IS-Kämpfer Rashid B.: Ein Traum

„Sultan Sanjer“ gehört in sozialen Netzwerken zu einem Geheimtipp unter den Propagandakanälen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Noch ist unklar, wer und wie viele Personen hinter dem Pseudonym stehen. Fakt ist: Unter diesem Namen werden regelmäßig geschönte Nachrufe auf getötete Kämpfer veröffentlicht, die der Verfasser getroffen haben will. Im März tauchte erneut ein Bericht des „wandernden Schriftstellers“ auf. Im Mittelpunkt: Der Frankfurter Rashid B.

Ruhig und unauffällig

Rashid B. soll ein ruhiger und unauffälliger Mann gewesen sein. In Frankfurt-Hattersheim aufgewachsen, führte der Deutsch-Marrokaner bis Anfang 20 ein ganz normales Leben. Er spielte Fußball, machte das Abitur und begann ein Studium. Doch dann veränderte sich Rashid. Er rutschte in die Frankfurter Salafistenszene ab.

Sicherheitsbehörden beobachteten B. bereits seit Jahren. Der Hattersheimer fiel nie als Wortführer oder besonders aggressiver Islamist auf. Keiner der Ermittler hätte ahnen können, dass sich B. insgeheim für den Dschihad entschieden hatte, als er 2013 nach Ägypten aufbrach, um dort die arabische Sprache zu erlernen. Von dort reiste der damals 26-Jährige 2014 über die Türkei nach Syrien ein und schloss sich der Terrormiliz ISIS an.

Im August des letzten Jahres tauchte dann ein Video des IS-Propagandakanals "al-Furqan" auf, in dem B. in braunem Gewand zu sehen war. Mund und Nase hatte der Deutsch-Marrokaner unter einem Turban versteckt. Nur die Augen waren unverhüllt. Unsicher und in einer Mischung aus nordmarrokanischem Arabisch und deutschen Wortfetzen erzählt B. von seinem Traum als Märtyrer.  Er gehöre den Ikhwan an und sei Teil der Sahabah. Er sehe sich in der Tradition von Bilal ibn Rabah al-Habaschi, einem afrikanischen Gefährten des Propheten, von dem überliefert ist, dass er sein Leben dem Dschihad in Syrien geopfert hätte.

Für Selbstmordattentäter ist die Identifikation mit den Gefährten Muhammads ein wiederkehrendes Narrativ. Sie fühlen sich dadurch als ein Teil einer islamischen Avantgarde, die auserwählt seien, sich für Allah zu opfern und dafür ins Paradies zu kommen. Die Aufgabe, diese Sehnsucht aufrechtzuerhalten bis zur Selbstauslöschung in Form von Selbstmordattentaten, übernehmen Prediger und Ideologen der dschihadistischen Gruppen.

Die "Auserwählten" werden häufig allein oder in Gruppen isoliert, sehr gut umsorgt und ständig instruiert. Wie den Attentätern des 11. Septembers werden ihnen exakte Verhaltensregeln vor dem Anschlag vorgeschrieben. Zum Teil rezitieren sie viele Wochen lang Koranverse und lesen sich das eigene Testament immer wieder durch. Ein IS-Kämpfer, der B. in einem Lager in der Wüste getroffen haben will, behauptete auf Twitter, er habe den Frankfurter stets allein mit dem Koran in der Hand in einer Ecke sitzen sehen.

B. steuerte schließlich im August 2014 einen mit Sprengstoff beladenen US-Humvee in einen irakischen Armeeposten in Ramadi. Dabei sollen laut IS über 40 irakische Soldaten getötet worden sein, auch wenn die Angaben umstritten sind.

Unklar ist bislang gewesen, was B. vor seinem Attentat in Syrien und Irak getan hatte. Der sich selbst als "Schriftsteller" bezeichnende Autor „Sultan Sanjer“ beschreibt in seinem Bericht B. als schwachen und kränkelnden jungen Mann, der sich perfekt zum Selbstmordattentäter – die Ishtihadi-Operation – eignete. Die Terrororganisation lässt normalerweise jedem Kämpfer bei seiner Einreise die Wahl, ob er kämpfen oder sich als Selbstmordattentäter direkt ins Paradies befördern möchte. Oftmals jedoch legen Kommandeure und Einflüsterer den Neuankömmlingen nahe, für welche Rolle sie eher geeignet wären, so zeigen es vermehrt Berichte.

