Der Islamische Staat (IS) ist im Irak und in Syrien weitgehend militärisch besiegt. Tausende seiner Anhänger - ob Frauen, Männer oder Kinder - gerieten in Gefangenschaft. Doch Menschenrechtsorganisationen und Journalisten entdeckten in den letzten Monaten zahlreiche Fälle von Kriegsverbrechen, die durch die Sieger verübt wurden. Ein großes Problem, wenn der Terror nicht zurückkehren soll.
Das Gesetz der Rache
Der IS und seine Anhänger haben in den vergangenen sechs Jahren zahllose Kriegsverbrechen begangen. Sowohl in Syrien, im Irak und auch in anderen Ländern wie Libyen, Ägypten und Afghanistan, fielen Sunniten, Alawiten, Christen, Druzen, Kurden, Jeziden, und Schiiten den marodierenden IS-Truppen zum Opfer. Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben sich die Bilder der fast 2000 jungen Kadetten und Soldaten aus dem irakischen Militärcamp Speicher, die im Juni 2014 am Ufer des Tigris von IS-Kämpfern ermordet wurden.
Oder die hunderten syrischen Soldaten, die nach ihrer Flucht aus der Luftwaffenbasis Tabqa im August 2014 wie Vieh zusammengetrieben, halbnackt ausgezogen und auf dem Bauch liegend nacheinander hinterrücks erschossen wurden. Und nicht zu vergessen die zahllosen Namenlosen, die auf Bildern und in Videos der Terrororganisation auftauchten und für ihren vermeintlichen Drogenkonsum, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Meinung oder sonstigen Gründen geköpft, in die Luft gesprengt oder erschossen wurden.
Die Ethnien und religiösen Gemeinschaften in den betroffenen Ländern sehnen sich nun nach Rache an denjenigen, die ihnen die Traumata, Wunden und Zerstörungen in den vergangenen Jahren beigebracht haben. Eine moralisch und menschlich verständliche Reaktion. Doch die Folgen der Vergeltung sind schon längst unübersehbar: In den vergangenen Monaten häuften sich Berichte über Massenexekutionen, Folterungen und unmenschliche Haftbedingungen gefangengenommener Kalifatsanhänger.
Die Ethnien und religiösen Gemeinschaften in den betroffenen Ländern sehnen sich nun nach Rache an denjenigen, die ihnen die Traumata, Wunden und Zerstörungen in den vergangenen Jahren beigebracht haben. Eine moralisch und menschlich verständliche Reaktion. Doch die Folgen der Vergeltung sind schon längst unübersehbar: In den vergangenen Monaten häuften sich Berichte über Massenexekutionen, Folterungen und unmenschliche Haftbedingungen gefangengenommener Kalifatsanhänger.
Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) warf im Februar dieses Jahres den Asayesch, dem Geheimdienst der Autonomen Region Kurdistans im Nordirak, schwere Kriegsverbrechen vor. Mitte 2017 hätten die kurdischen Einheiten bei Tal Afar binnen weniger Tage bis zu 400 Männer und Jugendliche ermordet, die für den IS gearbeitet haben sollen. Bereits 2016 hatte "Amnesty International" den Milizen der damaligen Regierung von Masud Barzani vorgeworfen, in zahlreichen vom IS zurückeroberten Dörfern und Städten die arabische Bevölkerung zu vertreiben und ihre Häuser zu zerstören. Eine Kollektivbestrafung, ohne zu wissen, ob die Menschen mit dem IS überhaupt aktiv kollaboriert hatten.
Der britische Fernsehsender BBC berichtete zudem erst kürzlich über das Verschwinden tausender russischsprachiger Frauen und Kinder von zum Teil ermordeten IS-Kämpfern in Geheimgefängnissen der irakisch-schiitischen Miliz Hashd al-Shaabi. Dort seien die Haftbedingungen katastrophal, berichtete der Sender. Zu hunderten sollen die Insassen in einzelnen Räumen eingepfercht sein, Kinder litten an Lungenentzündungen und Wärter würden Gewalt anwenden. Daneben dokumentierten zahlreiche Videos und Bilder der beteiligten Kriegsparteien in der Vergangenheit, wie syrische, kurdische und irakische Militär- und Polizeieinheiten unbewaffnete oder sich ergebende IS-Kämpfer exekutierten oder folterten.
