"Medizin ohne Grenzen" : „Schade, dass man dafür so benutzt wird“


Salafistische Hilfsorganisationen geraten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Mit Spenden sollen bedürftigen Zivilisten in Syrien geholfen werden. Doch viele Beobachter gehen davon aus, dass auch Dschihadisten von der Hilfe profitieren könnten. Auch eine Spendenorganisation aus NRW wirft mit ihren Aktivitäten viele Fragen auf.

"Schenken Sie Zukunft!"

Mit dramatischen Appellen wirbt der Verein „Medizin ohne Grenzen“ öffentlichkeitswirksam im Internet um Spendengelder. „Retten sie Leben!“, fordern die Macher von „medizin-ohne-grenzen.org“ die BesucherInnen auf. Mit der Hilfe der Spender würden tausenden Menschen in Syrien das Leben gerettet werden. Um den Appellen Nachdruck zu verleihen sind auf der Internetseite dutzende Bilder von Kindern zu sehen, die das Mitleid der Besucher aktivieren sollen. Da ist ein kleines weinendes Mädchen zu sehen, dass fürsorglich von einem der Initiatoren des Vereins umarmt wird. Ein anderes Bild zeigt dutzende syrische Kinder, die lachend das "Victory"-Zeichen mit den Händen formen. Sätze wie „Schauen Sie nicht weg“ oder „Schenken Sie Zukunft!“ fordern den Betrachter direkt zu Spenden auf, zum Beispiel in Form von „Waisen-Patenschaften“.

Unter der Kinderschar ist immer wieder ein junger Mann zu erkennen. Er trägt einen modern geschnittenen Vollbart und strahlt freundlich in die Kamera. Der Mann heißt Mohammed A. B. Er ist eines von vier Gesichtern des Vereins, die sich auf der Internetseite der Öffentlichkeit präsentieren. Der Problem: B. ist tief verstrickt in der deutschen Salafismus-Szene. Nach ARD-Informationen soll B. mit dem bundesweit bekannten radikal-islamistischen Prediger Brahim B. alias „Abu Abdullah“ verwandt sein. Laut einem Bericht des hessischen Verfassungsschutzes gehört der Prediger zu den Führungsköpfen der deutschen Salafismus-Szene neben Pierre Vogel und Said El Emrani alias Abu Dujana, die ihre Hochburgen im Rhein-Main-Gebiet haben.

Für die "Hilfe" für Syrien trommelten Brahim B. und Co. auf Veranstaltungen des 2013 verbotenen islamistischen Missionierungsnetzwerks „DawaFFM“ vor allem junge Männer zusammen und forderten sie auf für die in Syrien kämpfenden Glaubensbrüder zu spenden.

Bereits im März 2014 waren dem Blog die Aktivitäten des Vereins aufgefallen. In sozialen Netzwerken wie Facebook baten „Abu Abdullah“ und „Abu Dujana“ auf einschlägigen islamistischen Seiten wie „Die wahre Religion“ darum, für ihre „Geschwister in Syrien“ großzügig zu spenden. Es sei die Pflicht aller wahren Muslime und keine freiwillige Tat. So sollten mit dem gesammelten Geld Rettungswagen, Medikamente und „alles nützliche“ an ihren „wirklichen Bestimmungsort“ gebracht werden.

Freundin als Aushängeschild

Bei den angehängten Kontodaten fällt vor allem der Name einer Lisa R. auf, die auch auf der Internetpräsenz von „Medizin ohne Grenzen“ als offizielle Vertreterin des Vereins genannt wird. Ein Bild von ihr auf der Internetseite des Vereins zeigt eine junge blonde Frau, die als Rettungssanitäterin vorgestellt wird. Womöglich handelt es sich um eine Mittelsfrau, die nur pro forma als Vertreterin auftritt oder von den Absichten des „Projektmanagers“ B. getäuscht wurde. Es gibt mittlerweile aber Hinweise, dass die Frau in einer Liebesbeziehung zu B. steht. Bereits in Aufrufen von "Die wahre Religion" war ihr Name in Verbindung mit Kontodaten für Spendenüberweisungen aufgetaucht.

