Türkische Rechtsextreme: Für Allah und Vaterland

Türkische Rechtsextremisten arbeiten verstärkt mit islamistischen Kräften in Syrien zusammen. Die türkische Regierung hat diese Entwicklung jahrelang außen- wie innenpolitisch befördert. Auch in Deutschland sind die Folgen davon zu beobachten.
 
Krankenwagen für Syrien 

Es war im Februar 2017, als zwei Krankenwagen mit Herner Kennzeichen das Gelände des Vereins "ATF Bielefeld Ülkü Ocağı" verließen. Mit dabei, der Vorsitzende, Muhderem Ö., ein Mann mit staatsmännischen Auftreten. Ein Dutzend Männer winkten den Insassen hinterher. Auf den Motorhauben der Wagen hingen Fahnen mit Porträts gefallener "Märtyrer" aus der Türkei. Ömer Halisdemir, ein Offizier, der beim versuchten Staatsputsch Mitte 2016 in Ankara sein Leben verlor. Und Firat Yilmaz Cakiroglu, ein rechtsextremer Student an der Universität in Izmir, der 2015 bei einem Streit mit mutmaßlichen PKK-Anhängern erstochen wurde.

Die Fahrt der Bielefelder sollte mehrere Tage dauern und sie wurde auf Video und Bildern dokumentiert. Das Ziel war die Türkei, genauer, die Stadt Körfez in der Provinz Koaceli, östlich von Istanbul. Dort machten sie Halt und trafen auf ihre Kontaktmänner Murat E. und Mehmet Ali Ö. Ersterer ist ein junger Geschäftsmann in Körfez und pflegt beste Kontakte zu hochrangigen Politikern der AKP und zur türkischen Polizei. In sozialen Netzwerken ließ er sich in der Vergangenheit gern mit teuren Autos und Waffen aller Art fotografieren.

Mehmet Ö., ein bärtiger Mann aus Mersin, ist Präsident einer Hilfsorganisation, die in Syrien operiert und in der Türkei Spenden sammelt. Sie nennt sich "Türkmen Der". Ö. trat in den vergangenen Jahren immer wieder in türkischen Medien auf, gab Interviews und rief die Öffentlichkeit zur Hilfe der syrischen Turkmenen auf, die mehrheitlich gegen den syrischen Diktator Assad kämpfen. Für seinen Bielefelder Verwandten Muhderem Ö. hatte Mehmet Ö. bei ihrem Zusammentreffen in Körfez ein Präsent dabei. Eine Urkunde, eingerahmt in einem kleinen roten Kästchen, bescheinigte den aus Deutschland kommenden Helfern ihren Dank für die "Unterstützung und Solidarität" gegenüber den Turkmenen.

Nach dem Treffen fuhren Murat E. und Mehmet Ö. die Krankenwagen in Richtung Süden. Mit Blaulicht passierten sie die Grenze zu Syrien. Ihr Weg führte sie nach Idlib, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Dort trafen sie auf einen weiteren Mann, der auf sie gewartet hatte.

Er nennt sich Hussein der Aserbaidschaner und ist Kommandeur einer Einheit der Liwa al-Muhajireen wal-Ansar (LMA). Eine Rebellengruppe, die aus der Jaish al-Muhajireen wal-Ansar (Jamwa) hervorging und die in Deutschland auf der Terrorliste steht. Mehrere Deutsche hatten in dieser Armee ihre Dschihad-Karriere begonnen und auch der Salafisten-Prediger Sven Lau musste vergangenes Jahr für knapp 6 Jahre hinter Gittern, weil er die Jamwa logistisch unterstützt hatte.

Für die LMA kämpfen heute zahlreiche Kämpfer aus dem Nordkaukasus, Zentralasien und dem  Nahen und Mittleren Osten. Ihre russisch-sprachigen Anhänger bekennen sich im Kern zum Kaukasus Emirat, eine tschetschenische Terrororganisation, die für zahlreiche Anschläge in Russland verantwortlich ist. Die LMA untersteht in Syrien jedoch offiziell der von al-Qaida-Veteran Abu Muhammad al-Jolani kommandierten Dschihadisten-Allianz Hayat Tahir al-Sham (HTS).

