und staatlich unterstützte Kindergärten, die "die Rolle der Mutter und die Aufgaben, die sie hat als wertlos und verachtenswert ansieht". Die Bindung innerhalb der Familie und zur Verwandtschaft werde zunehmend zerstört. Die Situation alter Menschen sei dabei noch viel schlimmer.

Gezeigt werden daraufhin Einspieler aus dem deutschen Fernsehen. Eine ältere Frau wird eingeblendet, die von ihrem Balkon auf triste Plattenbauten blickt. "Diese ganze Umgebung, diese vielen Häuser. Man sieht überall Menschen. Trotzdem hat man das Gefühl man ist vollkommen alleine. Eines Tages nicht mehr aufwachen zu müssen. Das wäre herrlich", erzählt sie verbittert. Verbittert klingt dabei auch der Nashid, der im Hintergrund der Sequenzen läuft und die Wirkung der Aussage auf die Zuschauer verstärken soll. Ein anderer Einspieler aus einem ARD-Film zeigt Helma K., eine Rentnerin, die seit 29 Jahren alleine lebt und ihren einzigen Sohn nur selten sieht. Mit tränenerstickter Stimme berichtet sie: "Letztes Jahr, wie ich 80 wurde, ist Peter hier gewesen mit einer Enkelin, der Luise. Und da waren sie zwei Stunden hier und dann...und so war mein Geburtstag."

Für Andreas ein klarer Fall: In Deutschland gibt es eine entsolidarisierte Gesellschaft, die nur noch aus egoistischen Individuen, nicht aber aus einer Gemeinschaft besteht, in der sich jeder um den anderen kümmert. "Einsam ohne jegliche Beachtung oder Besuche von ihren engsten Verwandten. Niemand weiß etwas über die Situation seiner Nachbarn. Oft sterben die Alten zu Hause, ohne dass es jemand bemerkt, bis der Geruch ihrer Leichen ihre Nachbarn erreicht", erzählt er.

Im starken Kontrast zu dieser erschütternden aber gleichwohl einseitigen Wahrnehmung, klagt Andreas daraufhin über Altersheime für Hunde, die von manchen Muslimen als unrein angesehen werden. Alte Menschen seien im Gegensatz zu ihnen einer "ganzen Industrie" ausgeliefert, die ihre Einsamkeit ausnutze und sie wie Ware behandeln würde. Seine Schlussfolgerung: "Das sind einige der katastrophalen Folgen, die sich verbreitet haben, seitdem sie (die Deutschen) die Freiheit des einzelnen über alles andere gestellt haben." Der Einzelne sei sich wichtiger als seine Familie, seine Interessen hätten Vorrang vor denen seiner Verwandten.

Die Ursache für diese Entwicklung sieht Andreas vor allem aber in der Abwendung der Menschen von der Religion infolge der "schlechten Erfahrung" mit der Kirche. "Statt die Fehler in diesem verfälschten Christentum zu suchen, wurden die Menschen im Namen der Aufklärung vollständig von dem Glauben an Allah vertrieben." Er habe nach seiner Beobachtung erkannt, wie die Menschen den Atheismus als "Religion der Intellektuellen" darzustellen versuchten, während der Islam als "zurückgeblieben und veraltet" angeprangert würde.

Genau an diesem Punkt setzt IS-Kämpfer Christian mit seiner Lebensgeschichte an, der ohne lange Gesellschaftskritik auskommt, sondern mehr über sich und seine persönlichen Motive spricht, die sich letztlich auf die Suche nach dem richtigen Glauben beschränkt. So habe er das Christentum durch den "Religionsunterricht und Familientraditionen" kennengelernt, beginnt Christian zu erzählen, während im Film Szenen aus Kirchenmessen gezeigt werden. Dabei habe er viel über die Religion und ihre Geschichte gelernt. "Aber auch viele absurde Dinge, die ich nicht verstand." Viele Gedanken seien ihm daraufhin durch den Kopf gegangen. Über Gott und das Leben nach dem Tod. Er sei dabei aber mehr und mehr verzweifelt gewesen. "Ich verlor mich selbst und sah keinen Ausweg. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte."

Ein Text im Film wird daraufhin eingeblendet, der Christian als "verwirrten Jugendlichen" bezeichnet, der schließlich durch "Allah" mit einer Krankheit geprüft worden sei, "damit diese Krankheit ein Grund für seine Rechtleitung wird." Ein Schicksalsschlag also, der alles verändern sollte. Christian erzählt daraufhin, er sei nach einer Notoperation am Bauch auf das Schlimmste vorbereitet gewesen. In seiner Todesangst habe er Gott angefleht ihn zu retten. Während er das erzählt, sieht man im Video hektische Szenen aus einem OP-Raum in einem Krankenhaus. Im Hintergrund ist das rhytmische Geräusch eines schlagenden Herzens zu hören wie man es als dramaturgisches Element aus Arzt- und Krankenhausserien kennt.