Doch nicht nur in der Szene scheinen die Salafisten erfolgreich Gelder eingesammelt zu haben. Auch in der deutschen Öffentlichkeit gelang es ihnen unter dem Deckmantel des humanitären Einsatz tausende Euro von gutgläubigen Bürgern einzusammeln. Hierbei scheint „Medizin ohne Grenzen“ eine bedeutende Rolle eingenommen zu haben. Mit einer professionell erstellten und Seriosität ausstrahlenden Internetseite sowie emotionalen Appellen und Mitleid erregenden Bildern gibt der Verein den Hintermännern einen humanitären Anstrich. Die wahren Motive des Vereins können nur schwer erkannt werden. So zeigt ein auf „Youtube“ hoch geladenes Video Mohammed A. B. mit einem Mädchen vor einer Hauswand an einem unbekannten Ort in der syrischen Provinz Idlib. B. kniet vor der „kleinen süßen Raqqa“ und reicht ihr ein Spielzeug herüber. Er trägt eine schwarze Mütze, in der salafistischen Szene bekannt auch als „Shahada“-Mütze, auf deren Rückseite für die Kamera sichtbar das islamische Glaubensbekenntnis abgedruckt ist. Vor allem die radikal-sunnitischen Islamisten der al-Nusra-Front und des ISIS in Syrien tragen solche Zeichen bevorzugt zur Schau.
 
Eine weitere gestellte Bildszene zeigt, wie B. und das kleine Mädchen mit erhobenen Zeigefingern als Zeichen ihres Glaubens posieren. Somit scheint es kaum wahrscheinlich zu sein, dass der Verein seine öffentlich propagierten Prinzipien, den Notleidenden in Syrien „ungeachtet […] ihrer politischen oder religiösen Überzeugung“ Hilfe leisten zu wollen, auch tatsächlich befolgt. Unklar bleibt auch, ob der Verein der Familie B. radikalen Kräften wie der ISIS oder der Nusra-Front materielle Hilfen wie Geld oder medizinische Ausrüstung zukommen ließ. Videos auf „Youtube“ zeigen zumindest, dass radikale Islamisten in Syrien deutsche und britische Krankenwagen erhalten haben. 

Zahlreiche Spender wurden getäuscht

Getäuscht durch den Verein fühlt sich auch eine Apothekerin bei Siegen in Nordrhein-Westfalen. Ruth Ehinger (Name geändert) hatte "Medizin ohne Grenzen" und seinem Verein 3000 Euro gespendet. Eine Mitarbeitern von ihr habe sie auf die Organisation aufmerksam gemacht, berichtete Ehinger in einem mittlerweile gelöschten Beitrag auf der Internetseite der Apotheke. Ihre junge Mitarbeiterin S. habe nicht wegschauen wollen angesichts der syrischen Flüchtlingskatastrophe. So habe die 23-Jährige zugunsten syrischer Flüchtlingskinder einen Flohmarkt organisiert.

Spontan hatten Ehinger und ihr Ehemann ihrer Mitarbeiterin bei der Organisation und Bewerbung der Aktion geholfen und die Erlöse aus Flohmarkt und Kuchenverkauf aus eigener Tasche verdoppelt. Auf einem ebenfalls gelöschten Foto vom Moment der Scheckübergabe im Januar 2014 ist wieder Mohammed A. B. zu sehen, der im Artikel jedoch als „Mohammed Belkim“ vorgestellt wird. Ob B. seinen Namen absichtlich fälschte, um mögliche Nachforschungen der Apothekerin zu verhindern, bleibt bisher unklar. Ehinger fühlt sich von B. aber klar getäuscht. „Wir wollten lediglich Kindern und Menschen in Not helfen“, stellte sie auf Nachfrage klar und distanzierte sich von B.'s Verein. „Schade, dass man dafür so benutzt wird.“

Fraglich bleibt, wie die deutschen Behörden auf das Gebaren des Vereins reagieren werden. Zwar hat nach ARD-Informationen der deutsche Verfassungsschutz den Verein unter die Lupe genommen. B. und seine Kontakte in der Salafisten-Szene scheinen jedoch weiterhin ungestört Gelder für Syrien sammeln zu können. So berichtete am 30. Juni tagesschau-Redakteur Volker Siefert von Benefizveranstaltungen des Vereins im Juni dieses Jahres bei Bonn und Frankfurt am Main. Die Treffen seien als Fußball-Benefiz-Cups beworben worden. Der hessische Verfassungsschutz zählte 60 überwiegend junge Männer, die sich in einem Park in Frankfurt getroffen hätten.

Auch die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ sieht sich mittlerweile gezwungen auf die große Namensähnlichkeit zu Belkaids Verein zu reagieren. Man wolle das Gespräch mit B. suchen, so die Organisation.