Präsidial und andächtig ließen sich Mehmet Ö, Murat E. und der LMA-Kämpfer Hussein in Idlib vor den Krankenwagen filmen. Sie präsentierten die Ausrüstung, die ihnen die Bielefelder überlassen hatten. An den Außenwänden hatten sie überall Aufkleber mit "Türkmen Der" aufgetragen. Was dann passierte, lässt sich recht gut nachverfolgen.

Die LMA übernahm mindestens einen der Krankenwagen und nutzte ihn sowohl als Transportmittel für ihre Kämpfer als auch für die Auslieferung von Waren. Den anderen Wagen nutzten abwechselnd Mehmet Ö., Murat E. und andere Türken, die im Großraum Idlib, Latakia und Aleppo operierten. Zwielichte Gestalten, die zwischen Zivilkleidung und Uniformen mit türkischen Abzeichen sowie Emblemen der Polizei-Spezialeinheit "Özel Harekat" wechselten.

Wie viele scheinbar nur humanitäre Organisationen dokumentierten auch sie ihre Hilfslieferungen an Flüchtlinge an der türkischen Grenze. Aber auch Familien von Dschihadisten, vor allem Uighuren, die sich im Norden Syriens zu Tausenden angesiedelt haben, versorgten sie mit Nahrungsmitteln. In Jarabulus bei Aleppo verteilten sie Lebensmittel an Kämpfer der Islamistenmiliz Ahrar al-Sham, die mittlerweile als türkische Söldnertruppe das kurdische Autonomiegebiet bedroht.

Doch abseits von Werbevideos und Fotos mit dankbar aussehenden Kindern und alten Menschen, gingen Mehmet Ö. und Murat E. vor allem militärischen Tätigkeiten nach. Zahlreiche Bilder zeigen sie in Kampfmontur und Waffen neben Extremisten posieren. Auf ihren Uniformen häufig die türkische Flagge und die unter türkischen Nationalisten beliebte Inschrift "Göktürk" (𐱅𐰇𐰼𐰰) zu sehen. Sie ließen sich auch mit Berühmtheiten des syrischen Dschihads wie Murad Margoshvili ablichten, Kommandeur der tschetschenischen Extremistengruppe Junud ash-Sham, die ebenfalls in Deutschland als Terrororganisation gelistet ist. Nationalisten und Dschihadisten: Passt das überhaupt zusammen?

Eine Annäherung  

Schon häufig wurde über die Rolle von Hilfsorganisationen in Syrien diskutiert. Salafistische Vereine wie "Ansaar International", "Helfen in Not" und "Medizin mit Herz" wurden immer wieder Verbindungen zu bewaffneten Dschihad-Gruppen nachgesagt. Doch hier gibt es ein anderes Phänomen: Rechtsextremisten aus Deutschland und der Türkei, die mit Islamistengruppen in Syrien zusammenarbeiten.

Mehmet Ali Ö. (l.)/ Muhderem Ö.

In den letzten Jahren kam es zu einer bemerkenswerten Annäherung zwischen diesen beiden Lagern, deren Ideologien und Ziele eigentlich nicht unterschiedlicher sein könnten. Salafisten lehnen beispielsweise im Gegensatz zu den Rechtsextremen Nationalstaatlichkeit und weltliche Verfassungen ab. Wie lässt sich also dieses Bezugsverhältnis erklären? Der Grund liegt vor allem im syrischen Bürgerkrieg. 

Schon früh nach dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 solidarisierte sich die türkische Regierung mit den syrischen Oppositionellen und forderte Diktator Bashar al-Assad zum Rücktritt auf. Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan begründete seine zunächst nur verbale Intervention vor allem mit den Turkmenen im Norden des Nachbarlandes. Diese hatten sich überwiegend der bewaffneten Revolte angeschlossen. Die Türkei betrachtete sich als Schutzmacht der ethnischen Minderheit, um zugleich ihre geostrategischen Interessen in Syrien legitimieren zu können. Das kam auch bei den politischen Gegnern rechts von der AKP gut an.