Christian überlebt schließlich und begibt sich laut seiner Erzählung nach der "Wahrheit", die ihn gerettet habe. Im Film wird nachgestellt, wie der Mann im Internet surft, Videoplattformen und Internetseiten besucht. Es ist der Islam, der ihm Antworten liefert.  "So fand ich die Wahrheit, dass es einen einzigen Schöpfer gibt, [...] der Leben gibt und nimmt und dass das Paradies wahr ist, als Belohnung für den, der seinem Befehl gehorcht und das die Hölle wahr ist, als Belohnung für den, der ungehorsam ist." Er sei daraufhin im Oktober 2012 zum Islam konvertiert. Nach einiger Zeit habe er die Religion immer besser kennengelernt und auch, dass sie angeblich zur Hijra (Ausreise ins gelobte Land) und den Jihad als Pflicht für jeden Muslim aufrufe.

Später, so Christian, habe er schließlich erkannt, dass er zwischen den Muslimen und den Ungläubigen unterscheiden müsse. Er habe sich fragen müssen, ob er sich von den "Götzendienern" lossagen und seine Solidarität gegenüber den Glaubensgeschwistern zeigen solle. "Jetzt war für mich klar, dass ich Darul Kufr (Land des Unglaubens) verlassen musste, um Hijrah nach Darul Islam (Land des Islams) machen zu können. Ich suchte nach einem Land, wo Allahs Wort das Höchste ist und in dem allein mit seinem Gesetz regiert wird." Er sei bei seiner Suche nach einer geeigneten Alternative entsetzt gewesen, als er herausgefunden habe, dass viele Länder für sich beanspruchten islamisch zu sein, "doch in der Realität nur durch von Menschen gemachte Gesetze regiert werden, genau wie in meinem Heimatland Deutschland".

In dieser Zeit habe er wieder erkannt, dass eigentlich muslimische Länder mit dem "Westen" ganz offen kooperierten. Diese seien Verbündete im Kampf gegen jeden, der sich von den "menschengemachten Gesetzen" (also z.B. die Verfassung) lossage und die Scharia etablieren wolle. "Nun verstand ich auch, warum diese Länder die Mujahideen verleumdeten und als Kriminelle beschimpften, als Terroristen und schlimmer." Christians Konsequenz: "Es wurde klar für mich, dass ich mich dem einzigen Staat, der kompromisslos für Allah zur Erhöhung seines Wortes über alles menschengemachte kämpft, anschließen möchte. Und zwar dem Islamischen Staat." Für ihn ist da bereits seine Vorgeschichte auserzählt. Andreas fängt da erst an.

"Ich werde nie wieder ein Sklave meiner Begierden sein"

So erzählt dieser viel über den "Krieg", den die Medien, Schulen und Wissenschaften gegen "Allah" erklärt hätten. Sie machten sich lustig über ihn, auch dadurch, dass sie den Menschen als Nachfahren der Affen darstellen würden. Hier sieht er die Ursache, dass die westliche Zivilisation mit Sexualität so offen umginge. Dabei werden im Film wieder Einspieler gezeigt, in denen berichtet wird, dass Kinder in manchen Ländern in Safer Sex, Homosexualität und Selbstbefriedigung unterrichtet würden. "Jede Abnormalität und jeder Verhaltensmangel wird studiert, als ob es eine natürliche Wahl und eine Lebensweise sei", empört sich Andreas darüber. Nichts bleibe mehr "heilig". Transsexuelle und Homosexuelle könnten ihre "abnormalen Krankheiten offen auf den Straßen und ohne jegliche Scham" zeigen, die Gesellschaft und Politik toleriere dies, weil sie "indoktriniert" und "von kleinauf damit gefüttert" würden.

Es handelt sich um Ansichten, die nicht wenige nicht-muslimische Erzkonservative teilen würden und damit de facto eine Koalition mit den Islamisten bilden könnten. Noch 2015 demonstrierte ein Bündnis radikaler Christen, Verschwörungstheoretiker und homophoben Kleinbürgern als "Besorgte Eltern" gegen einen alltagsnahen Sexualunterricht an deutschen Schulen. In Köln beschrieb der Vorsitzende des christlichen Vereins "Civitas" den Sexualkundeunterricht als einen "Kampf zwischen Christus und Teufel". Man befinde sich in einer "Diktatur", in der der Staat Kinder in seine Gewalt bringe, "um ihre Seelen zu beschmutzen".