Ankunft in Syrien

Verwandte hätten laut "Sultan Sanjer" nichts von dessen Ausreiseplänen gewusst. Bei seiner Ankunft in Syrien soll er mit einigen anderen Deutschen am Sitz der IS-Hauptverwaltung (vermutlich in Raqqa) eingetroffen sein. Mehrere Kunyas habe er sich da schon gegeben: „Abu Ayoub al Maghrebi“ und „Abu Ayyub al Almani“. Da viele andere Kämpfer gleiche Kampfnamen angenommen hätten, sollen B.'s Freunde ihn einfach nur „Abu Abdulrahman“ genannt haben. Der Verfasser von „Sultan Sanjer“ will eine enge Beziehung zum Frankfurter gehabt haben. 

Gemeinsam mit einigen Briten sei B. später zu einem Trainingscamp des IS an der syrisch-irakischen Grenze gefahren worden. Das Lager habe an einem „schönen Berg“ gelegen und soll ein ehemaliger Stützpunkt der US-Truppen gewesen sein, was darauf hinweist, dass es auf irakischen Territorium gelegen haben könnte.

Demnach sei es eine raue Gegend gewesen, in der sich B. und die anderen Rekruten aufhielten, fernab von Luxus und den alltäglichen Annehmlichkeiten. Die Neuankömmlinge hätten hier ihre Härteprüfung abzulegen, bevor sie zu den Kampfbrigaden des IS hinzustoßen konnten. 

Bei der Ausbildung zu Kämpfern seien die Rekruten von ihren Kommandeuren angeschrien, zu Boden gestoßen und zum Tragen schwerer Lasten gezwungen worden. Sie hätten sich im Staub gewälzt und im Schlamm gesuhlt. „Diese Religion erfordert Männer der Berge und Wüsten, nicht Männer der Häuser und Paläste“, begründet "Sultan Sanjer" das harte Training. Jeden Stolz und Hochmut hätten sie sich dafür entledigen müssen. Die Rekruten würden dazu ausgebildet am Ende unbedingten Gehorsam zu zeigen sowie spirituell und psychologisch auf die „Schlachten gegen die Ungläubigen" vorbereitet zu sein.

Krank und schwach

Doch das harte Training habe auch Probleme mit sich gebracht: Die Rekruten seien aufgrund des rauen Klimas in den Bergen schnell krank geworden. Auch B. soll im Lager an Krankheiten gelitten haben. „Stell dir vor, du bist vor ein paar Tagen noch in Deutschland gewesen und heute stehst du auf den Berggipfeln!“, gibt "Sultan Sanjar" den Lesern zu bedenken. Die „Brüder“ hätten sich um B. gekümmert und ihm Medizin und Wasser gebracht. Doch der habe zu allem Übel noch an einer hartnäckigen Fußverletzung gelitten. Der ohnehin zierlich gebaute Rashid B. sei damit als Kämpfer des IS unbrauchbar unbrauchbar gewesen, sein Schicksal als Selbstmordattentäter so gut wie besiegelt. 

Er soll sich laut „Sultan Sanjer“ für diesen Weg bei einem Schlüsselerlebnis entschieden haben. Bei Gefechten im Irak sollen er und andere Kämpfer in einem Haus Luftschläge der USA nur knapp überlebt haben. Dabei habe B. seine Angst geäußert zu früh zu sterben, ohne das Leben einiger „Rafida“ (arab. Verweigerer/Leugner, im salaf. Milieu ein negativ konnotierter Begriff  für Schiiten) ausgelöscht zu haben. 

B. soll "Sultan Sanjer" weinend erzählt haben, er sei gespannt darauf mit Gott zu reden und mit ihm zu lachen. Der Verfasser sei erstaunt darüber gewesen, wie groß die "Sehnsucht und Begierde" des Frankfurter sei "Gott zu begegnen".

Nach dem Tod des damals 27-Jährigen soll B. "Sultan Sanjer" in einem Traum begegnet sein. Mit dem Auto sei er auf ihn zugefahren. Er sei ausgestiegen und habe ihn umarmt. Sie küssten sich. "Dann ging er zu seinem Wagen, öffnete die Tür und drehte sich zu mir um und lachte." Er gehe nun zu Gott, soll Benamar gesagt haben. "Vergesst nicht, wie sehr ich euch geliebt habe".

Übersetzung des Testaments von Rashid Benamar (laut Text):

Ich möchte meinen Brüdern - besonders denjenigen aus Marroko - erzählen, dass die Belange der Sahaba (wie Sulam al-Faransi, Suhaib ar-Rumi, Salman al-Farisi), die selben Belange sind, mit denen unsere Brüder heute zu tun haben. Wir, die Migranten aus dem Westen und dem Osten, sagen euch im Westen: Kommt in den Dschihad, in unseren Staat. Möge Allah euch dafür belohnen.