Vor allem Bayır-Bucak, ein Gebiet im Norden der syrischen Provinz Latakia, das direkt an der Türkei angrenzt, stand neben Aleppo im Zentrum der türkischen Interessen. Dort leben zehntausende Turkmenen. Es sind Nachkommen der türkisch-osmanischen Herrschaft in Syrien, die dort seit vielen Jahrhunderten siedeln. Viele sprechen sowohl Arabisch als auch die türkische Sprache und haben Familienangehörige im Nachbarland. Für die Türkei waren sie ein gutes Argument, sich tiefer in den innerstaatlichen Konflikt in Syrien einzumischen.

Nordsyrien galt spätestens seit 2012 als Brückenkopf für die Operationen des türkischen Geheimdienstes MIT und tausender Dschihadisten aus aller Welt, die meist ungehindert über die Grenze nach Syrien strömten. Viele von ihnen setzten ihre Füße zuallererst auf turkmenisches Siedlungsgebiet, bevor sie zu den Anlaufstellen und Ausbildungslagern der Extremistengruppen im Nordwesten Syriens weiterzogen. Die überwiegend sunnitischen Turkmenen selbst hatten kein großes Problem mit den Ausländern. Schließlich halfen diese ihnen im Kampf gegen Assad. Und zugleich kamen zahlreiche Islamisten aus den Gebieten der turksprachigen Bevölkerungen. Länder also wie Usbekistan, Aserbaidschan, Kirgisistan und die chinesische Provinz Xinjiang, mit denen sie ein kulturelles wie religiöses Erbe zu verbinden glauben.

Die Jihadisten aus den Turk-sprachigen Gebieten (aber auch türkische Rechtsextreme aus europäischen Staaten wie Deutschland) schlossen sich vor allem Gruppen an, die dem Turanismus, Neoosmanismus und ähnlichen Ideen zumindest tolerant gegenüberstehen. Allen voran die turkmenischen Brigaden wie Muntasir Billah, die Sultan Murad Division und Jabal al-Turkman, aber auch mit al-Qaida verbündete Gruppen wie die "Turkistanische Islamische Partei in Syrien" (TIP) und die LMA, die in den Gebieten in Nordsyrien gemeinsam operieren. Ihnen gemein sind nicht nur islamistische Orientierungen, sondern auch mit ihrer Herkunft in Verbindung stehende Motivationen, zu denen auch nationalistische Elemente gehören.

Der syrische Bürgerkrieg gab den türkischen Ultranationalisten also die Gelegenheit mithilfe der "Brüder" aus dem Ausland ihren lang gehegten Traum voranzutreiben, ihr Land zu einer regionalen Großmacht im Nahen Osten aufsteigen zu lassen. Und so war es kaum überraschend, dass der heutige Präsident Erdoğan die 2015 von "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar aufgedeckten Waffenlieferungen des MIT nach Syrien mit der Hilfe für turkmenische Rebellen zu rechtfertigen versuchte. Es sei eine Lüge, dass der türkische Geheimdienst der syrischen al-Qaida helfen würde, so Erdoğan damals gegenüber türkischen Medien. "Diejenigen, die solche Behauptungen aufstellen, müssen das auch beweisen. Sobald die Turkmenen in Bayirbucak angegriffen werden, ist es undenkbar für die Türkei dem tatenlos zuzusehen", so Erdoğan

Mehmet Ali Ö. (l.)/ usbekischer Kämpfer der LMA

Erdoğan forcierte mit dieser Politik auch die Annäherung zu seinen politischen Gegnern bei der rechtsextremen MHP ("Partei der Nationalistischen Bewegung"). Mit einer Mischung aus konservativem Islam, Huldigungen an das osmanische Reich und die Inanspruchnahme einer Führungsrolle unter den Turk-stämmigen Völkern, bekam er viel Applaus aus diesem radikalen Spektrum. Gleichzeitig gewährte die Regierung in Ankara vielen Dissidenten und der muslimischen Diaspora aus Ländern wie Tschetschenien und China Exil im Land. In Istanbul beispielsweise siedelten sich in Stadtteilen wie Küçükçekmece und Sefaköy zahlreiche Uighuren an, die dann in die propagandistischen "Kulturveranstaltungen" der AKP miteingespannt und auch für den Syrien-Krieg gezielt angeworben wurden. Schätzungen ergeben, dass mittlerweile bis zu 10.000 Uighuren in Nordsyrien leben.