"Es gibt keine Möglichkeit der Realität zu entfliehen", meint ebenfalls Andreas und skizziert im Anschluss die westlichen Freizeit- und Vergnügungsgewohnheiten: Parties, Reisen, Urlaub, Alkohol, psychedelische Drogen, psychische Erkrankungen wie Depressionen und hohe Scheidungsraten. "Die Menschen erniedrigen sich immer mehr und mehr. Sie werden zu Menschen ohne Moral und ohne Führung. Einfach egoistische Konsumenten", sagt er.

Und wie Christian kommt auch er schließlich irgendwann an einen Wendepunkt in seinem Leben. Über seine Konversion sagt er: "Es war, als ob ich aus einem Albtraum erwacht wäre. Nun lebte ich für das, wofür ich erschaffen wurde. Ich werde nie wieder ein Sklave meiner Begierden sein. Ich habe mich gefühlt, als sei ich neu geboren." Die "muslimische Gemeinschaft" habe ihn sofort willkommen geheißen. Doch trotz allem sei er mit seiner "wahren Freiheit" auf Intoleranz ("Hass", "Feindschaft") in seinem Umfeld gestoßen. "Wann immer Gespräche um den Islam und über Muslime aufkamen war es, als ob die Freiheit des Westens, mit der sie prahlten und seine unbegrenzte Toleranz, verschwanden."

Andreas erzählt von Diskriminierungen, "Übergriffen", "anstößigen Wörtern", "Beleidigungen" und "Angriffen". Sie seien Ausdruck einer im Westen nur einseitig ausgelegten "Meinungsfreiheit". Eine entsolidarisierte Gesellschaft also, die gegenüber Andersdenkenden auch noch intolerant sei. "In einem Jahr veröffentlichen sie Karrikaturen, dann im folgenden Jahr greifen sie den Niqab an oder den Hijab, dann das Schächten von Tieren oder sie verbieten Minarette, oder, oder, oder." Gleichzeitig würden alle, die nicht der "verdorbenen Lebensweise" folgten mit Stigmata wie "Extremismus" und "Terrorismus" belegt.

All das sei Ausdruck des Hasses gegen den Islam, so Andreas. Vielmehr seien Millionen Muslime Tod und Verfolgung ausgesetzt, würden mit Giftgas getötet und den Westen interessiere dies kaum. Während er das sagt, sieht man im Film Bilder aus Syrien, von Luftangriffen mit toten und verwundeten Menschen. Nicht wenige Dschihadisten reagierten vor ihrer Ausreise nach Syrien sehr emotional auf solche Kriegsszenen. Übersteigerter Idealismus war die Folge, ohne eine Ahnung zu haben, dass dort alle Kriegsparteien rücksichtslos gegen ihre Gegner und die Zivilisten vorgingen.

"Als mir als Muslim klar wurde, dass das Leben im Westen für mich nicht mehr möglich ist, dass ich von Menschen umgeben bin, die den Propheten beleidigen, die Muslime unterdrücken und Krieg gegen sie führen [...]. Zu diesem Zeitpunkt habe ich es nicht mehr ertragen und ich konnte es nicht mehr mit meiner Religion und meiner Moral vereinbaren, Teil von ihnen zu sein."

"Als ob ich einer von ihnen sei"

Schließlich wird in beiden Filmen die Hijra, also die Ausreise nach Syrien, nachgestellt. Die Szenen ähneln sich dabei teilweise. Christian und Andreas werden dabei gezeigt, wie sie ihre Taschen packen und mit einem Flugzeug der staatlichen "Turkish Airlines" in die Türkei fliegen. Zielort war sehr wahrscheinlich Istanbul, wo sie in Reisebusse umstiegen und nach Gaziantep oder Reyhanli fuhren. Die anschließende Überquerung der Grenze nach Syrien wird als große Herausforderung dargestellt. Während bei Christian aber nur kurz symbolisch ein Stacheldrahtzaun eingeblendet wird, setzt "al-Muhajirun" auf Hollywood-Action: Andreas rennt, springt über Hindernisse und stolpert über den Boden, gefilmt mit Körper-, Hand- und Drohnenkameras, im Hintergrund dramatische Soundeffekte und das bekannte Geräusch eines rasenden Herzens.

Dann folgt der dritte und letzte Abschnitt der beiden Propagandavideos. Nämlich die Inszenierung des Lebens als Dschihadist in Syrien. Es ist der wichtigste Teil. Denn hier soll den Film-Rezipienten eine konkrete Alternative zum zwar verpönten aber dennoch durchaus angenehmen Leben im Westen offeriert werden. Die Transformation vom Entpersonalisierten zum "rechtgeleiteten" Menschen als Muslim wird dabei in den Vordergrund gestellt. In Syrien heißen sie nun nicht mehr Andreas oder Christian, sondern "Abdussalam al-Muhajir" und "Abu Issa al-Almani".