Dabei verbieten die Genfer Konventionen solche Verbrechen ausdrücklich. Gefangengenommene IS-Kämpfer müssten nach internationalen Recht als Kriegsgefangene behandelt werden. Ihnen stehen damit die gleichen Rechte zu wie regulären oder sonstigen irregulären Streitkräften, völlig unabhängig von der Tatsache, dass sich der IS an solche Regeln nie selbst hielt. Seine Kämpfer, die aus allen Teilen der Erde kommen, dürften nicht ohne justizielle Verfahren exekutiert, gefoltert oder auf andere Weise unmenschlich behandelt werden, sofern sie sich ergeben haben oder unbewaffnet sind. Doch genau das passierte bislang. Trotz der Tatsache, dass westliche Länder mit Waffen, Luftoperationen und eigenen Truppen im Kampf gegen den IS unmittelbar involviert sind.
Insbesondere die Kurden, ob in Syrien oder im Irak, galten bislang als vertrauenswürdigste Partner der europäischen Staaten und der US-Regierung. Sie erwiesen sich als militärisch äußerst schlagkräftig und schienen weniger sektiererisch aufzutreten im Gegensatz zur schiitisch dominierten Regierung im Baghdad, den syrischen Rebellen oder dem ohnehin international geächteten Assad-Regime. In Medien und Politik wurden sie quasi als emanzipatorisch-demokratische Antwort auf die Glaubenskriege und Barbarei im Nahen Osten geframt. Realistische Kritiker warnten bereits damals, dass das ein schwerer Irrtum sein könnte.
Das Völkerrecht gilt auch für Terroristen
Insbesondere die Kurden, ob in Syrien oder im Irak, galten bislang als vertrauenswürdigste Partner der europäischen Staaten und der US-Regierung. Sie erwiesen sich als militärisch äußerst schlagkräftig und schienen weniger sektiererisch aufzutreten im Gegensatz zur schiitisch dominierten Regierung im Baghdad, den syrischen Rebellen oder dem ohnehin international geächteten Assad-Regime. In Medien und Politik wurden sie quasi als emanzipatorisch-demokratische Antwort auf die Glaubenskriege und Barbarei im Nahen Osten geframt. Realistische Kritiker warnten bereits damals, dass das ein schwerer Irrtum sein könnte.
Das Völkerrecht gilt auch für Terroristen
Denn Menschenrechte bedeuten wenig im Krieg. Ganz gleich, ob es sich um Kriegsparteien handelt, die sich ein religiöses Glaubensbekenntnis, Demokratie oder Freiheit auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dieser Erkenntnis bedarf es keiner bestimmten akademischen, beruflichen oder ideologischen Qualifikation. Die Erfahrung lehrt uns das einfach.
Das bringt aber nun die westlichen Staaten im Falle Syriens und des Iraks in Bedrängnis. Denn es liegt ganz unabhängig von den Diskussionen über die Anwendung von präventiver Gewalt oder asymmetrischer Kriegsführung an ihrer Glaubwürdigkeit, universelle Menschenrechte genauso für gefangengenommene IS-Terroristen durchzusetzen, wie für alle anderen Straftäter und Delinquenten auch, die in aller Regel faire und rechtsstaatliche Verfahren in den westlichen Demokratien erwarten können. Auch wenn der Irak (das kurdische Autonomiegebiet eingeschlossen) und Syrien völkerrechtlich souveräne Staaten sind und selbst über ihr eigenes Rechts- und Justizsystem bestimmen können, haben sie sich 1956 bzw. 1954 zu den Genfer Abkommen bekannt. Doch in Bürgerkriegsländern ist die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz äußerst schwierig, vor allem dann, wenn die Regierungen es selbst systematisch beugen.
Umso mehr müssten Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA nun reagieren und die von ihnen alimentierten Konfliktparteien zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen. Die Genfer Konventionen verpflichten sie sogar dazu, Völkerrechtsverstöße wie Kriegsverbrechen aufzuklären und die Täter, ganz gleich welcher Nationalität oder Partei sie angehören, zur Verantwortung zu ziehen. Versagen die Institutionen der Justiz in solchen Ländern, ist es nicht nur völkerrechtlich legitim, sondern auch vor allem für die westlichen Demokratien eine moralische Verantwortung, Rechtsstaatlichkeit im Zweifel selbst durchzusetzen und zwar völlig unabhängig davon, wer die Täter und wer die Opfer sind und ob die Rollenverteilungen vorher vertauscht waren.