Aber auch in Europa wurde für die Großmachtsfantasien der Türkei mobilisiert, überall dort, wo muslimische und/oder türkische Gemeinden vertreten sind. Auf dem Balkan, vor allem in Albanien, Bosnien, Bulgarien, Rumänien und im Kosovo, baute die türkische Regierung ihren Einfluss deutlich aus, sodass sich auch Balkantürken vermehrt durch die nationalistisch-neoosmanisch-islamistische Propaganda auf den Weg nach Syrien machten und sich dortigen Rebellenbrigaden mit ausgeprägter Türkei-Affinität anschlossen.

Ambivalentes Verhältnis zwischen Nationalisten und Islamisten

Seitdem öffentlich wurde, dass die Dinslakener IS-Gruppe um Mustafa K. und Philip B. enge Kontakte zu den "Grauen Wölfen" gehabt haben soll, gerieten auch die türkischen Nationalisten in Deutschland in den Verdacht mit Islamisten zu paktieren. Auch bei eigenen Recherchen fiel "Erasmus Monitor" immer wieder auf, wie später ausgereiste Dschihadisten zuvor im Umfeld türkischer Moschee- und Vereinsumfelder aktiv waren. Es gibt und gab also vereinzelt Beziehungen zwischen Salafisten und türkischen Nationalisten, auch wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Kontakten und Radikalisierung oder Ausreise kaum nachgewiesen werden kann.

Der Verein "ATF Bielefeld Ülkü Ocağı", dessen Mitglieder die Krankenwagen in die Türkei brachten, gehört zur Idealistenbewegung der "Almanya Türk Federasyon" (ATF) unter dem Dachverband der "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF). Sie werden den "Grauen Wölfen" (Bozkurtlar) zugerechnet, die mehrheitlich Anhänger der türkischen Partei MHP sind. Der Bielefelder Verein veranstaltet regelmäßig gemeinsame Essen, Diskussionen und nahm in der Vergangenheit auch an Veranstaltungen der MHP in Deutschland teil, wie im April 2015, als der Parteivorsitzende Devlet Bahçeli in der König-Pilsener-Arena in Oberhausen vor tausenden Anhängern auftrat. 

Dadas E. (l.) (Alamanya Turan Sevdalilari) bei Krankenwagen-Lieferung an turkmenschische Rebellengruppe in Aleppo
Der von den "Idealisten" vertretene extreme Nationalismus, gepaart mit Rassismus und der Überbetonung islamischer Werte ist unter den ethnischen und religiösen Minderheiten in und außerhalb der Türkei gefürchtet. Sie träumen von einer "Großtürkei" innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches und streben die Vereinigung aller Turkvölker vom Balkan über den Kaukasus bis nach Zentralasien an. Neben dem konservativen Islamverständnis gibt es also auch hierbei Berührungspunkte zwischen Nationalisten und salafistisch-dschihadistischen Kräften, die aus diesen Gebieten kommen.

Auf Nachfrage beim Vorsitzenden des Bielefelder Vereins, wollte dieser sich nicht zur Causa Syrien äußern.

Doch der "Idealisten"-Verein in Bielefeld scheint kein Einzelfall zu sein. Weitere Recherchen ergaben, dass auch andere türkische Organisationen in Deutschland Fahrzeuge nach Syrien schafften. Darunter eine Gruppe von Männern aus dem Großraum Stuttgart, die sich "Almanya Turan Sevdalilari" nennt. Auch hier sind wieder Zeichen der "Grauen Wölfe" zu sehen. Ebenfalls bestehen enge Verbindungen zu türkisch-turkmenischen Brigaden im Norden Syriens, die sich derzeit auch auf Kämpfe gegen die Kurden im syrischen Kanton Afrin vorbereiten.

Ob das illegal ist, lässt sich freilich schwer beurteilen. In jedem Fall werfen sie ein Schlaglicht auf ein recht neues Phänomen: die Zusammenarbeit zwischen deutsch-türkischen Rechtsextremisten mit Islamisten und damit die (mittelbare) Stärkung des syrischen Dschihads sowie die Unterstützung der expansiven Außenpolitik der türkischen Regierung.