"Jetzt bin ich im Land der Khilafa, regiert durch das Gesetz Allahs", spricht Christian stolz in die Kamera und zeigt dabei erstmals sein ganzes Antlitz. Es folgen IS-typische Szenen von öffentlichen Amputationen und Auspeitschungen. Mit dabei ist auch Christian, der den Opfern während der Tortur über den Kopf streichelt und schließlich selbst mit der Peitsche auf mehrere Männer eindrischt. Die Leute würden damit dem Ruf der Scharia folgen, behauptet er. Die Hijra zum "Islamischen Staat", dort zu leben und ihn zu unterstützen, sei für jeden Muslim verpflichtend. "Das Ziel des Dschihads ist es, Allahs Autorität auf dieser Erde auszuweiten." Im Hintergrund ist dabei immer wieder der bekannte deutschssprachige Nashid "Unser Staat ist siegreich" zu hören.

Christian tritt sowohl in "ziviler" szenetypischer Kleidung auf, als auch als Soldat in Militärkleidung. Gefilmt wird er beim Ausheben von Schützengräben und beim Aufbau von Verteidigungsanlagen. Er schießt mit einer Kalaschnikow in die Ferne.  Und schließlich wendet er sich am Ende noch einmal direkt an die Zuschauer. Wenn diese nicht nach Syrien kommen könnten, dann sollten sie in ihren Heimatländern zur Tat schreiten. Sie sollten sich an den Attentätern in Deutschland, Frankreich, Brüssel oder in Orlando ein Beispiel nehmen.

Bei Andreas dominieren bei der Dschihad-Inszenierung dagegen nicht die Gewalt, sondern eher die verklärende Romantik: Die Liebe und Eintracht zwischen den Menschen im zerrütteten Syrien. "Zum zweiten Mal wachte ich aus einem Albtraum auf und ich verstand, weshalb Allah Iman (Glaube) immer mit hijra und Dschihad verbindet. Die standhaften, mutigen, syrischen Muslime hießen mich willkommen, als ob ich einer von ihnen wäre", erzählt er aus dem "Off", während kitschige Bilder von lachenden Menschen und blühenden Landschaften gezeigt werden, unterlegt mit einem schwermütigen Nashid. Wie Christian ruft auch Andreas zur Ausreise nach Syrien auf. Niemand solle daran denken, das Leben in Syrien mit einem der "Erniedrigung unter der Herrschaft der Kuffar und des Polytheismus" zu tauschen.
 
Doch genauso wie der IS, zeichnet auch die Propaganda von "al-Muhajirun" ein falsches Bild der Alltagsrealität in Syrien. Andere Dschihadisten gaben gegenüber "Erasmus Monitor" immer wieder an, dass die meisten sunnitischen Einheimischen den ausländischen Kämpfern sehr skeptisch gegenüber eingestellt seien und diese aus den traditionellen kommunalen und städtischen Gemeinden weitgehend ausgeschlossen blieben. Vielmehr herrsche eine auf Abschreckung beruhende friedliche Koexistenz, die jederzeit durch Gewaltexzesse brüchig werden könne.

Schließlich gesellen sich in Andreas' Film andere Kämpfer zu ihm als Zeichen einer vermeintlich vereinten "Umma". Sie marschieren nebeneinander auf der Straße, sitzen auf grünen Wiesen, dann läuft Andreas wie Russell Crow im Hollywood-Blockbuster "Gladiator" über ein Feld. Während Christian offen zu Anschlägen aufruft, formuliert Andreas seine Drohung eher defensiv: "Sie wollen uns die Freiheit nehmen als Diener Allahs zu leben. Sie ertragen nicht, dass wir uns als freie Muslime von ihren Götzen und ihrer Unmoral losgesagt haben. Nun gilt es diese Freiheit zu verteidigen! Und mit Erlaubnis, sind wir bereit."

Die Verklärung und bewusste Realitätsverweigerung in den beiden Propagandavideos hat also eine klare Intention: Unterdrückung, Intoleranz und (religiöser) Wertezerfall im Westen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, Grundkonstanten der europäischen Aufklärung, herrschten dagegen in Syrien. Der Islam als Lebens-, Gesellschafts- und Staatskonzept fungiert bei den Dschihadisten als Alternative zur Demokratie und zur eigentlichen Verwirklichung dieser Lebenskonzepte. Wie diese Realität tatsächlich aussieht, ist hinlänglich bekannt.

*unklar, ob richtiger Name.