Das bringt aber nun die westlichen Staaten im Falle Syriens und des Iraks in Bedrängnis. Denn es liegt ganz unabhängig von den Diskussionen über die Anwendung von präventiver Gewalt oder asymmetrischer Kriegsführung an ihrer Glaubwürdigkeit, universelle Menschenrechte genauso für gefangengenommene IS-Terroristen durchzusetzen, wie für alle anderen Straftäter und Delinquenten auch, die in aller Regel faire und rechtsstaatliche Verfahren in den westlichen Demokratien erwarten können. Auch wenn der Irak (das kurdische Autonomiegebiet eingeschlossen) und Syrien völkerrechtlich souveräne Staaten sind und selbst über ihr eigenes Rechts- und Justizsystem bestimmen können, haben sie sich 1956 bzw. 1954 zu den Genfer Abkommen bekannt. Doch in Bürgerkriegsländern ist die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz äußerst schwierig, vor allem dann, wenn die Regierungen es selbst systematisch beugen.
Umso mehr müssten Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA nun reagieren und die von ihnen alimentierten Konfliktparteien zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen. Die Genfer Konventionen verpflichten sie sogar dazu, Völkerrechtsverstöße wie Kriegsverbrechen aufzuklären und die Täter, ganz gleich welcher Nationalität oder Partei sie angehören, zur Verantwortung zu ziehen. Versagen die Institutionen der Justiz in solchen Ländern, ist es nicht nur völkerrechtlich legitim, sondern auch vor allem für die westlichen Demokratien eine moralische Verantwortung, Rechtsstaatlichkeit im Zweifel selbst durchzusetzen und zwar völlig unabhängig davon, wer die Täter und wer die Opfer sind und ob die Rollenverteilungen vorher vertauscht waren.
Denn sonst scheint bereits jetzt schon sicher zu sein, dass sich die Gewaltspirale in Syrien und im Irak weiter drehen wird, weil die Ursachen, warum der IS so stark werden konnte, in Vergessenheit geraten. Und auch die Deradikalisierung und Reintegration von ehemaligen IS-Kombattanten und Sympathisanten in eine inklusive Nachkriegsgesellschaft würde zum Scheitern verurteilt sein. Die islamistische Propaganda hätte weiterhin ein leichtes Spiel, westliche Metaphern und Narrative argumentativ zu beschädigen. Schon in den letzten zwei Jahren, als westliche und arabische Kampfflugzeuge über Mossul und Raqqa Bomben fallen ließen, instrumentalisierten die Terroristen die bittere Realität in ihrer Propaganda. Bilder und Videos zeigten unzählige tote und verwundete Zivilisten - daneben siegestrunkene Kämpfer der Kurden und der irakischen Regierung, die Leichen schändeten und gefangengenommene IS-Kämpfer, ihre Familien und unbeteiligte Einheimische peinigten.
Die deutsche Justiz ermittelte bislang konsequent gegen ehemalige IS-Kämpfer aus Syrien und dem Irak, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen wurden. Erst kürzlich klagte die Bundesanwaltschaft den Iraker Mohammed Rafea Yaseen Y. an, weil er als Mitglied des "Islamischen Staat im Irak", der Vorläuferorganisation des IS, mit Sprengstoffvorrichtungen neben Militärangehörigen auch Zivilisten getötet haben soll. Wie der "Spiegel" heute berichtete, ermittelt derzeit die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt auch gegen Vertreter der syrischen Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist möglich, weil im deutschen Völkerstrafgesetzbuch Straftatsbestände wie Völkermord und auch Kriegsverbrechen dem sog. Weltrechtsprinzip unterliegen. Das Völkerrecht gilt dann auch für deutsche Ermittlungsbehörden, unabhängig davon, durch wen, gegen wen und an welchem Ort auf der Welt diese Straftaten begangen wurden.
Somit sollte auch klar sein: Auch für festgesetzte oder zur Aufgabe gezwungene Terroristen sollten und müssten Menschenrechte gelten und Verstöße dagegen verfolgt werden. Nur so kann der dschihadistischen und menschenverachteten Propaganda von Terrororganisationen wie dem IS und al-Qaida ein sichtbares Gegen-Narrativ entgegengesetzt werden. Denn resiliente Demokratien zeichnen sich nicht durch negative Responsivität, Freund-Feind-Bildern oder Opportunismus zwecks einfacher Problemlösungen aus, sondern durch die Beständigkeit und Widerstandskraft ihrer eigenen Werte und Normen trotz schwerer Herausforderungen wie dem internationalen Terrorismus.